Kein Geld für Auslandschweizer
Dank der direkten Demokratie hat die Schweiz eine grosszügige staatliche Opferhilfe. Doch nicht für alle: Auslandschweizer und ihre Angehörigen in der Schweiz fallen durch die Maschen.
- Español La Quinta Suiza no se beneficia de la ayuda a las víctimas
- Português Suíços no exterior não têm direito a auxílio em caso de catástrofe
- Français Pas d’argent pour les Suisses de l’étranger
- English Swiss victim of crime abroad? Tough luck
- 日本語 被害者救済制度導入から25年 在外スイス人は「蚊帳の外」
- Italiano Niente soldi per gli svizzeri all'estero
Die Schweiz hat seit 25 Jahren eines der grosszügigsten Opferhilfe-Systeme der Welt. Während die Opferhilfe in Deutschland beispielsweise gänzlich auf Spenden angewiesen ist, handelt es sich in der Schweiz um eine staatliche Einrichtung.
Die Schweiz kennt ein so genanntes 3-Säulen-ModellExterner Link der Opferhilfe: Die Opfer einer Straftat bekommen unentgeltliche medizinische, psychologische und juristische Beratung, sie werden im Strafverfahren geschützt und erhalten vom Staat eine Entschädigung und Genugtuung, wenn sie vom Täter und Versicherungen nicht genügend entschädigt werden.
Das Opfer kann die Beratung der Opferhilfe auch in Anspruch nehmen, ohne den Täter anzeigen zu müssen – diese fortschrittliche Regelung kommt besonders den Opfern von häuslicher Gewalt zu Gute.
Mit Volksrechten Missstände beheben
Dieses fortschrittliche Modell der Opferhilfe verdankt die Schweiz der direkten Demokratie: Die Beratungszeitschrift "Beobachter" erhielt in den 1970er-Jahren viele Anfragen von verzweifelten Opfern, die nach einer Gewalttat keine Unterstützung erhielten. Die Zeitschrift lancierte daher im Alleingang eine Volksinitiative zur Entschädigung der Opfer von GewaltverbrechenExterner Link – keine Partei, kein Verband und keine Interessengruppe unterstützten die Initiative.
Das Parlament nahm das Anliegen ernst und erarbeitete einen Gegenentwurf, der sogar noch weiterging als die Volksinitiative: Auch Opfer von fahrlässig begangenen Straftaten gegen Leib und Leben sollten staatliche Hilfe erhalten. Die Stimmbevölkerung nahm 1984 den Gegenvorschlag mit über 81 Prozent Ja-Stimmen an. 1993 trat schliesslich das OpferhilfegesetzExterner Link in Kraft.
"Dank der direkten Demokratie wurde das Thema aufs Tapet gebracht", sagt Sandra Müller GmünderExterner Link, Leiterin der kantonalen Opferhilfestelle Zürich. Mit Hilfe der Volksrechte konnte ein Missstand aufgezeigt werden, so dass die Schweiz vom Entwicklungsland zum MusterschülerExterner Link avancierte. Inzwischen gibt es eine EU-RichtlinieExterner Link, welche die europäischen Länder zu einer Opferhilfe verpflichtet.
Attentat von Luxor war zu teuer
Doch 2009 wurde das Opferhilfegesetz totalrevidiertExterner Link. Und zwar zu Ungunsten der Opfer im Ausland. Neu ist die Opferhilfe territorial ausgestaltet: Entschädigung und Genugtuung erhalten auch Touristen und Illegale, die in der Schweiz Opfer einer Straftat werden, nicht aber Schweizer und Schweizerinnen, die im Ausland Opfer einer Straftat werden.
"Das Attentat von Luxor war mit ein Auslöser für die Änderung", sagt Müller Gmünder. Zur Erinnerung: 1997 starben bei einem Anschlag islamistischer Extremisten im ägyptischen LuxorExterner Link 36 Schweizer Staatsangehörige, 10 wurden verletzt.
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Die Kantone mussten Entschädigungen von rund 100'000 Franken sowie Genugtuungen von etwa 2,5 Millionen Franken ausrichten. Das war den betroffenen Kantonen zu teuer – obwohl der Bund ihnen mit Abgeltungen zu Hilfe kam. Sie forderten in der Vernehmlassung zur RevisionExterner Link, dass Entschädigungen und Genugtuungen nach Straftaten im Ausland nicht mehr gewährt würden.
Keine Hilfe für Auslandschweizer
Auslandschweizer erhalten – wie bereits vor der Revision – keine finanzielle Unterstützung aus der Schweiz, wenn ihnen im Ausland ein Täter etwas antut. Schweizer Touristen, die im Ausland Opfer einer Straftat werden, erhalten immerhin noch eine kostenlose Beratung durch die Schweizer Opferhilfe – Auslandschweizer nicht.
Das hat auch für die Angehörigen von Auslandschweizern und Auslandschweizerinnen Folgen: "Wir erhalten bei Tötungsdelikten im Ausland – vor allem in Brasilien – immer wieder Anfragen von Angehörigen des Opfers in der Schweiz", erzählt Müller Gmünder. "Doch diese fallen durch die Maschen, wir können ihnen nicht helfen." Der Opferhilfe bleibt in solchen Fällen nichts anderes übrig, als die Betroffenen an das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) weiter zu verweisen.
Lücken und Probleme in der Schweizer Opferhilfe
Entschädigung und Genugtuung wurden in den letzten zehn Jahren aus Spargründen sukzessive gesenkt.
Von den gerichtlich zugesprochenen Genugtuungszahlungen erhalten die Opfer oft nur einen Bruchteil.
Reiche Opfer bleiben auf Anwalts- und Therapiekosten sitzen, weil der Staat nur Bedürftige entschädigt und die Täter häufig kein Geld haben.
Die Opferhilfestellen sind nur während Bürozeiten erreichbar, es gibt keinen Pikettdienst.
Die Opferhilfe ist bei der Schweizer Bevölkerung noch recht unbekannt. Viele Opfer wissen nicht, dass sie sich dort Hilfe holen können.
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