«Die US-Wirtschaft wird langfristig leiden»
Donald Trumps Handelskrieg bringt die globalen Gleichgewichte durcheinander. Seine Zölle könnten auch die US-Wirtschaft schwächen. Jetzt richtet sich das Augenmerk auf was an Gegenmassnahmen möglich ist. Allem voran: Die Besteuerung der Big Tech.
Es ist ein beispielloser Schlag. Seit dem Zweiten Weltkrieg war der Welthandel nie von so massiven Zöllen getroffen worden. Im April leitete Donald Trump eine erste Reihe von Massnahmen ein, die seiner Meinung nach darauf abzielten, das auf 1 Billion Dollar geschätzte US-Handelsdefizit abzubauen.
Gegenüber der Europäischen Union, seinem wichtigsten Partner, belief sich dieses Defizit bis 2024 auf 230 Milliarden US-Dollar. Seitdem sieht ein Abkommen eine Steuer von 15% auf europäische Exporte in die USA vor. Die Schweiz hingegen muss bisher mit 39% den höchsten Satz des Kontinents hinnehmen.
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Angesichts dieser protektionistischen Massnahmen scheinen die Staaten der Willkür des amerikanischen Präsidenten unterworfen zu sein. «Es handelt sich um eine Situation der gegenseitigen Abhängigkeit, die jedoch sehr asymmetrisch ist. Der Rest der Welt hängt mehr vom amerikanischen Markt ab, und daher ist es sehr schwierig, kurzfristig Alternativen zu finden», erklärt Cédric Dupont, Professor für internationale Beziehungen am IHEID, gegenüber GéopolitisExterner Link.
Diese Asymmetrie könnte das Fehlen einer starken wirtschaftlichen Gegenreaktion erklären, so der Volkswirtschaftler: «Mit Blick auf die eigenen Arbeitsplätze will kaum jemand Öl ins Feuer giessen. Die einzigen, die sich bisher dagegen wehren konnten, sind die Chinesen, weil sie sowohl in Bezug auf die Absatzmärkte als auch auf die globale Produktionskette weniger abhängig sind.»
Schauen Sie hier die Sendung (auf Französisch):
Die GAFAM als Hebel?
Im April hatte die EU als Reaktion auf die US-Ankündigungen damit gedroht, digitale Dienstleistungen zu besteuern, insbesondere die sogenannten GAFAM (Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft).
Denn während Donald Trump seine Zölle mit dem US-Handelsdefizit rechtfertigt, ist im digitalen Bereich genau das Gegenteil der Fall. Jedes Jahr würde der digitale Handel einen Handelsüberschuss von über 600 Milliarden US-Dollar für die USA erwirtschaften, so die Schätzungen eines Forscherteams der Universität Toulouse.
Europa mit seinen 450 Millionen Einwohner:innen ist ein Schlüsselmarkt für die Branche. Im Jahr 2024 kaufte Europa in den USA Dienstleistungen im Wert von über 482 Milliarden Euro ein – die meisten davon digital –, während die USA Dienstleistungen im Wert von 334 Milliarden Euro bezogen. Die EU verzeichnete ein Handelsdefizit von 148 Milliarden Euro.
«Das ist die einzige Frage, die offen bleiben könnte, nämlich die der digitalen Dienstleistungen. Denn in diesem Bereich haben die USA mit fast der gesamten Welt einen Handelsüberschuss und könnten daher anfällig sein», erklärt Cédric Dupont. «Aber die digitalen Dienstleistungen anzutasten, bedeutet auch, die Rechte des geistigen Eigentums [einschliesslich des Datenschutzes, Anm. d. Red.] anzutasten, und hier würde eine grosse Büchse der Pandora geöffnet werden.»
Eine solche GAFAM-Steuer ist bereits in mehreren Ländern in Kraft, darunter Frankreich, Österreich, Italien und das Vereinigte Königreich. In Frankreich hat eine 3%-Steuer auf multinationale Digitalkonzerne ihre Einnahmen innerhalb von sechs Jahren verdreifacht und soll bis 2024 756 Millionen Euro erreichen. London wiederum nimmt jährlich rund 950 Millionen Euro ein.
Kanada hingegen hatte gehofft, ab Juni 747 Millionen Euro zu erhalten, gab aber schliesslich auf Druck Washingtons auf. Mitte Juli soll auch die Europäische Kommission ihre Pläne für eine einheitliche Steuer ausgesetzt haben, wie aus einem Dokument hervorgeht, das PoliticoExterner Link eingesehen hat.
Eine geschwächte US-Wirtschaft
Angesichts dieses wachsenden Drucks erwägen einige, amerikanische Produkte zu boykottieren. Cédric Dupont meint: «Haben wir eine Alternative zu den grossen amerikanischen Plattformen, zum Beispiel für Reisen oder Hotelbuchungen? Die Antwort ist oft nein. Ein Boykott setzt eine grundlegende Verhaltensänderung der Verbraucher voraus, die bekanntlich nie von heute auf morgen erfolgt, da Alternativen erst geschaffen werden müssen.»
Donald Trump rühmt sich zwar eines wirtschaftlichen Erfolgs, doch seine Strategie könnte sich langfristig gegen ihn richten. Bisher haben die Importeure ihre Lagerbestände abverkauft und einen Teil der Mehrkosten aufgefangen, um den Preisanstieg zu begrenzen. Doch die steigende Inflation könnte die Haushalte treffen, warnt Tristan Dessert, USA-Korrespondent von RTS: «Die meisten Ökonomen gehen davon aus, dass der amerikanische Verbraucher langfristig den grössten Teil der Zölle bezahlen wird.»
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«Wirtschaftlich sehe ich nicht, wie Donald Trump seine Wette gewinnen kann», sagte Cédric Dupont. «Das Urteil lautet wahrscheinlich, dass die US-Wirtschaft auf lange Sicht wirklich leiden und an Wettbewerbsfähigkeit verlieren wird, es sei denn, er nimmt seine Zölle zurück.»
Cédric Dupont schränkt jedoch ein: «Auf kürzere Sicht kann er sich vielleicht durchsetzen und die Illusion schaffen, dass die USA great again sind und die Bürger dem Präsidenten und der Partei, von der sie abhängen, dankbar sein sollten.»
Die Welthandelsorganisation mit Sitz in Genf wurde 1995 ins Leben gerufen, mit dem Ziel, die Rückkehr von Handelsspannungen zu verhindern. Heute befindet sie sich in einer Krise.
Könnten die 166 Mitgliedsländer, die 98% des Welthandels ausmachen, gemeinsam gegen Washington vorgehen? «Das Problem ist, dass die USA niemals rechtlich bestraft werden können, da das Berufungsorgan, das sie anrufen könnten, vor allem von Washington blockiert wird», erklärt Cédric Dupont.
Auch wenn die USA ihren finanziellen Beitrag ausgesetzt haben, behalten sie dennoch einen Fuss in der Tür der Organisation. «Sie haben gerade einen neuen Botschafter bei der WTO ernannt, sie bleiben ein vollwertiger Akteur. Die WTO hat vielleicht noch eine Rolle zu spielen, um die Gespräche fortzusetzen. Aber Donald Trump zum Einlenken zu bewegen, scheint sehr unwahrscheinlich.»
Dieser Artikel ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen Swissinfo und der Sendung Géopolitis von RTS.
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