Erbschaftssteuer: Wo steht die Schweiz im internationalen Vergleich?
Die Juso-Initiative, über die am 30. November abgestimmt wird, rückt das Thema Erbschaftssteuer wieder ins Rampenlicht. Daten zeigen, dass sich diese Art Steuern auf dem Rückzug befinden und kaum irgendwo ins Gewicht fallen.
Am 30. November wird die Schweizer Stimmbevölkerung über die Erbschaftssteuer-Initiative abstimmen. Die von den Jungsozialisten lancierte Initiative will eine Bundessteuer auf Erbschaften und Schenkungen für sehr grosse Vermögen einführen, um Klimapolitik zu finanzieren. Die Chancen auf ein Ja sind klein.
Lesen Sie hier alles zu dieser Abstimmungsvorlage:
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Erbschaftssteuer für Superreiche: Die Juso-Initiative kurz erklärt
Die Idee, die Staatskasse mit Erbschaftssteuern zu füllen, ist nicht neu, aber besonders umstritten. Bereits 2015 kam eine Initiative zur Einführung einer Bundessteuer auf Erbschaften von mehreren Millionen Franken vors Volk, damals sollte das Geld die AHV finanzieren. Mehr als sieben von zehn Stimmberechtigten lehnten dies ab. Doch die Idee hat überlebt – sie ist wieder da.
Auch in anderen Industrieländern wird eine Erbschaftssteuer vor dem Hintergrund weltweit wachsender Vermögensungleichheiten und Haushaltszwänge immer wieder diskutiert. Dies ist derzeit insbesondere in Frankreich und Deutschland der Fall.
14 OECD-Länder erheben keine Erbschaftssteuer
Blicken wir auf die Daten: Laut OECDExterner Link erheben 24 der 38 entwickelten Mitgliedsländer der Organisation Erbschaftssteuern. Die Schweiz gehört dazu, jedoch mit der Besonderheit, dass die Zuständigkeit dafür ausschliesslich bei den Kantonen liegt.
Eine bundesweite Erbschaftssteuer kennt die Schweiz also nicht. Laut der Schweizerischen SteuerkonferenzExterner Link erheben 24 der 26 Kantone diese Steuer in der einen oder anderen Form. Ausnahmen sind Obwalden und Schwyz.
In allen andern Länder fällt die Erbschaftssteuer in die Zuständigkeit der nationalen Verwaltung, mit Ausnahme von Belgien, wo ebenfalls regionale Steuerhoheiten wirken.
Von den zwölf Ländern, die keine solche Steuer erheben, haben zwei – Estland und Lettland – noch nie eine solche Steuer erhoben. Die anderen haben sie seit den 1970er Jahren schrittweise abgeschafft – laut OECD vor allem wegen «mangelnder politischer Unterstützung für diese Steuer».
Gemeinsame Grundsätze
In den OECD-Ländern, die Erbschaftssteuern erheben, gelten gemeinsame Grundsätze für deren Gestaltung. In der Regel progressiv, das heisst, die meisten Länder wenden auf höhere Erbschaften einen höheren Steuersatz an.
Ein weiteres entscheidendes Kriterium ist der Verwandtschaftsgrad: In der Regel profitieren die nächsten Verwandten von günstigeren Bedingungen. Ehepartner sind in fast allen Ländern von der Erbschaftssteuer befreit und für Kinder gelten in den meisten Ländern grosszügige Steuerfreibeträge.
Dies ist auch in der Schweiz der Fall. Alle Kantone befreien Ehepartner:innen und eingetragene Partner:innen von der Erbschaftssteuer und fast alle – bis auf drei – auch die direkten Nachkommen.
Grosse Unterschiede im Detail
Die Steuersätze und Freibeträge variieren jedoch erheblich im Detail – sowohl von Land zu Land als auch innerhalb der Kantone, beziehungsweise in Belgien von Region zu Region.
So reicht die Steuertabelle für Eltern und Kinder in der OECD beispielsweise von 0% bis hin zu 55%. Der Durchschnitt liegt bei 15%.
Für direkte Erben liegt die Schweiz weit unter solchen Sätzen. Die drei Kantone Appenzell Innerrhoden, Neuenburg und Waadt besteuern direkte Erben mit einem niedrigen Satz. 1% auf Erbschaften von mehr als 300’000 Franken in Appenzell Innerrhoden. 3% in Neuenburg. Zwischen 0,1% und 7% auf Erbschaften von mehr als 1 Million Franken in Waadt.
Betrachtet man jedoch die Steuern für Erben, die nicht mit dem Verstorbenen verwandt sind, sieht das Bild ganz anders aus. In diesem Fall variieren die Steuersätze in der Schweiz je nach Kanton stark und können in den Kantonen Waadt und Genf auf über 50% steigen. Damit nähern sie sich den Ländern mit den höchsten Steuersätzen an. Zum Vergleich: In Frankreich liegt dieser Satz bei 60%.
Die folgenden Karten basieren auf einem Vergleich vom VermögensZentrumExterner Link. Sie zeigen, welcher Anteil einer Erbschaft von 500’000 Franken im Jahr 2025 je nach Kanton und Verwandtschaftsgrad an Steuern gezahlt werden muss.
Im Allgemeinen sind die Steuereinnahmen marginal
Die Unterschiede bei den Steuersätzen widerspiegeln sich natürlich auch in den Steuereinnahmen – auch wenn diese, wie die OECD feststellt, im Allgemeinen recht tief sind.
Heute stammen in den OECD-Ländern mit Erbschaftssteuer durchschnittlich nur 0,5% aller Steuereinnahmen aus Erbschaften. Die Organisation führt dies auf «enge Steuerbemessungsgrundlagen und Möglichkeiten zur Steueroptimierung» zurück. Das bedeutet: In den meisten Ländern wird nur ein kleiner Teil der Erbschaften maximal besteuert.
In der Schweiz ist es kaum mehr: Die Erbschaftssteuern im Umfang von 1,5 Milliarden Franken machten lediglich 0,7% der Steuereinnahmen aller öffentlichen Körperschaften, einschliesslich des Bundes, aus.
Ein Vergleich mit andern Ländern ist jedoch wenig aussagekräftig, da in der Schweiz, wie bereits erwähnt, alles eine Angelegenheit der Kantone ist. Für diese allein machen die Erbschafts- und Schenkungssteuern 2,4% der Steuereinnahmen aus.
Nur in vier OECD-Ländern machen die Erbschaftssteuern weniger als 1% der obligatorischen Abgaben aus: Südkorea, Frankreich, Japan und Belgien. In Korea liegen sie mit über 2% sogar weltweit rekordverdächtigExterner Link hoch.
Sinkende Steuern, steigende Erbschaften
In den letzten Jahrzehnten ging der internationale Trend eher zur Abschaffung oder Senkung der Erbschaftsteuer als zu ihrer Erhöhung. Seit den 1980er-Jahren wurden in mehreren OECD-Ländern die Freibeträge erhöht und die Steuersätze gesenkt, wie die Organisation feststellt.
Das gilt auch für die Schweiz. So ist der durchschnittliche Steuersatz in den letzten drei Jahrzehnten kontinuierlich gesunken, wie Marius BrülhartExterner Link, Wirtschaftsprofessor an der Universität Lausanne und einer der renommiertesten Experten für Erbschaftssteuer, in einer 2023 veröffentlichten StudieExterner Link feststellt.
Laut der Studie ist dieser Rückgang «hauptsächlich auf die Abschaffung der Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen zurückzuführen». In einer Art steuerlichem Dominoeffekt seien die Erbschaftssteuern zwischen 1991 und 2004 im ganzen Land gesenkt worden.
Das Ergebnis: Obwohl das Gesamtvolumen der Erbschaften von 20 Milliarden Franken im Jahr 1990 auf 88 Milliarden Franken im Jahr 2022 explosionsartig angestiegen ist, haben sich die Steuereinnahmen aus der Erbschaftssteuer im gleichen Zeitraum kaum verändert. Sie beliefen sich 1990 auf rund 900 Millionen Franken und 2022 auf weniger als 1,4 Milliarden Franken.
1.60 CHF Steuern auf 100 CHF Erbschaft
Mit anderen Worten: Von 100 Franken, die in der Schweiz geerbt werden, werden heute im Durchschnitt 1.60 Franken Steuern gezahlt. Die Schweizerische Steuerkonferenz kommt daher zu dem Schluss, dass die Erbschafts- und Schenkungssteuern im Verhältnis zum Volumen der Erbschaften und Schenkungen «eher bescheiden» sind. In diesem Jahr dürften diese laut SchätzungenExterner Link von Marius Brülhart sogar einen Rekordwert von 100 Milliarden Franken erreichen.
Auch dies ist ein Phänomen, das nicht auf die Schweiz beschränkt ist. Weltweit «stellen die bevorstehenden Erbschaften der Babyboomer-Generation den grössten Vermögenstransfer in der Finanzgeschichte dar», heisst es in einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie von EY Switzerland. Laut dem Beratungsunternehmen werden 2024 weltweit 2000 bis 3000 Milliarden Dollar vererbt. Bis 2030 wird es «das Äquivalent des jährlichen BIP Chinas» sein: 18 000 Milliarden Dollar) – in den Augen einiger ein potenzieller Segen für die öffentlichen Finanzen.
Die Frage, ob Erbschaften und Schenkungen besteuert werden sollten, spaltet die Gemüter, auch unter Ökonomen. Hier ein nicht vollständiger Überblick über die Argumente für und gegen diese Form der Besteuerung.
Für eine Erbschaftssteuer
In den letzten Jahren hat der Anteil der Erbschaften an der Vermögensbildung zugenommen, wie dieser Artikel von TamediaExterner Link erklärt, und die Ungleichheiten in den Industrieländern sowie in der Schweiz haben sich verschärft. Befürworter sind der Meinung, dass die Erbschaftssteuer dazu beitragen würde, die Konzentration von Vermögen zu begrenzen und die Chancengleichheit zu fördern, indem ein Teil des geerbten Vermögens umverteilt wird.
Die Erbschaftssteuer wird auch als Finanzierungsquelle für die öffentliche Politik angesehen. Sie könnte gerechter sein als andere Steuern, da sie auf die reichsten Haushalte abzielt.
Gegen eine Erbschaftssteuer
Die Gegner dieser Steuerform kritisieren hingegen eine Doppelbesteuerung von Vermögenswerten, die bereits zu Lebzeiten der Person besteuert wurden, sowie einen Eingriff in das Eigentumsrecht und die Familienübertragung.
Andere weisen auf die möglichen negativen Auswirkungen dieser Steuer auf die Wirtschaft hin, sofern sie schlecht konzipiert ist. So warnen einige Studien vor der Gefahr, dass sie das Unternehmertum und das Sparen behindern oder vermögende Steuerzahler und Unternehmen aus dem Land vertreiben könnte. Dies ist auch eine der Befürchtungen der Schweizer Regierung, die sich gegen die Initiative ausspricht, über die am 30. November abgestimmt wird.
Die Einkommensverteilung in der Schweiz ist stabil und weniger ungleich als anderswo.
Editiert und mit Hilfe von deepl aus dem Französischen ¨übertragen: Balz Rigendinger
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