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Hochwasser spült Kritik hoch

Eine Frau in Thun schöpft Wasser aus ihrem überfluteten Laden. Keystone

Die Schweizer Behörden stehen nach der neusten Flutkatastrophe in der Kritik: Es sei zu wenig vorgekehrt worden zur Schadensverhinderung.

Laut UNO und Umweltorganisationen sind die Alarmierungs-Massnahmen ungenügend, und Bausünden führten zu erhöhtem Gefahrenrisiko.

Die meisten der 26 Schweizer Kantone haben es verpasst, die Massnahmen zum Hochwasserschutz umzusetzen, wie es das Gesetz seit 1991 verlangt. Die kantonalen Behörden sind grundsätzlich verpflichtet, durch den Unterhalt der Gewässer und durch Verbauungen und Korrektionen Hochwasser zu verhindern.

Ausserdem sollen natürliche Flussläufe wieder hergestellt werden, soweit dies möglich ist.

Die in Genf ansässige Organisation International Strategy for Disaster Relief (ISDR) kritisierte, es sei zu spät Alarm ausgelöst worden. “Es ist unverständlich, dass ein hochentwickeltes Land wie die Schweiz kein besseres System hat”, erklärte Salvano Briceno gegenüber swissinfo.

Offensichtlich habe das Alarmierungs- und Kommunikationssystem versagt. Wenn ganze Häusergruppen von den Fluten weggerissen werden, heisse das auch, dass Massnahmen zum Hochwasserschutz nicht umgsetzt wurden.

Probleme sichtbar geworden

Die Umweltorganisation WWF folgerte, das jüngste Hochwasser in der Schweiz habe die bestehenden Probleme klar ans Licht gebracht.

“Die Praxis im Wasserbau, die Gewässer in ein enges Korsett zu zwängen hat versagt,” heisst es in einer Stellungnahme des WWF Schweiz.

Besonders in der Kritik stehen die Behörden im Kanton Bern. Alexander Tschäppat als Stadtpräsident der Schweizer Hauptstadt beschuldigte die kantonalen Behörden, sie hätten zu langsam reagiert.

Vorwürfe zurückgewiesen

Barbara Egger, Mitglied der kantonalen Regierung, wies die Vorwürfe zurück. In den letzten sechs Jahren sei alles unternommen worden, in Anbetracht der unterschiedlichsten Interessen und der beschränkten finanziellen sowie personellen Mittel, meinte Egger gegenüber Radio DRS.

Ein Projekt der Stadt Bern, den Fluss Aare auszubaggern, wurde von Interessengruppen, insbesondere von Hobbyfischern, vehement bekämpft.

Die Stadt ist allerdings weitgehend auf die Mitarbeit der Anrainerorte am Aarelauf zwischen Bern und Thun angewiesen. Dort wurden Hochwasserprojekte vor fünf Jahren in mindestens drei lokalen Volksabstimmungen abgeschmettert. Frühestens 2007 sollen neue Pläne vorgelegt werden.

Flusskorrekturen

Selbst einzelne Politiker wehren sich gegen Flusskorrekturen. Der umstrittene Finanzdirektor der Stadt Bern, Kurt Wasserfallen, reichte gemäss der Tageszeitung “Der Bund” Beschwerde ein, weil er als Bürger sein bevorzugtes Naherholungsgebiet gefährdet sieht.

Gemäss Ernst Spycher, Projekt-Verantwortlicher für Hochwasserschutz Stadt Thun, hätten sich die Schäden des Hochwassers von 1999 halbieren lassen durch eine geplante Wasserleitung unter dem Thunersee.

Allerdings sei es zu früh, um über mögliche Schadensverhinderung im neusten Unwetterfall zu mutmassen.

Laut Spycher sind die Anschuldigungen, der Kanton handle zu langsam, ungerecht. “Meiner Meinung handelten wir schnell. Unmittelbar nach dem Hochwasser von 1999 studierten wir erste Präventionsmassnahmen.”

Komplexe Situation

Die Lage sei ausserordentlich vielschichtig, weil unterschiedliche physikalische, geo-morphologische und wasserbedingte Faktoren zu berücksichtigen seien, meint Spycher.

Keine schnellen Lösungen im Falle des Thuner- und Brienzersees sieht auch Peter Volkart, Chef der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich.

“Die beiden Seen haben keine Staumauern. Deshalb kann man den Wasserstand nicht so einfach regulieren”, erklärte Volkart gegenüber swissinfo.

Zwar seien seit fast 20 Jahren verschiedene Hochwassermassnahmen aufs Tapet gekommen, aber diese seien immer wieder von Umweltschutzkreisen, Fischereiorganisationen, Hausbesitzern und Denkmalpflegern bekämpft worden.

Beide Fachleute sind allerdings optimistisch, dass bis in zwei Jahren die unterirdisch verlegte Wasserleitung im Thunersee fertig gestellt sein wird.

swissinfo, Dale Bechtel
(Übertragung aus dem Englischen: Urs Geiser)

Ziel des Bundesgesetzes über den Wasserbau von 1991 ist der Schutz von Menschen und Sachwerten vor Überschwemmungen und Erdrutschen.

Der Hochwasserschutz ist Aufgabe der Kantone. Die Umsetzung des Gesetzes erfolgt in erster Linie durch Pflege und Unterhalt der Gewässer und durch raumplanerische Massnahmen.

Die Schweizer Regierung unterstützt Kantone mit schwacher und mittlerer Finanzkraft, wenn nötig bei Hochwasser-Schutzprojekten, nicht aber beim Unterhalt von Schutzeinrichtungen.

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