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Ein Raum voller Duft von Babyhaut

Blick in "Our Product, die Installation von Pamela Rosenkranz an der Biennale Venedig 2015. Our Product/Marc Asekhame

An der Kunstbiennale von Venedig, an der gegenständliche Kunst vorherrscht, sind virtuelle Werke noch Ausnahmen. Ein solches präsentiert 2015 Pamela Rosenkranz im Schweizer Pavillon. In "Our Product" erforscht die knapp 35-Jährige die Wurzeln des Menschen. Die Rauminstallation schlägt flüchtige Brücken zwischen dem Mensch und seinen Erzeugnissen, zwischen der Natur und der Kultur.

Nicht Pixel stehen im Vordergrund, sondern organische und synthetische Moleküle. Statt einer vertrauten Sprache begegnen wir bloss Wörtern ohne Sinn.

Die flüchtlige Materie ist die Grundlage der Installation «Our Product» von Pamela Rosenkranz.

Der Schweizer Pavillon an der 56. Biennale verwandelt sich in eine grosse Installation, erschaffen vom knapp 35-jährigen Shooting Star der Schweizer Gegenwartskunst. Nur die Backsteinfassade ist sichtbar geblieben, wie ein unberührbarer Bilderrahmen, ein Reststück moderner Architektur.

Lose verstreute Äste und Blätter bedecken den Boden, wie an einem späten Herbst- oder einem voreiligen Frühlingstag. Grün färben sich im Tageslicht Mauern, Decken und Säulen, angestrahlt von leistungsfähigen Projektoren.

Im Farbton widerspiegelt sich das Wasser des nahegelegenen Canale Grande.

Am Ende eines dunklen, engen und rechtwinkligen Tunnels erstrahlt helles Licht. Ein hoher und langer Kubus führt an den Rand eines riesigen, gedeckten Schwimmbeckens, das durch eine Stahl- und Glaskonstruktion vor Unwettern geschützt ist. 240’000 Liter einer undefinierbaren, zähen Flüssigkeit in Zimmertemperatur überfluten den grossen Raum der Ausstellung.

Maternat, Colienis, Lapulin

Die Flüssigkeit setzt sich aus geheimen Zutaten zusammen, deren Namen unübersetzbar sind: Abeei, Afriam, Selmelin, Qualbiat. «Diese Wörter habe ich erfunden, sie existieren in keinem Wörterbuch», erklärt die Künstlerin während der Präsentation. Das gesamte Glossar ist in einem Büchlein abgedruckt, das den Besuchern abgegeben wird. Vor dem Becken kann man sich auch eine Audio-Version anhören.

Die Wörter, wenn man so will, animieren zum Nachdenken über Produktenamen aus der Pharmaindustrie. Sie sind geprägt von einem technischen, unzugänglichen Fachvokabular, das die Künstlerin wie die Beipackzettel von Arzneimitteln hartnäckig und eigenwillig interpretiert. Auch verschweigt Rosenkranz die Menge der verschiedenen Elemente, aus denen die Flüssigkeit im Becken zusammengesetzt ist. Sie ist eine Art hautfarbene Suppe, deren Rosa dem mitteleuropäischen Hautton entspricht, einer Farbe, die in der Renaissance verwendet wurde und eine grosse körperliche und geistige Anziehungskraft ausübt.

Nicht zufällig wird dieser Farbton von der Werbung eingesetzt, um die Konsumenten zu verführen. Es ist eine dieser künstlerischen Brücken, die die im Kanton Uri geborene Künstlerin zwischen der realen Welt und der verführerischen Fantasie konstruiert. Sie eröffnet eine neue Perspektive auf die Manipulation von biologischen, chemischen und physikalischen Stoffen und Elementen, die in der technologischen, wissenschaftlichen und kommerziellen Entwicklung vorhanden sind.

Der Gebrauch von unüblichen Rohstoffen aus der Medizin, zum Beispiel Viagra, die synthetischen Polymere, das Silikon und die Pet-Flaschen bereichern den Rundgang. Wie durch ein Vergrösserungsglas betrachtet Rosenkranz die chemische Zusammensetzung und filtert die Wirkstoffe heraus, die die Diskussion in der Kunstwelt um ästhetische und philosophische Fragen beleben.

Schweizer Künstler in Venedig

Für die Kunstbiennale Venedig 2015 hat der Kurator der Ausstellung, der Nigerianer Okwui Enwezor, 136 Künstler eingeladen, ihre Werke zum Thema All the Future’s World zu präsentieren. Die grosse Kunstschau ist für das Publikum vom 9. Mai bis zum 22. November 2015 geöffnet.

Für die Schweiz nahm Bundesrat und Kulturminister Alain Berset am 8. Mai an der offiziellen Eröffnung der Ausstellung von Pamela Rosenkranz im Schweizer Pavillon teil. Am nächsten Tag eröffnete er zudem den «Salon Suisse» im Palazzo Trevisan degli Ulivi. Im venezianischen Sitz des „Istituto Svizzero» organisiert die Stiftung Pro Helvetia eine Reihe von Treffen zum Thema «.O.S. Dada – The World is a Mess».

Pamela Rosenkranz ist also nicht die einzige Schweizer Künstlerin, die an der 56. Ausgabe der Biennale Venedig präsent ist.

Thomas Hirschhorn bespielt einen Saal im Pavillon der Nationen, in den «Giardini» der Biennale, mit einer Skulptur aus Papier, Karton, Schaum und Klebebändern, die bis an die Decke reicht («Roof Off»).

Christoph Büchel hat in Zusammenarbeit mit dem isländischen Pavillon die Kirche Santa Maria Misericordia in eine Moschee verwandelt.

Der Kunstkritiker und Kurator Hans-Ulrich Obrist ist im italienischen Pavillon mit einem «Manifest gegen das Vergessen» präsent.

Der interdisziplinär tätige Basler Künstler Nikunja stellt das Projekt «Xanadu – Contemporary Dream Temple» in einem von insgesamt 44 «Collateral Events» der Biennale vor.

«In ‹Our Product› werden viele sichtbare Materialien verwendet und auch andere, synthetische, die man nicht sehen kann. Dennoch entdeckt man, dass die Trennung von organisch und synthetisch nicht sinnvoll ist, sie ist es heute nicht, und ebenso wenig war sie es gestern. Die Trennung von Natur und Kultur wurde von den Menschen gemacht», sagt Susanne Pfeffer, Kuratorin der Ausstellung.

Bedeutung und Wahrnehmung

Die Ausstellung will die Art des Sehens und Fühlens in Frage stellen. «Dies hat viel zu tun mit der Wahrnehmung, mit der Möglichkeit, sich auf eigene Eindrücke verlassen zu können, mit der Fähigkeit, aus der eigenen Kultur heraus Zusammenhänge zu verstehen und eigene Eindrücke, je nach mentaler Verfassung, wiederzugeben», so Pfeffer weiter.

Die Installation mit dem kolorierten Niedrigwasser erinnert beim ersten Anblick an den schachbrettförmigen Boden einer verlassenen Saline. Aber hier ist die Reflexion viel tiefgründiger, sie führt zurück zum Ursprung, zum Wasser der Ursuppe, aus der die Menschheit entstanden ist. Anstelle des Windes bewegt aber ein ausgeklügeltes System mit einem versteckten Motor die Oberfläche des Beckens.

Es kreiert Wirbel und Wassergeräusche nach komplizierten Algorithmen und lässt künstliche Düfte ausströmen. Der Geruch im Raum erinnert an zarte Babyhaut. Die Künstlerin verwendet den Duftstoff Moschus, der in den 1950er-Jahren synthetisch hergestellt wurde, um zu verhindern, dass das Sekret aus der Drüse des Moschustiers (moschus moschiferus) entnommen werden muss.

Auch der scheinbar leere Raum rund um den Swimmingpool ist mit Tönen und Düften durchsetzt. Die Installation mobilisiert alle fünf Sinne. Der sechste Sinn, die Intuition, ist für die Künstlerin reserviert. Auf ironische Art und Weise ist sie gewillt, ihre eigene Beunruhigung mit den Besuchern zu teilen. «Ich möchte die Methode erforschen, wie wir unsere Wahrnehmungen beobachten und umwandeln», erklärt Pamela Rosenkranz.

Die an Eisengittern aufgehängten weissen Lampen projizieren fratzenhafte, wellenförmige Figuren aufs Wasser, die an den Widerschein der Kanäle von Venedig erinnern. Die Passivität und Strenge der kartesianischen Geometrie der Innenwände des Swimmingpools kontrastieren mit den kreisförmigen und chaotischen Bewegungen des Werkes – ein künstlicher «Organismus» entsteht.

Das natürliche Licht scheint durch die Fenster, erleuchtet den grossen Saal und steht im Dialog mit dem künstlichen und direkten Licht. Der «mitteleuropäische» Farbeffekt ist garantiert. Doch im Lauf der Entwicklung der europäischen Zivilisation sind innere Räume entstanden, die Pamela Rosenkranz mit aschgrauer Farbe zudeckt, eine Mischung, hervorgerufen durch Migration.

(Übertragung aus dem Portugiesischen: Christine Fuhrer)

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