Welten trennen die zwei jüngsten UNO-Mitglieder
Ost-Timor und die Schweiz sind geografisch und in Bezug auf Reichtum Welten voneinander entfernt. Aber der UNO treten sie als Gleichwertige bei.
Dennoch fühlt sich die Schweiz der jüngsten Nation der Welt nicht besonders emotionell verbunden.
Die Schweiz trat der «Familie der Nationen» am 10. September bei, Ost-Timor folgt am 27. September. Für die UNO sind diese Tage höchst symbolträchtig: Mit Ausnahme des Vatikans ist danach jedes Land der Erde Teil dieser globalen Familie.
Die Schweiz und Ost-Timor werden in der UNO-Vollversammlung je eine Stimme haben. Und beide werden Einsitz im UNO-Sicherheitsrat nehmen können. Aber diese zwei jüngsten Mitglieder der Welt-Organisation könnten kaum unterschiedlicher kaum sein.
Glücklicher Zufall
Das eine ist eine florierende, 700 Jahre alte Demokratie. Das andere ist keine vier Monate alt, hat Jahrhunderte der Besetzung hinter sich und gehört zu den ärmsten Ländern Asiens.
Sergio Vieria de Mello, der bis zur formellen Unabhängigkeit Ost-Timors Leiter der dortigen UNO-Übergangsverwaltung war und in Kürze den Posten als UNO-Menschenrechts-Kommissar in Genf antreten wird, spricht von einen «glücklichen Zufall».
Der blutige Konflikt, der 1999 auf die Volksabstimmung zugunsten der Unabhängigkeit folgte, hat in Ost-Timor Narben hinterlassen. Unter UNO-Verwaltung stellte sich zwar ein Anschein von Stabilität ein, doch jetzt ist der flügge gewordene Staat auf sich allein gestellt.
«Es ist uns gelungen, aus dem Nichts demokratische Institutionen aufzubauen», erklärte de Mello gegenüber swissinfo. «Die Grundlagen sind nun da, aber Ost-Timor wird noch während Jahren auf grosse Unterstützung angewiesen sein.»
Wirtschaftliche Sorgen
Trotz diesem Optimismus bleiben viele ganz reale Sorgen. «Es besteht eine sehr, sehr grosse Notwendigkeit für langfristige Entwicklungshilfe», meint Pascal Rouget, Mitglied der in Genf ansässigen Vereinigung Biblio-Lorosae. Die Organisation hat in Bacau, der zweitgrössten Stadt Ost-Timors, eine öffentliche Bibliothek gebaut und eingerichtet.
Laut Rouget verschlechtert sich die wirtschaftliche Situation. «Als sich die UNO zurückzog, gingen viele Arbeitsstellen verloren. Die Leute sind zwar glücklich über ihre Unabhängigkeit, aber sie sind auch verbittert. Schon sagen einige, unter indonesischer Besetzung sei es besser gewesen.»
Nach der portugiesischen Kolonialherrschaft, der indonesischen Besetzung und der UNO-Verwaltung, sagt Rouget, müssten die Menschen in Ost-Timor etwas Grundlegendes lernen: Dass sie jetzt vieles selber machen müssen.
Zwar ist Ost-Timor, diese halbe Insel, landwirtschaftlich mehr oder weniger selbstversorgend, Industrie jedoch fehlt fast ganz. Reiche Gasvorkommen vor der Südküste haben einen Kampf mit Australien ausgelöst, während es mit dem Tourismus – einer potenziell grossen Einkommensquelle – nicht vorwärts gehen kann, bis geeignete Infrastrukturen da sind.
Keine Priorität
Trotz dieser Not wird die Schweiz keine Gelder speziell für Ost-Timor abzweigen. Die Tatsache, dass die beiden Länder der UNO fast zur gleichen Zeit beitreten, scheint offenbar keine gefühlsmässige Verbindung zu schaffen.
Wie die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) im Aussenministerium gegenüber swissinfo verlauten liess, ist Ost-Timor keines ihrer Schwerpunktländer, es gibt dort auch keine laufenden Projekte. Die DEZA verweist in dem Zusammenhang darauf, dass sie sich an die OECD-Richtlinie halte, wonach die Entwicklungshilfe konzentriert werden solle.
De Mello weist darauf hin, dass die Schweiz während der UNO-Verwaltung eine wichtige Rolle gespielt habe, indem sie Geld und Know-how in den Bereichen Menschenrechte und Radioarbeit zur Verfügung gestellt hatte.
«Die Schweiz war in Ost-Timor zwar präsent, aber sie könnte natürlich noch mehr tun. Ich würde es sehr begrüssen, wenn sie nach diesem glücklichen Zufall dem Land besonderes Interesse entgegenbringen würde», so de Mello weiter.
Pascal Rouget ist der gleichen Meinung. Das politische System der Schweiz, das aus kultureller und sprachlicher Vielfalt entstanden ist, hätte auch ein interessantes Modell für Ost-Timor sein können. Dort werden neben Indonesisch und Portugiesisch auch über 20 einheimische Sprachen gesprochen.
Aber ein Land von der Grösse der Schweiz kann nur begrenzt etwas erreichen, und Entwicklungshilfe-Politik muss auf anderen Kriterien aufbauen als auf Gefühlen.
«Wir müssen Prioritäten setzen und unsere Zusammenarbeit auf einige Länder konzentrieren», bekräftigt Botschafter Erwin Hofer, der im Aussenministerium für die Beziehungen mit der UNO zuständig ist.
swissinfo, Roy Probert
(Übertragung aus dem Englischen: Charlotte Egger)
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