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Wenn der Trachtenrock stört

Fahnenschwingen: Frauen entdecken ein urschweizerisches Brauchtum. Keystone

Zweimal bereits hat Erika Andenmatten aus Saas-Fee im Umzug eines Eidgenössischen Jodlerfestes die Fahne hoch in die Luft geworfen - in Herrentracht.

Noch ist es ein zartes Pflänzchen, doch das Fahnenschwingen für Frauen ist bereits Realität.

“Jesses, das ist ja eine Frau!” Diesen Ausruf einer Zuschauerin hat Erika Andenmatten noch im Ohr. Doch sonst sei sie gar nicht gross aufgefallen und von den andern Umzugsteilnehmern wie selbstverständlich akzeptiert worden, sagt sie.

Was sie getan hat, verstösst streng genommen gegen das Reglement, das ist ihr und ihrem Trainer Hansrüedi Zbinden aus Naters bewusst.

Denn das Fahnenschwingen müsste eigentlich in der richtigen Tracht ausgeübt werden. Für Männer ist dies kein Problem, wohl aber für Frauen.

Trachtenrock im Weg

Die Fahne wird zu Ehren des Landes nicht nur hoch in die Luft geworfen und wieder aufgefangen; es gibt auch die Unterschwünge, bei denen die Fahne zwischen den Beinen durchgezogen wird. Und da ist der Rock im Weg. Die Männer in Hemd, Krawatte, Gilet und Hose haben hier kein Problem.

Falls sich die Trachtenfrage lösen lässt, könnten die Frauen bei guter Ausbildung dereinst mithalten beim Fahnenschwingen, ist Erika Andenmatten zuversichtlich.

Sie beherrscht bereits leidlich Kopfwelle, Seitenstecher, Urner und Pilatus oder wie die Schwünge alle heissen, doch der Unterschwung lässt sich in Frauentracht nicht bewerkstelligen.

Zbinden hilft

Für Zbinden ist klar, dass es nicht nur der Verband ist, der bremst. Vielmehr sei es so, dass sich das Interesse der Frauen bis jetzt in Grenzen halte. Neben Erika Andenmatten weiss er noch von der 42-jährigen Erna Fischbacher aus Frauenfeld, die bereits ein beachtliches Niveau erreicht habe.

Zbinden weist aber doch darauf hin, dass die Kunst des Fahnenschwingens athletisch beträchtliche Anforderungen stelle.

Die 52-jährige Erika Andenmatten bestätigt dies. Sie hätte nichts dagegen, wenn den Frauen offiziell gestattet würde, eine etwas kleinere und leichtere Fahne zu werfen als die Männer. Mit einer solchen hat sie auch schon geübt.

Verband prüft

Die Fahnenschwinger gehören zum Eidgenössischen Jodlerverband (EJV). Dessen Präsident Matthias Wüthrich will sich nicht zu übereilten Schritten drängen lassen, wie er sagte.

Man mache vorerst eine Auslegeordnung. Basierend darauf werde die Fachkommission Fahnenschwingen des EJV eine Lösung präsentieren.

“Wir arbeiten an dem Thema, aber wir wollen es sauber analysieren und zwar in dem Tempo, wie es uns vernünftig erscheint”, fasste Wüthrich die Haltung des EJV zusammen.

Somit ist klar, dass das bevorstehende traditionsreiche Trachten- und Alphirtenfest Unspunnen offiziell noch ohne Fahnenschwingerinnen über die Bühne gehen wird.

Für Peter Wenger vom Organisationskomitee des Unspunnenfestes ist klar, dass man sich an das hält, was die Verbände für richtig ansehen. Doch er lässt durchblicken, dass sich die Organisatoren des Festes darüber freuen würden, wenn Frauen auch in dieser Sparte ihr Können zeigen könnten.

Bis zum übernächsten grossen Unspunnenfest dauert es zwölf Jahre. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass die Gleichstellung der Geschlechter beim Fahnenschwingen bis dahin vollzogen sein wird.

swissinfo und Hans Trachsel, sda

Das Fahnenschwingen ist eine urschweizerische Tradition. Zusammen mit dem Jodeln und dem Alphornblasen zählt es zum Schweizer Brauchtum. Diese drei Ausdrucksformen sind seit 1910 im Eidgenössischen Jodlerverband (EJV) vertreten.

Auch im Ausland wird das Schweizer Brauchtum gepflegt: 14 Auslandschweizer-Gruppen und etliche Einzelmitglieder aus Amerika, Australien, Kanada, Neuseeland und Südafrika sind dem EJV direkt angeschlossen.

Der Eidgenössische Jodlerverband zählt etwas über 25’000 Mitglieder.
Die Mitgliederzahl steigt laut Verband “trotz moderner Strömungen” immer noch kontinuierlich an.
Das Unspunnenfest in Interlaken findet vom Freitag, 1.9. bis Sonntag, 3.9.2006, statt, nachdem es vor einem Jahr wegen der Unwetter im Berner Oberland verschoben werden musste.

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