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Kahlköpfe treten an Ort

Immer wieder sorgen Neo-Nazis bei öffentlichen Veranstaltungen für Unruhe. Keystone Archive

Drei Skinheads kommen am Mittwoch in St. Gallen vor Gericht. Trotz der noch relativ zahlreichen Anhängerschaft in der Schweiz geht der Neonazi-Bewegung langsam die Luft aus.

In der Nacht vom 26. auf den 27. August 2000 wartet eine Bande von rund fünfzig Skinheads kampfbereit vor dem Ausgang eines afrikanischen Klubs in St. Gallen. Die beiden Lager geraten schnell aneinander, und die Polizei muss hart eingreifen, um sie zu trennen.

Bilanz: vier Verletzte und ein Prozess, der am Mittwoch vor dem Bezirksgericht St. Gallen beginnt. Auf der Anklagebank drei Skinheads, angeklagt wegen Aggression, und ein der Schlägerei beschuldigter Schwarzer. Die möglichen Strafen für die vier Männer gehen von sechs Monaten unbedingt für die gewalttätigsten Skins bis drei Wochen bedingt für den Afrikaner.

Aggression, Rauferei, Prügelei – diese Gewalttaten gehören zum Alltag der Skins, manchmal dienen sie sogar als Initiationsriten für neue Anhänger der Bewegung.

Abnehmende Gewalt

Hans Stutz von der WochenZeitung beobachtet die rechtsextreme Szene genau. Laut seinen Recherchen hatte die Zahl der Gewalttaten von Skins in den 90er-Jahren dramatisch zugenommen.

Bis 1995 waren es erst eine oder zwei pro Jahr. Dann stieg die Zahl auf 5 im Jahr 96, von 97 bis 99 auf 12 bis 14, und 2000 explodierte sie geradezu auf 26 Fälle. 2001 dagegen sank die Zahl wieder auf 11.

Dieser Rückgang ist auch bei der Zahl der dem Bundesamt für Polizei bekannten Neonazis festzustellen. Zu Beginn des letzten Jahrzehnts waren es einige hundert, im Jahr 2000 stieg die Zahl auf 900, 2001 gegen tausend. Aber diese Zunahme verlangsamt sich nun langsam.

Trotzdem zahlreich

«Die 1000 erfassten Aktivisten sind nur der harte Kern, aber wir dürfen die Sympathisanten nicht vergessen», präzisiert Stutz, der die Schweizer Neonazi-Szene trotz allem als relativ gross einschätzt.

Im Bundesamt für Polizei (BAP) konstatiert man die nur noch langsam wachsende Zahl der bekannten Aktivisten auch, will sich aber über ein mögliches Abflauen nicht äussern.

«Wir machen Prävention und versuchen, sie dazu zu bringen, die Bewegung zu verlassen», erklärt Jürg Bühler von der Dienststelle Analyse und Prävention des BAP. «Und wir versuchen, einen gewissen Dauerdruck auf sie auszuüben. Das wirkt zwar nicht immer 100-prozentig, aber sie wissen, dass wir ein Auge auf sie haben».

Die Tatsache, dass die meisten Aktivisten erfasst sind, zunächst bei der Kantonalpolizei, dann beim BAP, erleichtert die Untersuchungen bei Gewalttaten sehr. Das war letzte Woche in Klingnau (AG) festzustellen, wo die Angreifer zweier junger Türken nur Stunden nach der Tat gefasst wurden.

Was unternehmen Polizei und Justiz?

Aber mehr kann die Polizei nicht tun. «Gegen Leute, die noch nichts verbrochen haben, können wir natürlich keine Zwangsmassnahmen ergreifen. Das ist der Preis der Freiheit in einer Gesellschaft wie der unseren», fügt Bühler bei.

Seit 1994 gibt es im Schweizer Strafrecht einen Artikel, dank dem rassistische Taten gerichtlich verfolgt werden können. Genügt diese Norm im Kampf gegen die Neonazis?

«Es ist gut, dass es den Artikel gibt, aber er weist viele Schwächen auf», stellt Boël Sambuc, Vizepräsidentin der eidgenössischen Kommission gegen den Rassismus fest. Seine Hauptschwäche ist, dass zuerst die öffentliche Ordnung geschützt werden muss und die Opfer erst an zweiter Stelle kommen.»

Damit eine rassistische Tat auch wirklich bestraft wird, muss sie öffentlich begangen werden. Das schränkt die Interventionsmöglichkeiten der Justiz beträchtlich ein.

Aber die Schweiz geht möglicherweise noch weiter. Zur Zeit zirkuliert im Justiz- und Polizeidepartement ein Projekt, wonach die Nazisymbole und der Nazigruss, welche heute nicht verboten sind, klar als gesetzeswidrig bezeichnet werden könnten.

Boël Sambuc erhofft sich viel von dieser Revision des Strafrechts. Ihrer Ansicht nach muss die Gesellschaft diese latente Gewalt nicht tolerieren, deren Hauptmerkmal es ist, immer auf die Schwächeren loszugehen.

«Vor allem dürfen wir die Diskussion nicht einschlafen lassen», warnt die Vizepräsidentin der eidgenössischen Kommission gegen den Rassismus. Auch nicht, wenn die Bewegung der Skins langsam einschläft.

Marc-André Miserez

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