
Zorn in Russland über Verurteilung von Kalojew

Die Medien in Russland zeigen sich bestürzt auf das Urteil im Prozess gegen den Russen, der in Zürich einen Fluglotsen von skyguide ermordet hatte.
Witali Kalojew war am Mittwoch in Zürich zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Ein russischer Medienexperte äussert sich im Gespräch mit swissinfo über die Reaktionen auf das Urteil.
Die Zürcher Richter hätten gegenüber Kalojew mehr Gnade zeigen können, darin seien sich die russischen Zeitungen einig, sagt Yassen Zassourskj, Rektor der Journalismus-Fakultät an der Universität Moskau. Schliesslich habe Kalojew bei einem Flugzeugabsturz über dem Schweizer Luftraum seine Frau und zwei Kinder verloren.
Zudem sei der Eindruck weit verbreitet, dass die Schweizer Flugsicherung skyguide es verpasst habe, Verantwortung für die Katastrophe zu übernehmen. Das habe dem Image der Schweiz in Russland sehr geschadet, so Zassourskj weiter.
swissinfo: Wie wurde über das Urteil in Russland berichtet?
Yassen Zassourskj: Die russischen Zeitungen schrieben viel über den Prozess. Die Berichte konzentrierten sich auf zwei Punkte: Erstens auf den Urteilsspruch, der einigen Zeitungen zufolge dem persönlichen Verlust von Kalojew und dem anderer Eltern, die bei der Katastrophe Kinder verloren hatten, nicht genügend Rechnung trägt.
Zweitens halten sie Kalojew zwar für schuldig, finden aber, dass er wegen seines grossen Verlustes Gnade verdient hätte. Die meisten Blätter halten das Urteil für zu hart.
Das Thema schaffte es zwar nicht auf die Front der Zeitungen, wurde aber im Nachrichtenteil der Presse sowie im Radio und Fernsehen breit abgedeckt.
swissinfo: Hier war zu hören, dass sich die Russen möglicherweise von skyguide eine stärkere Anteilnahme am Leid der Hinterbliebenen gewünscht hätten.
Y.Z.: Die Schweizer Flugsicherung zeigte nicht genügend Anteilnahme und nahm ihre Ermittlungen nicht so schnell auf, wie sie es gekonnt hätte. Das ist sicherlich eines der Hauptprobleme, das in den russischen Zeitungen diskutiert wird.
Sie geben dem Missmanagement bei skyguide die Schuld an der Katastrophe. Während Kalojew verurteilt wurde, habe skyguide bisher keine echte Rechenschaft über das Missmanagement und den Mangel an Professionalität ablegen müssen, so der Tenor in den russischen Medien.
swissinfo: Könnten auch kulturelle Missverständnisse zwischen der Schweiz und Russland zu Kalojews Tat geführt haben?
Y.Z.: Selbstverständlich hofften die Nordosseten auf Beileidsbekundungen und Anteilnahme sowie auf ein Schuldeingeständnis. Man war sehr überrascht, dass die Schweiz, die hier für die Hochhaltung der Menschenrechte bekannt ist, in diesem Fall so herzlos reagierte.
Einige Zeitungen schrieben, dass die Tat von Kalojew eine emotionale Reaktion auf den Tod seiner Kinder sei. Selbstverständlich hätte er das laut der Presse nie tun dürfen, aber das Versäumnis der Schweizer Behörden, eine wirkliche Ermittlung einzuleiten und die Schuldigen zu verurteilen, hätten ihn zu dieser Tat getrieben.
swissinfo: Wie stark hat dieser Fall das Image der Schweiz in Russland beschädigt?
Y.Z.: Die Schweizer Justiz steht in Russland nun in einem schlechten Licht da. Wir hatten auch den Fall von Jewgeni Adamow, dem ehemaligen russischen Atomenergieminister, der in der Schweiz in Auslieferungshaft steckt, um an die USA ausgeliefert zu werden. Hier reagierten die Schweizer Behörden sehr schnell.
Als aber viele russische Kinder bei dem Flugzeugabsturz ums Leben kamen, reagierten die Schweizer erst mit Verzögerung und schienen nicht wirklich interessiert. Das schürt die schlechte Stimmung. Das gute Image der Schweiz ist in Russland zerstört.
swissinfo-interview: Morven McLean
(Übertragung aus dem Englischen: Nicole Aeby)
1.7.2002: Eine Passagiermaschine der Bashkirian Airlines kollidiert mit einem Frachtflugzeug der DHL über dem Schweizer Flugraum. 71 Menschen, darunter 45 Kinder, werden getötet.
24.2.2004: Der Fluglotse von skyguide, der bei dem Absturz Dienst hatte, wird erstochen.
25.2.2004: Der russische Architekt Witalj Kalojew, dessen Frau und Kinder beim Absturz ums Leben kamen, wird im Zusammenhang mit der Tötung des Fluglotsen verhaftet.
26.10.2005: Ein Zürcher Gericht befindet Kalojew der vorsätzlichen Tötung für schuldig und verurteilt ihn zu 8 Jahren Zuchthaus.
In einem Interview mit der russischen Zeitung «Iswestija» klagte Witali Kalojew am Freitag die Schweizer Justiz an, ihr fehle der Sinn für Gerechtigkeit.
Das Schweizer Gericht habe die 71 Opfer der Flugzeugkastastrophe nicht bedacht und er glaube, dass skyguide zu leicht davongekommen sei, sagte er weiter.
Mit einigen Ausnahmen verstehen die Schweizer laut Kalojew nicht, was Erbarmen ist. Niemand hätte sich für die Geschehnisse entschuldigt.

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