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Maskenatteste: Bundesgericht pfeift Aargauer Obergericht zurück

Keystone-SDA

In einem Fall von Maskenattesten eines Arztes während der Corona-Pandemie hat das Bundesgericht das Aargauer Obergericht gerügt. Die Lausanner Richter hoben das Urteil des Obergerichts auf. Dieses stellte den Sachverhalt laut Bundesgericht willkürlich fest.

(Keystone-SDA) Der Fall des Allgemeinmediziners im Rentenalter beschäftigt die Justiz seit mehr als drei Jahren. Die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten klagte den Mann wegen mehrfachen Ausstellens eines falschen ärztlichen Zeugnisses an.

Der Präsident des Bezirksgerichts Bremgarten verurteilte den Arzt wegen mehrfachen Ausstellens eines falschen ärztlichen Zeugnisses in 17 Fällen schuldig. Er verurteilte den Mann zu einer bedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten sowie zu einer Busse von 5000 Franken. Der Arzt war während der Covid-19-Pandemie bekannt dafür, dass er für fast 100 Personen ohne genaue Abklärungen Maskendispense ausstellte.

Das Aargauer Obergericht bestätigte das Urteil im Februar 2024. Der Arzt zog den Schuldspruch ans Bundesgericht weiter und forderte im Wesentlichen einen Freispruch. Die Lausanner Richter stützen weitgehend seine Sicht: Sie haben das Urteil aufgehoben. Die Vorinstanz habe «den Sachverhalt (anhand der in den Akten vorhandenen Beweismittel) willkürlich festgestellt», heisst es im am Donnerstag publizierten Urteil.

Obergericht muss über die Bücher

Das Obergericht muss den Fall neu beraten und sich um die Beweise kümmern. Bei einer Hausdurchsuchung im Januar 2022 war der Arzt aufgefordert worden, die Passwörter für sein Mobiltelefon und seinen Personalcomputer vollständig offen zu lesen. Dies tat der Mann, aber er war nicht über sein Mitwirkungs- und Aussageverweigerungsrecht informiert worden.

Das Obergericht hatte festgehalten, bei der Hausdurchsuchung sei er nicht durch Polizeibeamte befragt worden. Daher habe keine Pflicht bestanden, den Mann über seine Rechte zu informieren. Doch die Lausanner Richter legen hier – wie in früheren Urteilen – eine strenge Richtschnur an: Sämtliche Textnachrichten erweisen sich demnach als «absolut unverwertbar», wie es in den Erwägungen des Bundesgerichts heisst.

Es gebe auch keine Folgebeweise. Sinngemäss fehlt laut Bundesgericht für sämtliche der 17 ausgestellten ärztlichen Zeugnisse mit Masken- und Impfdispensen der Beweis, dass diese ohne nur annähernde Hinweise auf medizinische Gründe ausgestellt wurden.

Unschuldsvermutung verletzt

Das Obergericht habe die Unschuldsvermutung und die Beweislastregel verletzt. Ein Gericht dürfe einen Angeklagten nicht einzig mit der Begründung verurteilen, er habe seine Unschuld nicht nachgewiesen. Das Obergericht stütze sich auf die «pauschalisierte Feststellung», wonach die Anfragen um Dispens nicht aus medizinisch indizierten Gründen, sondern zumeist aus massnahmenkritischen Gründen erfolgt seien.

Das Obergericht blende auch SMS-Mitteilungen und Aussagen des Arztes «praktisch vollständig aus», die das Gegenteil belegten. Das Bundesgericht schreibt in diesem Zusammenhang von einem «Generalverdacht».

Es hob das Urteil des Obergerichts auf. Dieses müsse nun prüfen, wie sich die absolute Unverwertbarkeit der SMS-Nachrichten auf ein Urteil auswirke. Das Gericht müsse den Sachverhalt neu erstellen und soweit wie angezeigt neue Beweise suchen. Der Kanton Aargau hat dem Arzt für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von 3000 Franken zu bezahlen. (Urteil 6B_277/2024 vom 29.10.2025)

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