Martina Bircher, mit politischem Instinkt und konservativer Agenda
Ihre Kritiker sehen sie als typische SVP-Hardlinerin, die strikt gegen Asylmissbrauch und Sozialbetrug vorgehen will. Martina Bircher selbst sieht sich als intuitive Macherin mit "einem starken Sinn für Gerechtigkeit".
Gleich beim ersten Treffen mit Martina Bircher zeigt sich: Die Frau ist aufmerksam und sagt, wenn sie etwas stört. Als der Autor den Interviewtermin mit ihr vereinbaren will, schielt sie auf seine Notizen. Dabei sieht sie eine ungenaue Formulierung und korrigiert diese gleich selbst.
Zehn Tage später bestätigt sich der erste Eindruck. Es ist Wintersession, und die 35-Jährige erscheint pünktlich zum Interview. Als sie die ersten Antworten gibt, wird klar, dass sie sich perfekt vorbereitet hat: Ohne Zögern antwortet die Neu-Nationalrätin und verrät entschlossen, was sie als Politikerin bewegt und antreibt.
«Bin eine Macherin»
«Ich bin eine Macherin, jemand, der Missstände bekämpfen will», sagt sie. Bircher eilt ihr Ruf voraus: Sie gilt als konservative Hardlinerin, die Recht und Ordnung durchsetzen will, vor allem im Asyl- und Sozialwesen.
Bircher wird 2014 in den Gemeinderat von Aarburg gewählt. Drei Jahre später ist sie Teil des Grossen Rates des Kantons Aargau und dort in der Sozial- und Gesundheitskommission tätig. Sie sorgt schweizweit für Schlagzeilen, als sie Kürzungen bei der Sozialhilfe und Geburtenkontrollen für Familien von Asylsuchenden fordert. Nirgendwo sonst im Aargau hat es so viele Sozialhilfeempfänger wie in der Kleinstadt Aarburg.
Im vergangenen Oktober haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger der Schweiz das bisher weiblichste Parlament der Geschichte gewählt. Obwohl die Parität noch nicht erreicht ist, stellen Politikerinnen nun 42% im Nationalrat. Aus diesem Anlass porträtiert swissinfo.ch acht neu gewählte Frauen aus verschiedenen Parteien.
«Ich will die Dinge verbessern. Wo es Probleme gibt, will ich sie lösen», sagt sie. Ein starker Sinn für Gerechtigkeit treibe sie an. Die rund 160 Zentimeter grosse Frau wird öfters unterschätzt. «Während der Schulzeit sagte ein Lehrer einmal zu mir, dass aus mir nicht viel mehr werden würde als eine Hausfrau und Mutter.»
Dies löste etwas in ihr aus. Heute ist Bircher stolz darauf, in verschiedenen Bereichen erfolgreich zu sein: Sie ist Finanzspezialistin bei der Post, Mutter eines kleinen Sohnes und seit vergangenem Oktober Teil des 200-köpfigen grossen Kammer des Schweizer Parlaments.
Ehrgeizige Parteisoldatin
Sie sagt, dass sie authentisch bleiben wolle, die Dinge auf ihre eigene Weise angehen und Schritt für Schritt auf Ziele hinarbeiten. Auf die Frage nach möglichen Vorbildern weicht Bircher zuerst aus und erklärt: «Ich mache alles aus Intuition heraus, so wie ich es für richtig halte.» Doch sie bewundere Sebastian Kurz, den jungen konservativen Bundeskanzler in Österreich.
Was ihre Ambitionen betrifft, unterscheidet sie sich kaum von anderen Politikern. «Vieles in meiner Karriere hat sich aus Zufällen ergeben», sagt sie. «In der Politik geht es sowieso nicht um persönliche Ziele, sondern darum, mit den eigenen Werten unser Land zu verbessern.»
Von ihrer eigenen Partei, der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei, wird Bircher als junge Hoffnungsträgerin angesehen. Ihre politischen Gegner bezeichnen sie oft als unverblümt und rüpelhaft, doch auch sie erkennen ihr feines Gespür für wichtige Themen. Sie gilt auch als kühle Taktikerin, geschickt im Umgang mit Medien, und als fleissige Parteisoldatin, welche die Ideen aus der Zentrale in die Lokalpolitik trägt.
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Martina Bircher
Bircher wurde 2014 in den Aarburger Gemeinderat gewählt und ist dort für die Ressorts Soziales, Gesundheit und Jugend zuständig.
Von 2017 bis 2019 war sie im Grossen Rat des Kantons Aargau.
Im vergangenen Oktober wurde sie in den Nationalrat gewählt.
Eine ehemalige Kollegin im Aargauer Grossen Rat lobt Bircher. Sie sei «jung, erfrischend, ehrgeizig und manchmal recht ungestüm» gewesen, aber stets mit einem Gespür für eine «realistische» Politik. «Sie ist sich und ihrer Fähigkeiten bewusst und steckt sich entsprechend hohe Ziele.» Bircher rede ungern um den heissen Brei herum und sei sich ihrer Qualitäten bewusst.
Für E-Voting im Ausland
Bircher trat 19-jährig der SVP bei, ohne Hilfe von aussen und ohne konkrete Karrierepläne. 15 Jahre später, nach Posten in einer lokalen Exekutive und einer kantonalen Legislative – den klassischen Stationen in einer Schweizer Politikerinnen- und Politikerlaufbahn –, macht sie nun ihre ersten Schritte auf der nationalen Polit-Bühne.
«Ich habe schon gezweifelt und mich gefragt, ob ich der Aufgabe wirklich gewachsen bin», sagt Bircher. Sie sei von der Komplexität der Verfahren im Zweikammersystem fast überwältigt worden. Die Arbeit sei viel anspruchsvoller als jene auf kantonaler Ebene.
Doch sie ist rasch aktiv geworden, lieferte sich Debatten über das Gesundheitswesen und die Legalisierung von Cannabis, obwohl ihre Fachgebiete Soziales und das Asylwesen sind. Bircher sagt, sie «habe einige Ideen, die Aufsehen erregen werden».
Sie möchte, dass das Parlament die Sozialversicherungsbeiträge einschränkt. Das soll vor allem für Flüchtlinge gelten, die Geld an ihre Familien ins Ausland schicken, wie sie jüngst dem Zofinger Tagblatt erklärte. Ein weiteres Anliegen ist die Erhöhung des Renteneintrittsalters für Frauen von 64 auf 65 Jahre.
Zudem ist sie gegen die Einführung einer CO2-Steuer, die zurzeit im Parlament diskutiert wird. «Die Leute haben eine Eigenverantwortung. Es braucht keine staatliche Einmischung. Und freiwillige Massnahmen existieren ja bereits», sagt sie. Sie findet auch, dass die Schweiz die Dienstpflicht für Frauen in Betracht ziehen könnte. «Nicht unbedingt in der Armee, aber im Sozialbereich oder Bevölkerungsschutz.»
E-Voting ist ein weiteres Thema, das sie beschäftigt. Die aktuellen Online-Systeme seien zu anfällig für Hackerangriffe, sagt sie. «E-Voting ist im Prinzip eine gute Idee, und die Auslandschweizer würden sicher profitieren, aber das Sicherheitsrisiko ist noch zu hoch.»
Sie will die politischen Rechte von Auslandschweizern, welche keine Steuern in der Schweiz bezahlen, unbedingt beibehalten. Forderungen, etwa das Stimmrecht für Auswanderer der zweiten oder dritten Generation einzuschränken, lehnt sie ab. Bircher ist Ehrenmitglied der SVP Landes-Sektion Spanien. «Dort», so sagt sie «würden sie mir nie vergeben, wenn ich solche Beschränkungen unterstützen würde».
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(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)
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