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Genfer Plattform hilft Klimaflüchtlingen auf der ganzen Welt

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Der südpazifische Inselstaat Kiribati hat mehr als 110'000 Einwohner. Die niedrige Lage von durchschnittlich 2 Metern über dem Meeresspiegel macht es zu einem der gefährdetsten Länder durch den Meeresspiegelanstieg und anderen Auswirkungen des Klimawandels. Reuters / David Gray

Die Vertreibung des Menschen durch Katastrophen gilt als eine der grössten humanitären Herausforderungen dieses Jahrhunderts. Die in Genf ansässige "Platform on Disaster Displacement" befasst sich mit dem Thema Klimaflüchtlinge.

Nach Schätzungen des in Genf ansässigen Internationalen Panels über Klimawandel (IPCCExterner Link) könnte ein Temperaturanstieg von 2°C den Meeresspiegel so weit ansteigen lassen, dass bis zum Ende dieses Jahrhunderts die Heimat von 280 Millionen Menschen überflutet sein wird.

Gegenwärtig sind viele Länder und Regionen Jahr für Jahr von Katastrophen betroffen. Allein im Jahr 2018 waren 17,2 Millionen MenschenExterner Link in 148 Ländern und Gebieten aufgrund von Katastrophen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, und 764’000 Menschen in Somalia, Afghanistan und mehreren anderen Ländern wurden infolge der DürreExterner Link vertrieben.

“Wir kennen das Ausmass des Problems in Bezug auf die Anzahl Menschen, die aufgrund plötzlicher Katastrophenereignisse ihre Heimat verlassen müssen. Aber wir wissen nicht, wie viele dieser Menschen dann tatsächlich die Grenzen überqueren”, erklärt Walter KälinExterner Link, Gesandter der Präsidentschaft der Genfer Plattform für Katastrophenvertriebene (“Platform on Disaster Displacement”), der Nachfolgeorganisation der Nansen-InitiativeExterner Link.

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Die Schweiz und Norwegen lancierten 2012 diesen zwischenstaatlichen Prozess, um den Staaten eine “Toolbox” an die Hand zu geben, wie sie sich auf die durch die Folgen des Klimawandels erzeugte Migration vorbereiten können. 

Klimaflüchtlinge – wie der Fall von Ioane Teitiota von der Pazifikinsel Kiribati, über den der UN-MenschenrechtsausschussExterner Link kürzlich ein historisches Urteil fällte (siehe Infokasten unten) – haben internationale Schlagzeilen gemacht. Ihre Geschichten hallen nach und spiegeln jene der Konfliktflüchtlinge.

Dennoch ist das Thema äusserst komplex, sagen Experten. Die 1951 unterzeichnete Konvention über den Status von Flüchtlingen sieht den Klimawandel nicht als Flucht- und Asylgrund vor. Die Klimamigration findet hauptsächlich im Innern von Ländern statt, also intern. Sie ist nicht unbedingt erzwungen, und das Auseinanderhalten von Umwelt- oder Klimafaktoren ist schwierig.

“Die Vertreibung durch eine Katastrophe ist wirklich ein Querschnittsthema”, erklärt Kälin. “Es hat mit Klimawandel, Katastrophen, Migration, humanitären Einsätzen und Entwicklungshilfe zu tun … und in den meisten Fällen ist die Vertreibung multikausal.”

Kai Reusser / swissinfo.ch

Mehrere Akteure

Die im Mai 2016 ins Leben gerufene Plattform für katastrophenbedingte VertreibungenExterner Link ist nur eine von mehreren internationalen Initiativen, die versucht, solchen gefährdeten Menschen zu helfen. Das staatlich geführte Projekt (19 beteiligte Länder, darunter die Schweiz) will Menschen besser schützen, die “im Zusammenhang mit Katastrophen und den negativen Auswirkungen des Klimawandels grenzüberschreitend vertrieben werden”.

Andere in Genf ansässige Organisationen sind ebenfalls sehr aktiv in diesem Gebiet, beispielsweise die Internationale Organisation für MigrationExterner Link (IOM), die ein Portal für UmweltmigrationExterner Link geschaffen hat. Auch das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) widmet sich dem Thema der Klimawandelbedingten VertreibungExterner Link.

Im Anschluss an die Pariser Klimagespräche im Jahr 2015 sah die UN-Klimarahmenkonvention (UNFCC) die Einrichtung einer Task Force über VertreibungExterner Link vor. Inzwischen ist das “Internal Displacement Monitoring Centre” (IDMCExterner Link) eine führende internationale Einrichtung zur Überwachung konflikt- und katastrophenbedingter Binnenvertreibungen weltweit. 

Im Vergleich zu 2012, als die Nansen-Initiative lanciert wurde, gibt es laut Kälin jetzt ein viel grösseres Interesse an Katastrophenvertriebenen und sie werden in der internationalen Gemeinschaft als eine Herausforderung anerkannt.

Er verweist auf die Einbeziehung von Katastrophenvertriebenen in das Sendai Rahmenwerk zur Minderung von KatastrophenrisikenExterner Link und in die Ziele des Globalen Pakts für eine sichere, geordnete und reguläre MigrationExterner Link.

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Im Moment haben dieser verstärkte Fokus und die Vervielfachung der Initiativen und Akteure nicht wirklich zu einer Arbeitssteigerung oder einem Wettbewerb geführt, so Etienne PiguetExterner Link, Professor an der Universität Neuenburg und Experte für Migrationspolitik. “Die an den verschiedenen Initiativen beteiligten Personen kennen sich und tauschen Informationen aus. Langfristig hoffen wir, dass es mehr Klarheit darüber gibt, wer was tut, aber die Zunahme der Zahl der Akteure ist positiv”, sagt er.

Kälin stimmt zu: “Es ist nicht perfekt. Ich meine, Silos sind Silos. Sie wissen, wie schwer es ist, Silos zu überwinden und zu verbinden. Aber ich denke, wir sind auf einer sehr abstrakten Ebene auf dem richtigen Weg. Die grosse Herausforderung besteht darin, all diese abstrakten Arbeiten in die Realität umzusetzen.”

Anders als die IOM oder das UN Office for Disaster Risk Reduction (UNDRR) sei die Genfer Plattform keine operative Organisation, sondern konzentriere sich auf politisches Engagement, erklärt er.

Zu ihrer aktuellen Strategie gehört auch die Unterstützung der Staaten beim Austausch bewährter Praktiken, um besser mit Menschen umgehen zu können, die durch Katastrophen grenzüberschreitend vertrieben wurden, sowie die Stärkung nationaler und regionaler Kapazitäten. Regionale Programme wurden zum Beispiel in Zentralamerika, Südamerika und Fidschi eingeführt, und die Plattform arbeitet mit der Intergovernmental Authority on Development (IGAD) zusammen, einem Acht-Länder-Block in Ostafrika.

“Es mag den Anschein erwecken, dass nichts produziert wird, aber wir brauchen diese Art von Institution, um den Dialog zwischen den Partnern zu ermöglichen”, sagte Piguet.

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Schweizer Politik

Die Schweiz ist besorgt über das Problem der durch Katastrophen und Klimawandel vertriebenen Menschen. Nachdem sie die Nansen-Initiative mit lanciert hat, bleibt sie weiterhin aktives Mitglied der Nachfolge-Plattform. Seit 2016 hat sie der Organisation, die sechs Mitarbeitende beschäftigt, jährlich 1,1 Millionen Franken gespendet.

Im gleichen Bereich finanziert das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten auch die in Washington ansässige Global Knowledge Partnership on Migration and Development (KNOMAD)Externer Link und unterhält eine strategische Partnerschaft mit der IGAD, die darauf abzielt, den Umgang mit Migranten und Flüchtlingen, die von Naturkatastrophen und dem Klimawandel am Horn von Afrika betroffen sind, zu verbessern.

Laut Piguet ist die Schweiz in zahlreichen Organisationen in diesem Bereich sehr engagiert, darunter IOM und UNHCR.

Er kritisiert jedoch, dass die Schweiz zwar den Globalen Pakt für Flüchtlinge ratifiziert hat, nicht aber den parallel dazu laufenden Globalen Migrationspakt, den sie mitgestaltet hat und der den Fokus auf Katastrophenvertriebene legt.

“Das ist schädlich für die Schweiz, weil es von einer ganzen Reihe von Partnern nicht ganz verstanden wurde”, sagt Piguet. “Der Start war schlecht, und das ist bedauerlich. Aber ich denke, wir können die Dinge immer noch korrigieren.”

Der Fall von Ioane Teitiota

Am 21. Januar veröffentlichte der UNO-Menschenrechtsausschuss eine nicht bindende EntscheidungExterner Link für Ioane Teitiota aus dem pazifischen Staat Kiribati, der 2016 ein Verfahren gegen Neuseeland einleitete, nachdem die Behörden seinen Asylantrag als Klimaflüchtling abgelehnt hatten.

Teitiota wanderte 2007 nach Neuseeland aus und beantragte den Flüchtlingsstatus, nachdem sein Visum 2010 abgelaufen war. Er behauptete, die Auswirkungen des Klimawandels und der steigende Meeresspiegel hätten ihn zur Migration gezwungen. Im September 2015 wurde er nach Kiribati abgeschoben.

Der Ausschuss bestätigte die Entscheidung Neuseelands, weil dieser bei einer Rückkehr nicht unmittelbar gefährdet sei. Aber er bestätigte, dass Umweltzerstörung und Klimawandel zu den dringendsten Bedrohungen des Rechts auf Leben gehören.

“Ohne ernsthafte nationale und internationale Bemühungen können die Auswirkungen des Klimawandels den Einzelnen in den Aufnahmestaaten in seinen Rechten verletzen”, so der Ausschuss. Dies würde zu einer Non-Refoulement-Verpflichtung führen, die es einem Land verbietet, Asylsuchende in ein Land auszuschaffen, in dem sie wahrscheinlich in Gefahr wären.

Folgen des UNO-Entscheids

Die Asylentscheidung des UNO-Menschenrechtsausschusses vom 21. Januar (siehe Infobox oben) konzentriert sich auf den Fall von Ioane Teitiota, dessen Heimat – die Pazifikinsel Kiribati – durch den steigenden Meeresspiegel bedroht ist.

Laut Kälin ist der Entscheid historisch, aber seine unmittelbare Wirkung sei “sehr begrenzt”: “Er schafft keinen Flüchtlingsstatus. Es bedeutet nicht, dass wir jetzt viele Menschen haben, die die vom Ausschuss festgelegten Bedingungen erfüllen. Sie sind ziemlich streng.”

Piguet sagt: “Ich glaube nicht, dass wir nach dieser Entscheidung mehr Klimaflüchtlinge haben werden. Es ist ein symbolisches Urteil. Es zeigt das Bewusstsein, dass in bestimmten Regionen die Gefahr der Vertreibung besteht und dass in einigen Ländern die Nicht-Zurückweisung dieser Menschen zu einem Problem wird.”

Die Schweizer Regierung sagte 2007Externer Link, dass die Schaffung eines Flüchtlingsstatus für Umweltflüchtlinge und eine damit zusammenhängende Änderung des Asylrechtes nicht angezeigt sei.

Anja Klug, Leiterin des UNHCR-Büros für die Schweiz und Liechtenstein, sagt: “Ich erwarte nicht, dass sich Asylanträge in der Schweiz allein auf den Klimawandel stützen, aber es gibt Anträge, bei denen der Klimawandel ein Faktor ist.”

Kate Schuetze, Pazifik-Forscherin bei Amnesty International, sagt: “Die Entscheidung schafft einen weltweiten Präzedenzfall… die Botschaft ist klar: Pazifische Inselstaaten müssen nicht unter Wasser sein, bevor sie Menschenrechtsverpflichtungen zum Schutz des Rechts auf Leben auslösen. 

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(Übertragung aus dem Englischen: Sibilla Bondolfi)

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