«Die einzige friedliche Lösung für Venezuela sind Wahlen»
Die Länder, die Juan Guaidó als Interimspräsident Venezuelas anerkannt haben – die Schweiz gehört nicht dazu –, plädieren für die Durchführung von Wahlen. "Es ist die einzige Lösung", sagt auch Yanina Welp. Laut der Forscherin am Zentrum für Demokratie Aarau werden andere Auswege aus der Krise autoritär und oder gewalttätig enden.
Aussendepartement nimmt Stellung
«Das Schweizer Aussendepartement EDA teilt auf Anfrage von swissinfo.ch schriftlich mit: «Die Schweiz verfolgt die Ereignisse in Venezuela aufmerksam und mit Sorge. Seit 2016, wenn nicht früher, weist Venezuela gravierende Mängel in Bezug auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Menschenrechte auf. Angesichts der jüngsten Entwicklungen fordert die Schweiz die beteiligten Parteien nachdrücklich auf, Zurückhaltung zu üben und die politische Krise verfassungskonform zu lösen. Grundsätzlich erkennt die Schweiz nur Staaten an, nicht Regierungen. Die Nationalversammlung Venezuelas wurde 2015 demokratisch gewählt. Ihre Kompetenzen müssen respektiert und die Sicherheit der Parlamentarier und des Parlamentspräsidenten Juan Guaidó gewährleistet werden.»
swissinfo.ch: Die meisten EU-Länder haben Juan Guaidó als Interimspräsident Venezuelas anerkannt. Die offizielle Position der Schweiz ist, dass sie keine Regierungen anerkenne, sondern nur Staaten. Wie beurteilen Sie diese Position?
Yanina Welp: Ich denke, sie ist ein Fehler. Auch wenn es stimmen mag, dass das Völkerrecht bei den Kriterien für die Anerkennung eines Staats klarer ist als bei denen für die Anerkennung von Regierungen: Es wäre wichtig, dass ein Land wie die Schweiz auch bei einem Regierungswechsel Stellung nimmt.
Die Schweiz beansprucht für sich, demokratische Prinzipien nicht nur zu praktizieren, sondern auch zu verteidigen. Die Regierung von Nicolás Maduro in Venezuela verstösst seit Jahren gegen diese Prinzipien.
swissinfo.ch: Widerspiegelt die Unterstützung für Maduro oder Guaidó, dass es in Venezuela weniger um die Demokratie als um geopolitische und wirtschaftliche Interessen geht?
Y.W.: Die Anerkennung von Regierungen bringt oftmals mehr politische als rechtliche Interessen mit sich. Das sieht man daran, dass sich lateinamerikanische Länder, aber auch europäische – insbesondere Spanien – der «venezolanischen Sache» für den nationalen Wahlkampf bedienen.
Wenn man bedenkt, dass Maduro von Russland, der Türkei, China und dem Iran unterstützt wird, besteht kein Zweifel daran, dass viele Interessen auf dem Spiel stehen. Ich glaube, dass geopolitische Interessen im Moment mehr Gewicht auf dem internationalen Schachbrett haben, als wirtschaftliche.
swissinfo.ch: Ist die Ausrufung von Wahlen eine Lösung?
Y.W.: Auf jeden Fall. Es ist die einzige Lösung, um einen friedlichen und demokratischen Weg aus der gegenwärtigen Sackgasse zu finden. Alle anderen Lösungen werden autoritär und/oder gewalttätig sein. Aber Wahlen durchzuführen ist nicht einfach.
swissinfo.ch: Warum?
Y.W.: Weil es für die Durchführung einer Wahl einen legitimen Akteur geben muss. Wenn nur die Regierung (Maduro) oder nur das Parlament (Guaidó) die Wahlen ausruft, wird der Graben lediglich tiefer.
Es ist unerlässlich, eine Einigung zu erzielen. Denn es geht nicht nur darum, einen Wahltermin festzulegen, sondern auch darum, wer die Wahlen organisieren und überwachen wird.
Die Anti-Chavisten würden das derzeitige Wahlgremium nicht akzeptieren, da es ganz klar unrechtmässig ist. Es gibt viele Beispiele für dessen tendenziöse Handlungen. Und bis jetzt blieben alles Versuche fruchtlos, mit Maduro zu verhandeln. Denn er gab sich unnachgiebig.
Ohne zu verhandeln, kann das von Guaidó angeführte Lager aber nicht vorankommen. Die einzige Lösung besteht deshalb darin, Maduro zu verdrängen und mit anderen Akteuren des Regimes zu verhandeln. Dies setzt die Unterstützung der chavistischen Regierung voraus… und deren Bruch, der vielleicht einsetzt, aber noch nicht so offensichtlich ist. Nur so können Vereinbarungen über die Zusammensetzung des Wahlgremiums, die Listen, die Termine, usw. getroffen werden.
swissinfo.ch: Gibt es einen Ausweg? Wer kann in der Krise vermitteln? Die Schweiz?
Y.W.: Es ist wichtig, radikale Lösungen zu vermeiden, die auch früher nicht funktioniert haben, wie beispielsweise eine militärische Intervention, mit der US-Präsident Donald Trump liebäugelt.
Verhandlungen mit dem klaren Ziel, Wahlen innerhalb eines angemessenen Zeitraums (nicht mehr als drei Monate) auszurufen, ist die einzige Lösung. Eher als die Schweiz, sollten die lateinamerikanischen Länder sich hier einbringen, insbesondere Mexiko und Uruguay. Sie haben ihre Bereitschaft bereits zum Ausdruck gebracht und bringen gute Voraussetzungen mit.
Mehr
«Schweizer in Venezuela hatten nicht zu leiden»
(Übertragung aus dem Spanischen: Kathrin Ammann)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch