“Der Kuhhandel ist nicht der Goldstandard der Paketlösungen”
Es hat funktioniert: Zwar fanden viele Stimmende keinen Gefallen an der Verknüpfung von Unternehmenssteuern und Altersvorsorge. Doch die Dringlichkeit der Vorlagen hat gegenüber der Skepsis angesichtsdes so genannten Kuhhandels überwogen. Das ergab die Nachwahlbefragung des Forschungsinstituts gfs.bernExterner Link.
66,4% oder zwei Drittel Ja: Das klare Verdikt von Herr und Frau Schweizer vom Sonntag zur Paketlösung war ein Vertrauensvotum in die Schweizer Behörden.
Dies zeigt die Nachwahlbefragung des Forschungsinstituts gfs.bern. Bei der online-Befragung haben zwischen dem 17. und dem 19. Mai 4342 Schweizer Stimmberechtigte mitgemacht.
Zwar habe der Kuhhandel keinen Enthusiasmus ausgelöst, denn eine Mehrheit der Befragten hätten sich keinen solchen gewünscht, sagt Urs Bieri, Co-Leiter des Forschungsinstituts gfs.bern.
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Aber es habe inhaltliche Akzeptanz gegeben. “In der Abwägung zwischen der Dringlichkeit von Lösungen und dem Kuhhandel als demokratischem Problem hat erstere vor dem Missmut überwogen.”
“Spezifisches Setting”
Für den Erfolg war laut Bieri ein “sehr spezifisches Setting” ausschlaggebend: zwei Vorlagen, über beide wurde bereits (separat) abgestimmt und beide wurden abgelehnt.
Die Lehren aus den Abstimmungen der letzten Jahre hat laut Bieri die Richtung zum Erfolg gewiesen, und diese lautete: Ohne Paket geht es nicht mehr weiter. “Die letzte erfolgreiche AHV-Revision datiert von 1995. Danach sind die Reformvorschläge allesamt klar an der Urne gescheitert. 2017 dagegen war das Reformpaket 2020 zur Rentensicherung fast erfolgreich gewesen”, sagt Bieri.
“Doch der Kuhhandel ist nicht der neue Goldstandard für Paketlösungen”, mahnt Bieri. Dieser funktioniere nämlich nicht in jedem Fall. “Das Sinnvolle ist nicht immer das Gescheite – es könnte daraus nämlich auch zweimal ein Nein resultieren”, sagt er.
Fundamentalopposition sieht anders aus
Der grösste Rückhalt für die Vorlage von Regierung und Parlament stammte von Personen mit grossem Behördenvertrauen. Es sind dies insbesondere Sympathisierende der Christlichdemokraten (CVP) sowie der liberalen Freisinnigen (FDP): Sie stimmten mit über 80% Ja. Bei der Gefolgschaft der Sozialdemokraten (SP) betrug die Zustimmung über 70%.
Mit 43% Ja deutlich geringer war die Zustimmung von Bürgerinnen und Bürgern, die den Behörden und deren Politik misstrauisch gegenüberstehen. Die Anhängerschaft der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) stimmte immerhin mit 47% Ja für die Behördenvorlage.
Nichts Auffälliges
Dass sich die Stimmenden trotz störendem “Deal” des Parlaments aber nicht vom Gang ins Stimmlokal abhielten liessen, bestätigen auch folgende Zahlen: am Sonntag registrierten die Stimmenzählenden bei den nationalen Vorlagen 49’333 leere Stimmzettel, 8513 waren ungültig.
Laut Politikanalyst Claude Longchamp gelten hier Obergrenzen von 100’000 leeren resp. 10’000 ungültigen Stimmzetteln als erhärtete Hinweise dafür, dass eine Vorlage auf starke Ambivalenz stösst. Das war hier nicht der Fall. So kommentiert Longchamp: “Nichts Auffälliges.”
So stimmten die Auslandschweizer
Zum Schluss noch auf einen Blick, wie die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer gestimmt haben (separate Auszählung nur in 12 Kantonen). Nur in zwei Kantonen (Genf und Appenzell Innerrhoden lag ihr Ja unter demjenigen der örtlichen Stimmbevölkerung, In den restlichen zehn Kantonen fiel ihr Ja stärker aus.
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