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Eigenmietwert: reale Steuer für fiktives Einkommen

Dine Reihe von Einfamilienhäusern
In der Schweiz hat das Wohnen in eigenen vier Wänden Auswirkungen auf das zu besteuernde Einkommen. Keystone / Walter Bieri

Wer in der Schweiz in den eigenen vier Wänden lebt, zahlt dafür eine separate Steuer. Die Besteuerung dessen, was im Steuerjargon "Eigenmietwert" genannt wird, ist eine Schweizer Besonderheit. Mehrere Versuche, dieses System abzuschaffen, sind bereits gescheitert. Doch das Thema taucht wieder auf und verspricht lebhafte Debatten.

Jedes Jahr, wenn die Steuererklärung ausgefüllt wird, müssen Schweizerinnen und Schweizer, die in ihrem eigenen Haus oder ihrer eigenen Wohnung leben, ein Feld mit dem Namen “Eigenmietwert” ausfüllen. Es handelt sich dabei um jenen fiktiven Betrag, der dem Einkommen entspricht, das Eigentümer mit einer Vermietung ihres Wohnraums erwirtschaften könnten.

Erinnerung an Ersten Weltkrieg

Dieses fiktive Einkommen wird zum tatsächlich erzielten Einkommen der Steuerzahlenden hinzugezählt, mit dem Resultat, dass diese ein höheres Einkommen erreichen und somit auch mehr Steuern bezahlen müssen.

Der Eigenmietwert wurde während des Ersten Weltkriegs vorläufig eingeführt. Das Ziel war, damit die Zolleinnahmen des Bundes auszugleichen, die wegen des Kriegs in Europa zusammengebrochen waren. Die vorläufige Massnahme wurde regelmässig verlängert, bis der Eigenmietwert 1958 definitiv eingeführt wurde.

Gleiche Behandlung

Mit dem Eigenmietwert wird auch darauf abgezielt, für eine gewisse Gleichbehandlung zwischen allen Steuerzahlenden zu sorgen, seien es nun Eigentümer oder Mieter. Denn letztere haben nicht die Möglichkeit, ihre Mietkosten in der Steuererklärung von ihrem Einkommen abzuziehen.

Im Gegenzug zur Besteuerung des Eigenmietwerts haben Eigentümerinnen und Eigentümer das Recht, Zinsen auf ihre Hypothekenschuld sowie Kosten für die Instandhaltung oder Renovierung ihrer Immobilie von ihrem Einkommen abzuziehen.

Handelt es sich nun beim Eigenmietwert um eine zusätzliche Steuerbelastung für die Eigentümer? Nun, es hängt alles von der Situation ab.

So bedeutet der Eigenmietwert für einen älteren Eigentümer, der keine grosse Hypothek mehr abzubezahlen hat und keine Renovationsarbeiten vornimmt, klar eine zusätzliche Steuerbelastung, die als ungerecht empfunden werden kann.

Hingegen kann das System für einen Hausbesitzer mit einer grösseren Hypothekenschuld oder einem Gebäude, das einer umfassenderen Renovierung bedarf, vorteilhaft sein. Es kann sogar zu einer steuerlichen Entlastung führen, wenn der Betrag der Zinsen oder Arbeiten die Höhe des Eigenmietwerts übersteigt.

Heikles Dossier

Regelmässig werden Stimmen laut, welche die Abschaffung des Eigenmietwerts fordern. Am häufigsten wird kritisiert, dass er schamlos und ungerecht die Steuerbelastung der Eigentümerinnen und Eigentümer erhöhe, aber auch, dass er ihre Verschuldung fördere. Ein Problem, wenn man bedenkt, dass die Schweizerinnen und Schweizer zu den am höchsten verschuldeten Menschen der Welt gehören, vor allem wegen ihrer Hypothekenschulden.

Bisher sind aber alle Versuche gescheitert, die Steuer abzuschaffen, sei es im Parlament oder an den Urnen. Die jüngste Volksabstimmung zum ThemaExterner Link fand 2012 statt. Die Initiative “Sicheres Wohnen im Alter” wurde abgelehnt, weshalb pensionierte Eigentümerinnen und Eigentümer auch weiterhin Steuern auf den Eigenmietwert zahlen müssen.

Externer Inhalt

Nun kommt die Kommission für Wirtschaft und AbgabenExterner Link (WAK) des Ständerats mit einem neuen Projekt zur Abschaffung des Eigenmietwerts. Der Vorschlag betrifft nur Hauptwohnungen und würde nichts an Zweitwohnungen ändern. Das Projekt, das ausgewogen sein soll, beinhaltet mehrere Varianten.

Die Ausgewogenheit ist in der Tat der Schlüssel zum Erfolg in diesem sehr heiklen Dossier. Besonders wichtig ist, den Eindruck zu vermeiden, man mache den Eigentümern in einem Land, in dem etwa zwei Drittel der Bevölkerung in Mietwohnungen leben, ein “Geschenk”.

Carlo Sommaruga, Nationalrat der Sozialdemokratischen Partei (SP) und Präsident des Schweizerischen Mieterinnen- und MieterverbandsExterner Link, warnte beispielsweise, dass seine Organisation gegen ein Projekt, das für die Mieter ungünstig ist, das Veto einlegen werde.

Alle zufriedenzustellen, wird nicht möglich sein. Mit der Abschaffung des Eigenmietwerts wird es ganz bestimmt Gewinner und Verlierer geben. Das Projekt befindet sich nun im Konsultationsprozess (Vernehmlassung). Dann kommt es ins Parlament und wird schliesslich wohl dem Stimmvolk vorgelegt. Das Thema Eigenmietwert wird die politische Schweiz also noch für einige Zeit beschäftigen.

(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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