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Wie KI die Abstimmung über die E-ID in der Schweiz beeinflusst hat

Abstimmungsplakat zur E-ID
Letztlich entschieden wenige Stimmen über die Schweizer E-ID-Abstimmung. Keystone / Peter Klaunzer

Studien zeigen, dass das Misstrauen gegenüber Künstlicher Intelligenz in der Schweiz wächst, wobei die Nutzung persönlicher Daten durch private Unternehmen zu den grössten Bedenken gehört. Dies könnte erklären, warum ein grosser Teil der Stimmbevölkerung gegen die Digitalisierung von Ausweisdokumenten ist.

Die knappe Zustimmung der Schweizer Stimmbevölkerung zur Einführung der elektronischen Identität (E-ID) bestätigt ihre vorsichtige Haltung gegenüber digitalen Innovationen. Studien zufolge gilt dies auch für die Künstliche Intelligenz (KI).

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KI ist das Symbol für die Ängste vor der Technologie: Sie wird als mächtig, aber undurchsichtig wahrgenommen und von grossen internationalen Unternehmen dominiert. Die StudieExterner Link «Smart and Human» des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI) hat das Misstrauen in der Bevölkerung aufgezeigt. Die meisten der 3000 in der Schweiz, Deutschland und Österreich befragten Personen glaubt, dass KI ihr Leben zum Schlechten verändern wird und dass die Unternehmen gegenüber den Nutzenden profitieren werden, zum Beispiel durch zunehmende Automatisierung und sinkende Löhne. Die Studie zeigt, dass die meisten Menschen den Unternehmen nicht zutrauen, KI verantwortungsvoll einzusetzen.

Hat dieses Misstrauen eine Rolle bei der Zurückhaltung der Schweizer Stimmbürger:innen in Sachen E-ID gespielt?

KI und die Angst vor Überwachung

Dank KI und Technologien wie 5G und der Cloud sind «[digitale] Dienste effizienter, aber diese Hyperkonnektivität ist nicht immer positiv», sagt Gian-Luca Savino, Trendforscher am GDI.

Savino sagt, dass sehr fortgeschrittene Formen der Digitalisierung, bei denen einzelne «Superanwendungen» Zugang zu einem ganzen Ökosystem von Diensten und Funktionen bieten, für die Massenüberwachung missbraucht werden können. Ein prominentes Beispiel ist WeChat in China: Eine App, mit der man praktisch alles machen kann – bezahlen, telefonieren, einkaufen –, über welche die chinesische Regierung jedoch politische Kontrolle und Zensur über die Bevölkerung ausübt.

Solche Missbrauchsbeispiele, die in den Medien oft zitiert werden, tragen zur Skepsis gegenüber fortschrittlicher Technologie in demokratischen Gesellschaften bei. «Unsere Daten zeigen, dass die Bevölkerung besorgt ist, dass die Technologie die Verletzung der Privatsphäre erleichtert», sagt Savino.

Vor allem in der Schweiz scheint die Einstellung gegenüber KI negativer zu sein als in Österreich und Deutschland, wo mehr Menschen sagen, dass sie «Angst» vor KI haben. «Im Vergleich zu ihren Nachbarn äussern die Schweizer mehr negative und weniger positive Emotionen, erwarten, dass KI mehr Schaden in der Gesellschaft anrichten wird und sehen weniger persönlichen Nutzen», sagt Gianluca Scheidegger, Konsumforscher und einer der Autoren der GDI-Studie.

KI und die Macht von Big Tech

Die überwältigende Macht der grossen Technologieunternehmen beeinflusst auch die öffentliche Skepsis gegenüber KI. Es ist inzwischen allgemein bekannt, dass Big Tech über die Daten von Milliarden von Nutzenden verfügt und diese nach Belieben ausnutzt, um beispielsweise ihre KI-Anwendungen leistungsfähiger zu machen. Dies ist beispielsweise beim Chatbot ChatGPT und vielen anderen Tools der Fall.

«Heute ist es der Wilde Westen: Google und Co. verfügen über mehr Daten, als wir zu akzeptieren bereit sind», argumentiert Andy Fitze, Mitbegründer der Forschungs- und Beratungsorganisation Swiss Cognitive. Gemäss Fitze ermöglicht es die KI den grossen Unternehmen, mehr und präzisere Daten zu nutzen. «Die Menschen haben dies erkannt und wollen nun wissen, wo ihre Daten gespeichert sind und wie sie verwendet werden», sagt er. Die Zeiten, in denen persönliche Daten verwendet wurden, ohne dass die Menschen davon wussten oder eine Entschädigung dafür erhalten konnten, seien vorbei.

Das Risiko, dass die Daten in die Hände grosser Technologieunternehmen gelangen, war einer der Hauptgründe für das Referendum gegen die E-ID in der Schweiz. Die «Identitätskontrolle im Internet wird zum finanziellen Steilpass an Big Tech und die Überwachungsökonomie», heisst es etwa auf der WebsiteExterner Link des Komitees «E-ID-Gesetz Nein».

«Viele Menschen zögern bei der Vorstellung, dass ihre Daten in falsche Hände geraten könnten», sagt Angela Müller, Direktorin von AlgorithmWatch CH. Müller begrüsst zwar das Ergebnis der Abstimmung vom Sonntag, glaubt aber, dass dies einen Teil der Bevölkerung dazu veranlasst haben könnte, in der E-ID-Frage mit Nein zu stimmen. Manch eine:r habe befürchtet, angesichts einer als «Naturgewalt» bezeichneten Technologie ins Hintertreffen zu geraten. «Dieses vorherrschende Narrativ verängstigt einen Teil der Wählerschaft», sagt Müller.

Die Demografie spielt bei dieser negativen Wahrnehmung eine Rolle: Die Schweizer Bevölkerung wird immer älter, rund 13% der Bevölkerung sind über 65 Jahre alt, gegenüber 19,9% im Alter von 0 bis 19 Jahren. Die Daten des GDI zeigen, dass ältere Generationen der KI weniger vertrauen. «Ältere Menschen sind viel skeptischer», sagt Savino.

Und: Die über 65-Jährigen sind auch die Gruppe, die in der Schweiz am häufigsten an Volksabstimmungen teilnimmt.

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Demokratien sind zurückhaltender, aber transparenter

Im Allgemeinen scheinen die Menschen in den europäischen Demokratien der Einführung digitaler Dienste zurückhaltender gegenüberzustehen als jene in anderen Teilen der Welt mit anderen politischen Systemen. Die Skepsis gegenüber der Technologie ist in Ländern mit einer stärker polarisierten Politik ausgeprägter, in denen die Kampagnen zwischen den Parteien hitzig sind und die Regierungen härter arbeiten müssen, um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. «Länder mit direkter Demokratie wie die Schweiz sind bekanntermassen langsamer bei der Einführung von Veränderungen», sagt Savino.

Aber die Tatsache, dass die Schweiz bei der Digitalisierung ihrer Dienstleistungen langsamer war als andere Länder, ist nicht unbedingt ein Nachteil. In der Tat ist die Schweiz das Land mit dem «grössten Potenzial für eine demokratiekonforme Digitalisierung», so der Autor einer Studie über die Vorteile einer langsamen Digitalisierung kürzlich gegenüber Swissinfo.

Auch die Schweizer Bevölkerung erkennt die Vorteile der Nutzung digitaler Dienste: Mehr als zwei Drittel der Menschen in der Schweiz haben auf digitalem Weg Kontakt mit der öffentlichen Verwaltung. Das entspricht einer Zunahme von 4% im Vergleich zu 2021, wie die jüngste nationale E-Government-StudieExterner Link zeigt. Die Daten des GDI zeigen, dass bei der Bevölkerung die Effizienz in diesem Bereich die am meisten erwartete Verbesserung dank KI ist.

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Savino ist der Ansicht, dass die vom Staat verwaltete und transparentere Architektur der neuen E-ID, bei der die Öffentlichkeit die Kontrolle über ihre Daten hat und sehen kann, wer wie auf sie zugreift, die Schweiz in eine sehr gute Position versetzt, um digitale Nutzung und Akzeptanz zu erweitern. «Sie zeigt, wie digitale Werkzeuge zum Wohle der Bevölkerung eingesetzt werden können», sagt er.

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