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Fünf Lehren aus dem Zitter-Ja zur E-ID

E-ID Analyse Abstimmung
Der Gesichts-Scan ist Voraussetzung für die elektronische Identität E-ID. Keystone / Anthony Anex

Die Schweiz hat sich am 28. September mit 50,4% sehr knapp für die Einführung einer elektronischen Identität E-ID entschieden. Nach der Abstimmung gibt es Erkenntnisse, die in die Zukunft weisen. Eine Analyse.

1. Die konservative Schweiz hätte die E-ID fast zu Fall gebracht

Das äusserst knappe Ja zur E-ID ist ein Kollateraleffekt: Das Ergebnis wurde von den Wähler:innen beeinflusst, die durch die wichtigste Vorlage des Sonntags mobilisiert wurden: die Abschaffung des Eigenmietwerts.

Das Versprechen von Steuersenkungen trieb die Wählerschaft in den konservativen ländlichen Kantonen an die Urne. In diesen Regionen leben viele Hausbesitzende, die von einem Systemwechsel direkt profitieren würden.

Diese Wählerschaft funktioniert jedoch anders als die urbane, fortschrittliche und technikaffine Schweiz. Sie sind älter und haben ein grösseres Misstrauen zum Ausdruck gebracht: gegenüber den Behörden, aber auch gegenüber einem neuen digitalen Tool, das der Staat anbietet und das man auf seinem Telefon installieren kann. So lehnten Wähler:innen, die sich für die Abschaffung des Eigenmietwerts einsetzten, gleichzeitig die E-ID massiv ab.

Umgekehrt blieb die Mobilisierung für die E-ID aus. Die städtische Bevölkerung, die potenziell eher für das Projekt war, hatte wenig Grund, sich zur Abstimmung zu begeben.

Der konkrete Nutzen der E-ID blieb selbst für dieses Bevölkerungssegment schwer zu erkennen und noch schwerer zu bewerben. Das Hauptargument blieb bis zum Schluss die Idee, die Schweiz an eine ebenso vielversprechende wie wenig fassbare digitale Zukunft anzuschliessen.

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Schweizer Politik

E-ID: Ein sehr knappes Ja

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Ein Ja wurde erwartet, es blieb aber spannend bis zum Schluss. Die elektronische Identität wird mit 50,4% denkbar knapp angenommen.

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2. Ein vorsichtiger, typisch schweizerischer Vorschlag, der knapp überzeugt hat

Im Jahr 2021 lehnte das Schweizer Volk die E-ID mit einem eindeutigen Nein von 64% ab. Damals führten die Übertragung der Verantwortung an private Anbieter und Bedenken hinsichtlich des Schutzes personenbezogener Daten zur Ablehnung.

Diesmal kam die Regierung mit einer Vorlage zurück, welche die Daten gänzlich beim Staat belässt und dem Grundsatz der Datensparsamkeit verpflichtet ist. Nutzerinnen und Nutzer geben nur die unbedingt notwendigen Informationen weiter. So kann jemand beim Weinkauf etwa nachweisen, dass er oder sie volljährig ist, ohne dass jemand ein Geburtsdatum erfährt. 

Der Bund hat somit einen vorsichtigen Ansatz gewählt. Die E-ID ist gratis und dient ausschliesslich dem Nachweis der Identität, ähnlich wie ein physischer Personalausweis. Dieses Vorgehen steht im Gegensatz zu den Systemen, die in den meisten anderen Ländern verfügbar sind. Dort bietet die elektronische Identität oft zusätzliche Funktionen.

Auch wenn diese typisch helvetische Zurückhaltung einen Teil der Wählerschaft zweifellos beruhigt hat, bleibt die Skepsis in weiten Teilen der Bevölkerung gross.

Der Bundesrat, dessen Argumente während der Kampagne offenbar nicht ausreichend wirkten, muss sich nun doppelt anstrengen, um vom Nutzen der E-ID zu überzeugen.

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3. Die Gegner haben trotz ihren Streitigkeiten einen Punkt

Die Kampagne gegen die E-ID war keine geschlossene Front. Selten ist ein Referendumskomitee so dezent aufgetreten – und war so gespalten.

Am Kampf gegen die E-ID beteiligt war die Piratenpartei, die Datenschutz und -transparenz als Kernthemen führt.

Just auf den Abstimmungskampf hin spaltete ein interner Konflikt die Partei in zwei Lager. Man stritt um die Durchführung von Pressekonferenzen und sorgte damit für mehr Aufmerksamkeit als für das Thema.

Gespalten war zunächst auch die SVP. Die Jungpartei konnte die Parlamentsfraktion ihrer Mutterpartei für diesen Kampf nicht ins Boot holen – abgesehen von einer Handvoll Abweichlern im Nationalrat. Dank den Strukturen der Jungpartei kam das Referendum mit 55’638 überhaupt erst zusammen – wenn auch in letzter Minute.

Die Junge SVP spürte die SVP-Basis indes besser als die Mutterpartei. Bereits die Delegierten lehnten eine E-ID klar ab. Erst bei der Delegiertenversammlung im August schloss sich die SVP geschlossen dem Kampf gegen den elektronischen Ausweis an.

Als einzige grosse Partei, die sich für ein Nein aussprach, gelang es der SVP schliesslich, weit über ihre Basis hinaus Unterstützung zu mobilisieren. Der hohe Anteil an Nein-Stimmen (49,6%) und die klare Mehrheit der Kantone gegen das Projekt sind – trotz der Niederlage – ein Erfolg für die konservative Rechte.

4. Zu viele Einsatzmöglichkeiten könnten schaden

In der Schweiz kommt es im Alltag eher selten vor, dass man seinen Ausweis vorzeigen muss. Im Abstimmungskampf über die E-ID wurde oft das Beispiel der Alterskontrolle beim Alkoholkauf angeführt. Tatsächlich gehört das kaum zum Alltag – zumindest, wenn man seine Zwanziger hinter sich hat.

Die Identitätskarte ist bisher vor allem bei Behördengängen oder Auslandsreisen nützlich, also bei Gelegenheiten, die sich höchstens ein paar Mal im Jahr ergeben.

Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass nun die Versuchung wächst, den Einsatz des digitalen Ausweises auch auf andere Zwecke auszuweiten. Banken und andere Wirtschaftsakteure dürften einiges Interesse daran haben, die E-ID in ihre Dienstleistungen zu integrieren, um das Risiko von Betrug oder Geldwäsche zu begrenzen.

Dass die E-ID den Alltag erobert, scheint unvermeidlich. Aus Sicht der Behörden, die 182 Millionen Franken für die Entwicklung der dafür erforderlichen Infrastruktur ausgeben wollen, ist dies zu begrüssen.

Aber Vorsicht vor Euphorie: Die Pflicht, sich ständig auszuweisen, könnte das Vertrauensverhältnis zwischen den Schweizer Bürgerinnen und Bürgern und den Behörden, das bereits am Sonntag erschüttert wurde, weiter schwächen. Letztere sollten eine verhältnismässige Nutzung der E-ID anstreben. Sonst erhalten jene Protest- und staatsfeindlichen Bewegungen neuen Auftrieb, die im Zuge der Covid-19-Pandemie entstanden sind.

5. Die Behörden müssen den «digitalen Analphabeten» die Hand reichen

Die E-ID bleibt freiwillig. Das ist ein klares Versprechen der Befürworter:innen, die dies im Abstimmungskampf versicherten, auch wenn der Begriff «Freiwilligkeit» nicht offiziell im Gesetz steht. Beispiele nach der Einführung der E-ID in anderen Ländern zeigen jedoch, dass es für jene, die darauf verzichten, längerfristig schwierig wird, wenn sie keine Nachteile in Kauf nehmen wollen.

Die E-ID könnte durchaus zur Minimal-Anforderung werden. Das stellt alle vor Hürden, die keine solche wollen oder mit einfachen digitalen Dingen jetzt schon Schwierigkeiten haben. In der Schweiz ist das fast ein Drittel der BevölkerungExterner Link.

Damit wächst die Abhängigkeit von unseren Smartphones, die bereits heute unser privates und berufliches Leben bestimmen. Diese Entwicklung ist kaum abzuwenden. Es braucht begleitend jedoch Massnahmen für eine digitale Fitness, damit die digitale Kluft nicht noch grösser wird.

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Katy Romy

Gibt es eine E-ID im Land, wo Sie wohnen? Welche Vorteile sehen Sie darin – oder welche Befürchtungen löst es bei Ihnen aus?

Teilen Sie Ihre Erfahrungen: Hat Ihr Wohnsitzland bereits eine E-ID eingeführt? Erleichtert sie Ihnen den Alltag?

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Editiert von Marc Leutenegger

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