
Europa ruft – die Schweizer zeigen sich interessiert
Die Schweizer Behörden sind mit einer Flut von Anfragen von Bürgern konfrontiert, die in EU-Ländern leben möchten.
Diese Zunahme ist eine direkte Folge der Inkraftsetzung der bilateralen Verträge mit der EU am 1. Juni.
Viele Schweizerinnen und Schweizer haben sich umgehend mit der neuen Möglichkeit vertraut gemacht, sich in einem der 15 EU-Mitgliedsstaaten niederzulassen.
Laut Roland Flükiger, Chef der Sektion Auswanderung im Bundesamt für Ausländerfragen, wird sein Amt von Telefon- und Internetanfragen regelrecht überflutet.
«Ich denke, die Leute wollen sich vorbereitend über ihre Möglichkeiten informieren und sich bestätigen lassen, dass sie tatsächlich keine Niederlassungs-Bewilligung mehr benötigen», sagt Flükiger gegenüber swissinfo.
Aufgrund der Anfragen liesse sich aber nicht sagen, wie viele dann wirklich auswandern würden.
Die Jungen und die Rastlosen
Laut Flükiger ist insbesondere das Interesse von jungen Leuten im Alter zwischen 18 und 35 Jahren sowie dasjenige von Personen, die kurz vor der Pensionierung stehen, stark angestiegen.
«Pensionierte können nun in diesen Ländern leben, ohne dass sie eine Niederlassungs-Bewilligung benötigen. Vorausgesetzt sie verfügen über ein genügendes Einkommen, so dass sie dem Gastland nicht zur Last fallen.»
Die Schweizer Renten seien dazu jedoch mehr als ausreichend, meint Flükiger.
Probleme
Trotz der neuen Möglichkeiten und dem Traum vom Auswandern bleiben jedoch viele Hürden bestehen.
So gilt etwa beim freien Zugang zum Arbeitsmarkt eine Übergangsfrist bis ins Jahr 2004.
An dieser Frist halten insbesondere die meisten Staaten südlich der Schweiz wie Spanien, Frankreich aber auch Österreich fest. Während die Staaten nördlich der Schweiz wie Deutschland und Grossbritannien bereits heute den freien Zugang zu ihren Arbeitsmärkten gewähren.
Zudem sind sich laut Flükiger viele Amtsstellen in Europa der Änderungen nicht bewusst. «Für die Schweiz war der 1. Juni ein wichtiges Datum und das Ende jahrelanger Debatten und Diskussionen. Aber in Europa hatten die Änderungen kaum Einfluss auf die Menschen oder die Behörden.»
Verwirrung im Ausland
So hätte ihn eine Frau kontaktiert, die auf Kreta gerne ein Geschäft eröffnet hätte, was theoretisch möglich sei, erzählt Flükiger.
In der Praxis sah sich diese Frau jedoch mit einer Mauer bürokratischer Gleichgültigkeit konfrontiert. «Die lokalen Behörden hatten noch nie etwas von den bilateralen Abkommen gehört.»
Flükiger rät deshalb Schweizer Emigranten bei ihrer Ausreise in EU-Staaten zu einem diplomatischen Vorgehen, obwohl sie vielerorts das Recht hätten, sich niederzulassen.
«Es braucht ein bisschen Fingerspitzengefühl. Denn jeder Schweizer, der in die EU auswandert, ist eine Art Pionier.»
Ungenaue Zahlen
Obwohl kein Zweifel besteht, dass das Auswanderungs-Interesse gestiegen ist, sind noch keine genauen Zahlen über die Auswanderung in die EU erhältlich.
Die Schweiz führt laut Flükiger keine Auswanderungs-Akten. Die einzigen Informationen kämen von den Kantonen und Botschaften im Ausland.
Keine Abwanderung von Arbeitskräften
Arbeitgeber-Organisationen haben bis jetzt als Folge der Bilateralen noch keine Änderungen in den Plänen der Arbeitnehmer festgestellt.
Auch die Stellenvermittlungs-Agentur Manpower hat noch keine dramatischen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt registriert. Laut Ergoconsult, die auf die Vermittlung von Führungskräften spezialisiert ist, stehen nur wenige hochqualifizierte Schweizer vor einem Auswanderungs-Entscheid.
Es sei sogar das Gegenteil der Fall, meint Roland Keller, Geschäftsführer von Ergoconult. «Alles in allem sind es Deutsche und Franzosen, die in der Schweiz arbeiten wollen. Aber nur wenige Schweizer zieht es ins Ausland.»
Jacob Greber
Die Bilateralen Verträge ermöglichen Schweizer Bürgern seit dem 1. Juni eine fast unbeschränkte Bewegungsfreiheit innerhalb der 15 EU-Staaten.

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