Täsch, portugiesische Enklave im Herzen der Postkarten-Schweiz
Die kleine Ortschaft Täsch, die an den gehobenen Walliser Ferienort Zermatt grenzt, hat den höchsten Ausländeranteil der Schweiz. Die portugiesische Gemeinschaft ist dort seit mehreren Jahren in der Mehrheit und prägt das Dorf kulturell.
Auf den ersten Blick gibt es wenige Orte, die typisch schweizerischer sind als Täsch, mit seinen traditionellen Holzchalets, seinen Wanderwegen und seiner unmittelbaren Nähe zum Matterhorn – jenem Berg, der so symbolträchtig für das Land ist, dass er lange Zeit die Toblerone-Schokoladen zierte.
Das kleine Walliser Dorf, das in einem Tal auf über 1400 Metern Höhe liegt, ist bekannt als Hauptzugangsort zur Station Zermatt, einer Hochburg des Schweizer TourismusExterner Link.
Mit anderen Worten: In Täsch betreten Sie die Schweiz der Postkarten. Und dennoch ist es vielleicht einer jener Orte, wo Sie am wenigsten wahrscheinlich das «Wallisertitsch» antreffen, den lokalen Dialekt.
Mehr als sechs von zehn Einwohner:innen sind keine Schweizer
Die Gemeinde beherbergt tatsächlich den höchsten Ausländeranteil des Landes. Von den 1366 Personen, die 2023 ganzjährig dort wohnten, hatten 848 nicht die schweizerische Staatsangehörigkeit, das sind 62%, gemäss dem Bundesamt für Statistik (BFS)Externer Link.
Insgesamt leben dort Menschen von fast vierzig verschiedenen Nationalitäten.
In einem Land, in dem mehr als ein Viertel der Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat, überrascht es nicht, dass gewisse Ortschaften einen hohen Anteil an Nichtstaatsangehörigen aufweisen. Man kann jedoch an zwei Händen die Gemeinden aufzählen, in denen wie in Täsch mehr Ausländer:innen als Schweizer:innen leben.
Was Täsch jedoch einzigartig in der Schweiz macht, ist die ausländische Mehrheitsnationalität: Seit mehreren Jahren sind die Portugies:innen dort zahlreicher als die Schweizer:innen (41% respektive 38% der Dorfbevölkerung).
Mehr als 255’000 Portugies:innen leben in der Schweiz, was sie zur drittgrössten ausländischen Nationalität im Land macht. Der Kanton Wallis, besonders das Tal von Zermatt, ist einer ihrer bevorzugten Wohnorte.
Ausländische Arbeitskräfte halten Zermatt am Laufen
Die Erklärung liegt gerade in der starken Anziehungskraft Zermatts. Die dritthäufigste besuchte Gemeinde der Schweiz empfängt jährlich Tourist:innen aus aller Welt und verzeichnete 2024 1,6 Millionen HotelübernachtungenExterner Link, verteilt über das ganze Jahr.
Um eine solche Tourismusmaschine am Laufen zu halten, braucht es viele Arbeitskräfte, und die meisten sind Ausländer:innen – vor allem Portugies:innen. Hunderte von immigrierten Arbeiter:innen besetzen niedrig entlöhnte Stellen in den Bereichen Hotellerie-Gastronomie (wie dieses aktuelle FotoprojektExterner Link illustriert), im Unterhalt und in Dienstleistungsbereichen aller Art.
In Zermatt selbst lebt eine grosse ausländische Bevölkerung. Aber der Mangel an bezahlbaren Wohnungen im Ort und die schwierige Erreichbarkeit (Das Dorf ist autofrei), veranlassen viele Personen, die dort arbeiten, die Nachbarorte zu bevorzugen – wie Täsch, aber auch Randa oder Saas-Fee.
Die Wirtschaftskrise verstärkte die Einwanderung aus Portugal
Die portugiesische Gemeinschaft ist seit den 1980er-Jahren in Zermatt präsent. Damals wanderten diese oft ungelernten Arbeitskräfte aus, um Arbeit in den alpinen Tourismusregionen zu finden.
Anfang der 2000er-Jahre begünstigte die Einführung der Personenfreizügigkeit die Einwanderung von Staatsangehörigen aus der gesamten Europäischen Union in die Schweiz. Dies ermöglichte es ihnen, sich dauerhaft niederzulassen und ihre Familie nachzuholen.
Anschliessend verstärkte die Wirtschaftskrise der 2010er-Jahre das Phänomen stark. Sie traf mehrere südeuropäische Länder, insbesondere Portugal, schwer. Seit der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in Portugal hat sich das Wachstum der portugiesischen Bevölkerung in Täsch übrigens stabilisiert.
Kulturschock
Mitten in der Krise im Jahr 2012, als die portugiesische Immigration in Täsch stark zunahm, war Swissinfo eines der ersten Medien, die über den Kulturschock berichteten, den dies sowohl für das kleine Dorf im Oberwallis als auch für die Zugezogenen darstellte.
Mehrere internationale Medien, darunter die BBCExterner Link oder die portugiesische Zeitung PúblicoExterner Link, interessierten sich anschliessend für diese portugiesische Enklave am Fusse des Matterhorns, wo man Bacalhau und Pastéis de Nata im Lebensmittelgeschäft findet und wo auch Messen auf Portugiesisch gehalten werden.
«Die Portugiesen können sehr laut sein», erklärte die Vertreterin der portugiesischsprachigen Gemeinschaft des Dorfs scherzhaft gegenüber der BBC. «Die Einheimischen gehen um 21 Uhr, sogar um 20.30 Uhr ins Bett, und sie schätzen es nicht wirklich, wenn wir bis 22 Uhr Lärm machen. Das ist etwas, woran wir uns anpassen müssen.»
Ein Mitglied der Exekutive von Täsch erklärte seinerseits gegenüber Swissinfo, dass die Kontakte gut seien, aber dass die geringen Deutschkenntnisse und die geringe Teilnahme der portugiesischen Bevölkerung am Gemeindeleben die Hauptprobleme seien.
Er präzisierte jedoch, eine Verbesserung festgestellt zu haben: «[Die Portugiesen] investieren hier, indem sie Häuser kaufen oder kleine Geschäfte eröffnen. Sie zeigen, dass sie gekommen sind, um zu bleiben.»
SRF hat 2014 eine Dokumentation der portugiesischen Gemeinschaft in Täsch gewidmet.
Friedliches Zusammenleben
In einem neueren Bericht von SRFExterner Link stellen mehrere Einwohner:innen von Täsch fest, dass Ausländer:innen und Schweizer:innen eher nebeneinander als miteinander leben. «Es ist nicht mehr ein einziges, geeintes Dorf», bedauert ein von SRF befragter Mann. Gleichzeitig versichert er, keine Probleme mit der anderen Hälfte der Bevölkerung zu haben.
Die Integrationsverantwortliche Eva Jenni spricht ihrerseits von einem «friedlichen Zusammenleben», in dem «alle einander in Ruhe lassen».
Die Integrationspolitik von Täsch wird regelmässig Vorzeigeprojekt in Sachen Immigration und Zusammenleben präsentiert. Die lokalen Behörden haben bereits vor einigen Jahren eine Reihe von Massnahmen angenommen, um die Annäherung der Gemeinschaften zu fördern. Das geht insbesondere über einen starken Fokus auf den Deutschunterricht in der Schule, Informationskampagnen und die Organisation interkultureller Veranstaltungen.
Eva Jenni betont jedoch: «Man kann die Leute nicht zwingen, sich zu vermischen.» Die Portugies:innen in Täsch «stehen nicht wirklich unter Druck, sich zu integrieren», erklärt sie.
Die meisten von ihnen kommen nicht nur aus demselben Land, sondern auch aus derselben Region und haben viele Verwandte vor Ort. Die Mitglieder der Gemeinschaft pflegen enge Beziehungen und könnten problemlos ihren Alltag bewältigen, ohne Deutsch sprechen zu müssen.
Ein Dorf mit neuer Dynamik
Diese Herausforderungen gelten jedoch weniger für die zweite Generation, die grösstenteils die Sprache besser beherrscht und mehr Verbindungen zu den Einheimischen hat.
Ausserdem weiss Täsch, dessen einheimische Bevölkerung von Jahr zu Jahr abnimmt, auch, was es der Immigration zu verdanken hat. «Wenn es hier keine Ausländer mehr gäbe, hätten wir weniger Arbeitskräfte im Tourismussektor. Die Schulen würden schliessen und die Lehrkräfte würden ihren Lebensunterhalt verlieren. Es gäbe eine ganze Reihe von Problemen», fasst ein von SRF befragter Einwohner zusammen.
«Man kann die Frage von allen Seiten betrachten, schlussendlich müssen wir gut zusammenleben.»
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Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Claire Micallef
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