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Die USA ziehen sich zurück: Kann die Schweiz weiter gegen Diktatorengelder vorgehen?

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Die Schweiz hat bislang über zwei Milliarden Dollar an veruntreuten Geldern an ihre Herkunftsländer zurückgeführt. Keystone / Martin Ruetschi

Der schwierige Kampf gegen illegale Finanzströme und die Rückgabe gestohlener Vermögen wird durch langsamen Fortschritt und schwindende US-Führung erschwert.

Wenn Staatsbeamt:innen Millionen aus den öffentlichen Kassen stehlen, leidet die Bevölkerung. In Nigeria etwa erhalten Patient:innen in unterbesetzten Spitälern nicht die nötige Behandlung, sagt David Ugolor, Direktor des Africa Network for Environment and Economic Justice (ANEEJ).

Weil das Geld fehlt, können Schulzimmer nicht repariert werden und weniger Kindern können zur Schule gehen. Strassen, die nicht instandgesetzt werden, erhöhen das Risiko von Verkehrsunfällen.

Das Problem in Nigeria sei «längst über Korruption hinausgegangen – es ist ein Staatszerfall», sagt Ugolor. Die Eliten stehlen nicht nur Geld, sie verbiegen auch Gesetze, um an der Macht zu bleiben. «Das vertieft die Ungleichheit und Armut im Land.»

Jedes Jahr verliert Afrika nach Schätzungen der Vereinten NationenExterner Link fast 72 Milliarden Franken, weil korrupte Politiker:innen und Kriminelle ihr unrechtmässig erworbenes Geld ins Ausland schaffen. In betroffenen Ländern kann dies dazu führen, dass die Investitionen in das Gesundheitswesen halbiert und jene in die Bildung um ein Viertel gekürzt werden.

Einige europäische und nordamerikanische Staaten haben nach Skandalen bei ihren Banken Konten von ausländischen Kleptokraten ins Visier genommen.

Die Schweiz hat bislang über zwei Milliarden Dollar an veruntreuten Geldern zurückgegeben. Die EU hat 2024 eine neue RichtlinieExterner Link verabschiedet, die die Rückführung illegaler Vermögen in ihren 27 Mitgliedstaaten regelt.

Dieser Artikel ist eine Antwort auf die Frage eines Swissinfo-Lesers, ob es stimmt, dass ausländische Staatschefs, beispielsweise aus Afrika, Geld in Schweizer Banken versteckt haben.

Wenn Sie auch eine Frage zum Schweizer Handelsverkehr oder zur Schweizer Diplomatie haben, die Sie uns gerne stellen möchten, hinterlassen Sie uns hier einen Kommentar.

Doch das ist nur ein Tropfen auf den heissen Stein. «Wir sehen nach wie vor, dass weit mehr Geld aus Entwicklungsländern abfliesst und in privaten Händen landet, als zurückgeführt wird», sagt Jackson Oldfield, Direktor des deutschen Civil Forum for Asset Recovery (CiFAR).

Beobachter:innen fürchten, dass der Kampf gegen die Kleptokratie für westliche Staaten an Priorität verliert. Ein Grund dafür: Die Vereinigten Staaten, bisher eine treibende Kraft, ziehen sich aus ihren internationalen Verpflichtungen zurück.

Ein falsches Signal

In den USA erhielt der Kampf gegen illegale Finanzströme einen Rückschlag, als das Justizministerium die spezialisierte Kleptocracy Asset Recovery Initiative kurz nach Beginn von Donald Trumps zweiter Amtszeit auflösteExterner Link.

Die Regierung setzte auch die Durchsetzung des Foreign Corrupt Practices ActExterner Link aus und blieb Sitzungen der OECD-Arbeitsgruppe zur Korruptionsbekämpfung fern.

«Das ermutigt korrupte afrikanische Regierungen geradezu», sagt Ugolor. «Das ist bedauerlich, wenn man bedenkt, wie mühsam es war, das Thema überhaupt auf die globale Agenda zu bringen.»

Die vergangenen Meilensteine waren erkämpft – von der Aufnahme der Rückerstattung als zentrales Element in die UNO-Konvention gegen Korruption 2004 bis hin zur Global Forum on Asset Recovery 2017 in den USA und Grossbritannien, wo PrinzipienExterner Link für die Rückgabe gestohlener Gelder festgelegt wurden.

Von der Vorreiterin zur Kritisierten

Auch die Schweiz spielte in den letzten zehn Jahren eine führende Rolle, wie das Aussenministerium gegenüber Swissinfo festhält, etwa durch den internationalen Austausch von Informationen.

Die Schweiz sei «stark engagiert» bei der Rückführung von Vermögen und ergreife «Massnahmen gegen Korruption» im In- und Ausland.

Die Korruptions-Milliarden, die sie zurückgegeben hat, sind das Ergebnis jahrzehntelanger Bemühungen, ihr Image als sicherer Hafen für Schwarzgeld abzulegen. Bereits 1986 – als erstes Land überhaupt – fror die Schweiz präventiv die Konten eines korrupten Staatschefs ein: Ferdinand Marcos von den Philippinen.

Später verschärfte sie die Geldwäschereigesetze und führte 2016 ein Gesetz über die Rückgabe ausländischer illegaler VermögenExterner Link ein.

Ein Höhepunkt war 2018 die Rückführung von 321 Millionen US-Dollar nach Nigeria. Dieses Geld stammte aus den Geldern, die Diktator Sani Abacha in den 1990er-Jahren veruntreut hat.

Erstmals konnten zivilgesellschaftliche Organisationen zur Entscheidung und Überwachung der Mittelverwendung beitragen. Über 200 NGOs unter Führung von ANEEJ überwachten die Verteilung an Bedürftige.

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«Das war ein Erfolg, weil erstmals Geld nach Nigeria zurückkam, dessen Verwendung wir bis zu den Empfängern in verschiedenen Landesteilen nachverfolgen konnten», sagt Ugolor. «Der Prozess verlief reibungslos und ist zunehmend zum Standard geworden.»

Ein ähnliches Modell wird derzeit bei der Rückgabe von 313 Millionen Dollar an Usbekistan angewendet, unter anderem für den Ausbau von GeburtsklinikenExterner Link.

Dennoch ist die Schweizer Bilanz bei der Rückführung von Vermögen – also beim Identifizieren, Einfrieren, Einziehen und Zurückgeben gestohlener Gelder – nicht makellos.

Bei einer früheren Tranche der Abacha-Gelder aus Nigeria soll ein grosser Teil der überwiesenen 700 Millionen Dollar verschwunden sein.

Eine Prüfung der FinanzkontrolleExterner Link von 2022 stellte zudem Schwächen im Schweizer System fest. Das Gesetz von 2016 sei zu eng gefasst und deshalb in der Praxis schwer anwendbar, hiess es im Bericht.

Der Fortschritt kann auch langsam sein. Schweizer Behörden versprechen manchmal schnelle Ergebnisse, während es Jahre oder Jahrzehnte dauert, bis Fälle abgeschlossen werden.

Insgesamt wurden 683 Millionen Franken aus den Marcos-Geldern nach 60 Gerichtsentscheiden während 18 Jahren an die Philippinen zurückgegeben. Bern hat seither die Gesetzgebung angepasst, um den Prozess zu beschleunigen.

Dennoch brauchte es jüngst zwei Jahre, bis das Bundesgericht über eine Berufung gegen einen Entscheid eines kantonalen Gerichts urteilte, acht Millionen Franken an Peru zurückzugeben, im Fall des ehemaligen Geheimdienstchefs Vladimiro Montesinos.

Dies sei «zu lang und inakzeptabel», sagt Oscar Solórzano vom Basel Institute on Governance dem Schweizer Investigativ-Newsletter Gotham City.

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Die Finanzkontrolle hat auch auf einen Mangel an Transparenz hingewiesen, da es kein zentrales Register über Fälle gibt. Die Financial Action Task Force (FATF), eine internationale Organisation zur Bekämpfung von Geldwäscherei, empfiehlt, «umfassende Statistiken» zu führen, um die Rückführung von Vermögen zu verbessern.

Das Aussenministerium bestätigte gegenüber Swissinfo, dass es kein zentrales Register gibt, da mehrere kantonale und eidgenössische Stellen beteiligt sind. Die Regierung habe jedoch einige der anderen Empfehlungen des Prüfungsamts umgesetzt.

Zudem habe die Schweiz «strategische Partnerschaften vertieft» mit Institutionen wie dem UNO-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung und dessen Programm zur Rückführung gestohlener Vermögen (StAR), hiess es.

StAR betreibt eine Datenbank mit Einträgen zu rund 17 Milliarden Dollar aus unrechtmässigen Vermögen in insgesamt 560 weltweiten Fällen. Diese Daten seien jedoch nur die Spitze des Eisbergs, da laut einer Schätzung weniger als 1% der weltweiten illegalen Gelder abgefangen werden.

Schwächen bei der Prävention

Die Schweiz ist nicht allein mit Schwierigkeiten im Umgang mit komplexen Fällen. Der britische Think-Tank Royal United Services Institute erklärte, Grossbritannien habe «ein anhaltendes Problem mit Schwarzgeld» und der Prozess zur Bekämpfung der KleptokratieExterner Link sei schlicht «nicht wirksam».

Zu den Problemen gehörten fehlende «gemeinsame Vision» zwischen den 20 beteiligten Regierungsstellen und eine geringe politische Priorität.

Eine weitere Herausforderung in reichen Ländern sei trotz grösserer Bereitschaft, Bankgeheimnis und wirtschaftlich Berechtigte anzugehen, die schwache Prävention, sagt Oldfield von CiFAR.

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«Wir haben noch immer viele intransparente Finanzplätze, auch in Europa, wo es möglich ist, Briefkastenfirmen zu gründen und sich dahinter zu verstecken», sagt er.

Ein laufender Fall betrifft Riad Salameh, den ehemaligen libanesischen Zentralbankchef, der zusammen mit seinem Bruder Raja wegen einer Reihe mutmasslicher Verbrechen angeklagt ist, darunter die Veruntreuung öffentlicher Gelder.

Die Sonntagszeitung berichteteExterner Link, dass 330 Millionen Dollar über eine Offshore-Gesellschaft auf Konten in der Schweiz eingezahlt wurden. Die Brüder bestreiten die Vorwürfe.

Das Schweizer Parlament prüft nun strengere Massnahmen, darunter ein nationales Register der wirtschaftlich Berechtigten von Unternehmen und Sorgfaltspflichten für Rechtsberater. Transparency International Schweiz argumentiert jedochExterner Link, dass diese Pläne noch immer nicht ausreichen würden, um die Schweiz mit internationalen Standards in Einklang zu bringen.

Rückgabe «ist ihr Recht»

Da die Schweiz und andere Länder nur langsam Fortschritte bei der Rückführung von Vermögen machen und die USA sich von früheren Verpflichtungen zurückziehen, «lasse die politische Dynamik im Kampf gegen illegale Finanzströme nach» sagt Ugolor.

Während sein Heimatland Nigeria in der Vergangenheit von der Führung der Schweiz, der USA und Grossbritanniens profitiert und über 3 Milliarden Dollar zurückerhalten habe, sei das im Vergleich zu den gestohlenen Summen «eine sehr begrenzte Menge».

Für gewöhnliche Nigerianerinnen und Nigerianer könnte die Lage nicht ernster sein. Ihr Land rangiert im Korruptionsindex von Transparency InternationalExterner Link 2024 auf Platz 140 von 180 Ländern. Rund 40% der Bevölkerung gelten als arm.

Auch für reiche Länder werde es Folgen haben, wenn sie das Thema nicht priorisieren. «Es ist keine Wohltätigkeit», sagt Ugolor. Die Rückgabe gestohlener Gelder an die Bürgerinnen und Bürger «ist ihr Recht».

«Junge Menschen haben keine Jobs», sagt er. «Wenn die Korruption ihre Zukunft weiterhin stiehlt, besteht die Gefahr, dass sie keine andere Wahl haben, als nach Europa zu gehen. Wenn [die Länder] die Kleptokratie bekämpfen, wird es Wohlstand in Afrika geben.»

Editiert von Tony Barrett/vm/ts, Übertragung aus dem Englischen mithilfe der KI Claude: Janine Gloor

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