Ägyptische Soldaten räumen eine Barrikade von Demonstrierenden am Rande des Tahrirplatzes in Kairo.
Keystone
Die Schweiz unterstützt ägyptische Organisationen, die für die Menschenrechte und gegen Folter kämpfen, mit jährlich 100'000 Franken. Eine dieser NGO ist das Nadim Zentrum für die Rehabilitierung von Gewaltopfern in Kairo.
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Susanne Schanda, Kairo, swissinfo.ch
Nach dem Sturz des Mubarak-Regimes am 11. Februar 2011 blieb der Tahrirplatz im Herzen Kairos noch während Wochen ein Mahnmal der Revolution. Von Hand bemalte Plakate und Transparente, Zelte fürs Nachtlager und angeregte Diskussionen machten den riesigen Verkehrskreisel zu einem gesellschaftlichen Zentrum. Bis die Armee am 9. März den Platz mit Gewalt räumte und zahlreiche Demonstranten festnahm. In Online-Medien und unabhängigen ägyptischen Zeitungen war zu lesen, dass Soldaten Protestierende schlugen und folterten.
«Rami ist einer von vielen. Rami Essam berichtet, was ihm gestern bei der Gewalt der ägyptischen Armee passiert ist. Viele Demonstranten sind immer noch in Gewahrsam der Armee in einem Militärgefängnis. Ihre Fotos werden am Fernsehen gezeigt mit der Behauptung, sie seien am Tahrirplatz verhaftete Schläger…» So beginnt eine Mitteilung, die das Nadim Zentrum für die Rehabilitierung von Gewaltopfern am Tag danach über Internet verbreitet.
Medizinische und psychiatrische Betreuung
«Die Publikation von Folter-Fällen wie der von Rami Essam ist ein wichtiger Aspekt der Aufgabe unserer Organisation», sagt Mona Hamid, Psychiaterin und Klinikdirektorin des Nadim Zentrums, in ihrem Büro in Kairo gegenüber swissinfo.ch. «Denn Folter war lange ein Tabuthema. Erst in den letzten Jahren wird in den Medien vermehrt darüber berichtet.» Die Hauptaufgabe des Zentrums bestehe allerdings in der medizinischen und psychiatrischen Betreuung von Gewaltopfern. Diese dauere je nachdem Wochen, Monate oder manchmal sogar Jahre.
«Meistens melden sich die Opfer von sich aus bei uns, wenn sie Hilfe brauchen. Manchmal werden wir aber auch von Drittpersonen auf Fälle aufmerksam gemacht. Wir gehen dann auf die Opfer zu und bieten unsere Hilfe an», erklärt die Psychiaterin.
«Wenn sich das Opfer damit einverstanden erklärt, bringen wir den Fall anschliessend vor Gericht», sagt Mona Hamid. Für eine juristische Anklage und die Begleitung durch einen Gerichtsprozess stehen dem Zentrum fünf Anwälte zur Verfügung.
Mit Kampagnen und dem Dokumentieren von Fällen staatlicher Gewalt verfolgt das Nadim Zentrum das Ziel, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und damit Gewalt in Zukunft zu verhindern. Es ist die einzige Organisation in Ägypten, die sich mit Hilfe von Ärzten um Folteropfer kümmert.
Repression durch das Regime
Die 1993 gegründete Nichtregierungs-Organisation (NGO) hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Das Regime hat sein Gesetz über NGOs in dieser Zeit zweimal verschärft. «Bis zum Beginn der Revolution am 25. Januar 2011 bewegten wir uns in einer rechtlichen Grauzone. Offiziell bezeichneten wir unser Zentrum nicht als NGO, sondern als Nonprofit-Klinik. Mit unseren Ärzten in der Ärztevereinigung unterstanden wir dem Gesundheitsministerium. Dadurch waren wir eine Art legal», erläutert Mona Hamid.
Repressionsversuche durch das Regime habe es immer wieder gegeben. «Wir wehrten uns jeweils, indem wir in die Offensive gingen und diese Fälle publik machten. So konnten wir die Schliessung des Zentrums immer wieder verhindern.» Die Psychiaterin ist zuversichtlich, dass die staatliche Gewalt in Ägypten nach dem Sturz des alten Regimes abnehmen wird, doch werde dies wohl noch viel Zeit brauchen.
Schweiz leistet wesentlichen Beitrag
Das Nadim Zentrum hat ein jährliches Budget von rund 100’000 Franken. «Letztes Jahr stammten 60 Prozent davon aus der Schweiz», sagt Aida Seif El Dawla, die Leiterin des Zentrums. Es sei das erste Mal, dass sie von der Schweiz unterstützt würden und sie hoffe, die Hilfe werde fortgesetzt.
Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) unterstützt seit Jahren Projekte ägyptischer Menschenrechts-Organisationen, besonders in den Bereichen Folter und Meinungsäusserungsfreiheit. Welche Projekte in Zukunft unterstützt würden und in welcher Höhe, werde zur Zeit evaluiert, heisst es auf Anffrage von swissinfo.ch beim EDA.
Angesichts der bevorstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Ägypten prüft das EDA zudem die Entsendung von Wahlbeobachtern. Voraussetzung dafür wäre laut EDA das Zustandekommen einer Wahlbeobachtungsmission der EU.
Das Nadim Zentrum für die Rehabilitierung von Gewaltopfern ist eine Nichtregierungs-Organisation mit Sitz in Kairo.
Es beschäftigt 6 Psychiater, 5 Anwälte, 3 Sekretariatsangestellte und 2 Buchhalter und betreut jedes Jahr rund 200 Opfer von Gewalt.
Das Jahresbudget des Zentrums beträgt rund 100’000 Franken. Internationale Organisationen wie das amerikanische Open Society Institute, die EU und die Schweiz zahlen Geldbeträge an Infrastruktur und einzelne Projekte. Die Schweiz hat sich letztes Jahr erstmals beteiligt, und zwar mit 60’000 Franken.
Neben dem Nadim Zentrum unterstützt die Schweiz auch das Ägyptische Zentrum für die Rechte der Frauen, Projekte im Bereich Kinderarbeit und ein Projekt zum interreligiösen Dialog.
25. Januar 2011: Grossdemonstration auf dem Tahrirplatz fordert den Rücktritt Mubaraks.
28. Januar: Freitag des Zorns mit massivem Gewalteinsatz der Polizei.
11. Februar: Rücktritt Mubaraks und Übernahme der Macht durch den Militärrat.
4. März: Der Militärrat gibt dem Druck der Strasse nach, entlässt den alten Premierminister und setzt den Favoriten der Protestbewegung ins Amt, Essam Sharaf.
19. März: Referendumsabstimmung über die Änderungen zur alten Verfassung.
Für Juni und September sind Parlaments- bzw. Präsidentschaftswahlen angesetzt.
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