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Suche nach geeignetem Standort für Atomabfall

Radioaktive Abfälle gibt es mehr als genug - Tiefenlager hingegen nicht. Keystone

Der Verein Arius im aargauischen Baden hilft den europäischen Nachbarn bei der Suche nach einem passenden Tiefenlager für radioaktive Abfälle. Zehn Länder, darunter Österreich und Italien, nehmen die Dienstleistungen der Firma bereits in Anspruch. Die Schweiz gehört nicht dazu.

Im Jahr 2006 hat die Schweizer Regierung ein 10-Jahres-Moratorium für die Ausfuhr von radioaktivem Abfall erlassen. Für dessen Lagerung ist der Verursacher verantwortlich.

“Ein Lager im Ausland ist nicht ganz auszuschliessen. Dies wäre aber nur unter sehr strikten Auflagen möglich”, sagt Matthieu Buchs, Mediensprecher des Bundesamtes für Energie, gegenüber swissinfo.ch. “Ausserdem gibt es zur Zeit keine Zeichen dafür, dass eine internationale Lösung gefunden wird.”

Vielleicht wird dies Arius ändern können. Die Firma arbeitet mit COVRA zusammen, dem nationalen Amt für Entsorgung in den Niederlanden. Zusammen führen sie eine multinationale Arbeitsgruppe. Deren Aufgabe ist es, die Machbarkeit einer nicht profitorientierten Europäischen Deponieentwicklungs-Organisation (European Repository Development Organisation ERDO) zu untersuchen.

“Das Konzept, dass sich sehr kleine Länder darum bemühen, zusammenzuarbeiten, um eine Deponie zu errichten, macht wirtschaftlich Sinn”, sagt Charles McCombie, Geschäftsführer von Arius, gegenüber swissinfo.ch.

Neben gemeinsamen Geldmitteln, teilen die in das ERDO-Projekt involvierten Länder auch ihr Wissen. Dabei soll nicht nur eine gemeinsame Anlage für die Endlagerung von atomaren Abfällen erstellt werden. Ziel ist auch herauszufinden, wie eine künftige europäische Deponie-Organisation funktionieren könnte.

Wessen Hinterhof?

Allein die Standortsuche für Atomenergie ist schwierig. Wer sagt schon freiwillig ja zu einem AKW in seinem Hinterhof? Geschweige denn zu einem Lager für gebrauchte Brennstäbe.

“Tiefenlager sind sehr schwierig zu bauen. Zudem sind sie sehr teuer”, sagt McCombie: “Für ein sehr kleines Land mit wenig Abfällen, ist es fast nicht selber finanzierbar.”

Der erste Schritt ist einen Ort zu finden, der den geologischen Anforderungen entspricht. Ein solcher Ort kann beispielsweise ein Gebiet sein, das nicht durch Erosion der Oberfläche gefährdet ist.

“Es ist eine technische Herausforderung, aber wenn es hart auf hart kommt, dann ist das noch der leichtere Teil. Der wirklich schwierige Teil wird sein, einen geeigneten Ort zu finden, wo die gesellschaftliche Akzeptanz genügend hoch ist,” sagt McCombie.

Lokale Widerstände gegen Deponien können zwar heftig sein. Aber es gibt auch Fälle, wo die betroffenen Gemeinden Interesse daran hatten, die Rolle von Abfallverwaltern zu übernehmen.

In Skandinavien beispielsweise haben sich einige Städte sogar einen Wettkampf für solche Gelegenheiten geliefert. Sie bringen verschiedenen Nutzen wie direkte finanzielle Anreize oder die langfristige Sicherung von Arbeitsplätzen.

“Wir hoffen, dass sich die gleichen Prinzipien auf der multinationalen Ebene anwenden lassen”, sagt McCombie. Natürlich hange der Erfolg des ERDO-Programms davon ab, ob sich eine bereitwillige Gemeinde und ein bereitwilliges Land finden lässt.

Schweizer Standorte

Das Schweizerische Kernenergiegesetz fordert, dass radioaktive Abfälle in einem Tiefenlager aufbewahrt werden müssten. Zurzeit werden die Abfälle allerdings temporär in einer überirdischen Anlage gelagert.

“Die Schweiz ist der Meinung, dass es die Pflicht jener ist, welche die radioaktiven Abfälle produzieren, eine Lösung innerhalb des Landes zu suchen”, sagt Buchs.

Die Suche für einen angemessenen und langfristigen Deponiestandort wurde während längerer Zeit verfolgt. Mögliche Orte wurden in den Kantonen Aargau, Nidwalden, Obwalden, Thurgau, Schaffhausen, Solothurn und Zürich gefunden.

Nicht jeder ist allerdings darüber erfreut. Erhard Meister, Regierungspräsident von Schaffhausen, sagte gegenüber der Sonntags Zeitung: “Ein Atommüll-Lager ist in der Region von Schaffhausen nicht zu akzeptieren.”

Ein langer Prozess

In einem Bericht, der Anfang Mai veröffentlicht wurde, schreibt die Eidgenössische Kommission für nukleare Sicherheit, dass die Gebiete um den Südranden in Schaffhausen, im Zürcher Weinland und beim Aargauer Bözberg, “sehr passende” Gebiete seien für schwach- und mittelaktive Abfälle.

Gemäss der Kommission und Nagra, der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, ist das Zürcher Weinland am geeignetsten für hochradioaktive Abfälle.

2011 will der Bund eine definitive Entscheidung darüber treffen, wo radioaktive Abfälle deponiert werden sollen. Dennoch ist es wahrscheinlich, dass es zehn Jahre dauern wird, bis die nötigen Abklärungen getroffen sind, um ein solches Lager zu bauen.

Wo auch immer die Abfälle vergraben werden – McCombie weist darauf hin, dass es Schlimmeres als radioaktive Abfälle gäbe, wie zum Beispiel grosse Steinbrüche oder Anlagen der Chemieindustrie, ganz zu schweigen vom Brennstab-Kreislauf.

“Das ist für die Umwelt problematischer. Der schlimmste Teil ist der, den wir nicht sehen – der Abbau und das Zerkleinern von Uran”, sagt McCombie, der während zwanzig Jahren technischer und wissenschaftlicher Leiter der Nagra war.

Nichts in der Welt habe “null Risiko”, sagt McCombie. Trotzdem beobachte er eine zunehmende Akzeptanz gegenüber Atomenergie, und zwar in einer Gesellschaft, in welcher der Energiekonsum ebenfalls am Steigen sei.

“Heutzutage haben die Menschen realisiert, insbesondere in der Schweiz, dass Atomkraftwerke vernünftig und sicher sind.”

Susan Vogel-Misicka, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Sandra Grizelj)

Zehn Länder sind in der Europäischen Deponieentwicklungs-Organisation (ERDO) vertreten:

Österreich
Bulgarien
Irland
Italien
Litauen
Niederlande
Polen
Rumänien
Slowakei
Slowenien

Die Schweiz hat fünf Kernkraftwerke: Beznau I, Beznau II, Mühleberg, Gösgen und Leibstadt.

39% der Schweizer Elektrizität werden in den fünf Kernkraftwerken produziert.

Bis Juli 2006 hat die Schweiz abgebrannte Brennstäbe nach Grossbritannien und Frankreich in eine Wiederaufbereitungsanlage geschickt. Seither ist das 10-Jahres-Moratorium in Kraft.

Gemäss Schweizer Gesetz, müssen radioaktive Abfälle grundsätzlich innerhalb des Landes gelagert werden. Die Kosten dafür gehen zu Lasten des Verursachers.

Seit 2001 wird hochradioaktiver Abfall im Zwischenlager “Zwilag” in Würenlingen im Kanton Aargau deponiert.

2002 haben die Stimmberechtigen des Kantons Nidwalden Pläne für ein permanentes, unterirdisches Atommülllager in ihrer Region abgelehnt.

Sechs mögliche Lager-Standorte werden in der Nord- und Zentralschweiz in Betracht gezogen.

Das Lager wird 400-900m unter der Erdoberfläche in dafür geeigneten Gesteinsschichten gebaut.

Ziel ist eine sicherere Lagerung von radioaktivem Material während mehr als einer Million Jahre.

Der Dauer des Entscheidungsprozess wird auf zehn Jahre ab dem Jahr 2008 geschätzt.

Der Bundesrat geht davon aus, im Jahr 2011 eine erste Auswahl zu treffen. Zwischen 2016-19 soll eine definitive Entscheidung gefällt werden. Diese muss vom Parlament genehmigt werden und wird vielleicht sogar ein Thema für ein Referendum.

Der Bau der Standorte ist in den Jahren 2030-2040 geplant.

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