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Patek-Philippe-Präsident Thierry Stern: “Wir arbeiten an Innovationen, die 2038 im Handel sein werden”

Die Rückseite einer Armbanduhr
Eine Patek Philippe Ref 96 Quantieme Lune, die einst Aisin-Gioro Puyi, dem letzten Kaiser der chinesischen Qing-Dynastie, gehörte. Hier im Mai 2023 im Auktionshaus Phillips in Hongkong ausgestellt. AFP

Thierry Stern ist sowohl Eigentümer als auch Geschäftsführer von Patek Philippe, eine der bekanntesten unabhängigen Uhrenmarken der Schweiz. Im Interview mit SWI swissinfo.ch erklärt er, warum die prestigeträchtige Genfer Uhrenmanufaktur ihre Modelle fast vollständig selbst herstellt, den Verkauf aber an externe Partner auslagert.

Patek Philippe gehört zusammen mit Rolex, Audemars Piguet und Richard Mille zu den “Big Four” der eigenständigen Marken der Schweizer Uhrenindustrie. Diese vier Brands erwirtschaften gemeinsam rund die Hälfte der Gewinne der Schweizer Uhrenindustrie.

Patek Philippe kann in Bezug auf den Umsatz nicht mit Rolex, der bekanntesten und umsatzstärksten Genfer Marke, konkurrieren. Doch Fachleute beurteilen sie oft als die beste und exklusivste Uhrenmanufaktur. Ihre legendären Modelle, etwa Nautilus, werden auf dem Sekundärmarkt zu Goldpreisen gehandelt.

Thierry Stern in der Fabrik
Thierry Stern hat seine Ausbildung in Genf absolviert, zuerst an der Handelsschule und dann an der Uhrmacherschule. Frederic Aranda

Die Firma Patek Philippe wurde 1839 gegründet und befindet sich seit 1932 im Besitz der Familie Stern. Das Unternehmen beschäftigt weltweit zirka 3000 Mitarbeitende, davon 2050 am Hauptsitz in Genf. Thierry Stern trat 1990 in das Familienunternehmen ein und übernahm 2009 die Präsidentschaft.

Im Gegensatz zu den Führungskräften der Branchenkönigin Rolex, welche den Kult der Geheimhaltung pflegen, äussert sich Thierry Stern regelmässig in der Schweizer und internationalen Presse. SWI traf ihn an der Uhrenmesse Watches and WondersExterner Link (9.-15. April 2024) in Genf zu einem Gespräch.

SWI swissinfo.ch: Wie hat sich Patek Philippe in den letzten zehn Jahren entwickelt und welche Veränderungen sind in Zukunft zu erwarten?

Thierry Stern: In Bezug auf das Design sind wir mit der Zeit gegangen, haben aber gleichzeitig unsere DNA bewahrt. So haben wir beispielsweise innovativere Farben in unsere Produktepalette integriert – wie Armbänder in Jeansfarben – und gleichzeitig einen klassischen Stil beibehalten. Mit anderen Worten: Wir haben es geschafft, die sehr klassische Kultur meines Vaters mit meinen jüngeren Ideen zu kombinieren – obwohl ich auch schon 53 Jahre alt bin.  Letztendlich haben wir es geschafft, für unterschiedliche Generationen attraktiv zu sein.

In Bezug auf die künftigen Entwicklungen habe ich keine Kristallkugel, aber ich befinde mich in der gleichen Situation wie mein Vater vor vielen Jahren: Ich versuche, meinen jüngeren Kolleg:innen von der Wichtigkeit der Innovation zu überzeugen und gleichzeitig der Linie von Patek Philippe treu zu bleiben. Für uns ist es entscheidend, Innovation und Tradition zu verbinden, um unsere Kundinnen und Kunden weiterhin zu überraschen und ihnen Freude zu bereiten.

Wie steht es um die Entwicklung der Uhrwerke?

Das Uhrwerk ist das Herzstück einer Uhr. Mit dieser Komponente können wir nicht experimentieren. Ein Uhrwerk muss immer perfekt und präzise sein. Wir haben ein so hohes Qualitätsniveau erreicht, dass Änderungen an den Uhrwerken seltener vorkommen und kein Risiko darstellen. Wir bemühen uns jedoch, jedes Jahr zwei Innovationen auf den Markt zu bringen. Dabei achten wir darauf, dass diese praktisch sind. Spielereien gibt es bei uns nicht.

Unsere Abteilung Design entwickelt im Moment Produkte, die 2027 auf den Markt kommen werden. Bei den Uhrwerken sind die Entwicklungszyklen viel länger: Wir arbeiten derzeit an Innovationen, die erst 2038 im Handel sein werden. Als ein führendes Unternehmen in der Uhrenbranche sind wir gezwungen, sehr weit nach vorne zu schauen und gewisse Risiken eingehen. Denn es gibt keine Garantie, dass die neuen Modelle bei den Uhrwerken auf Begeisterung stossen.  Das Unterfangen ist also immer ein Wagnis, aber das ist auch das Schöne an der Uhrmacherei.

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Sie betonen oft die “Vertikalisierung der Produktion” in Ihrem Unternehmen. Im Gegensatz dazu lagert beispielsweise Autobauer Porsche 80% seiner Wertschöpfung aus, kontrolliert aber die Zulieferer genauestens. Warum folgen Sie nicht diesem Modell?

Wir verfügen über einen kompletten Manufakturbetrieb. Zwischen 95% und 98% unserer Wertschöpfung erfolgt intern. Natürlich kaufen wir Schrauben und Armbänder von externen Lieferanten und aus Sicherheitsgründen verdoppeln wir bestimmte Produktionslinien – etwa für Zifferblätter – mit externen Unternehmen.

Ich sehe persönlich keinen Sinn in einer Auslagerung, denn der beste Weg, um die Qualität von Anfang bis Ende zu kontrollieren, besteht in einer internen Produktion, auch wenn es teurer ist. Wir haben bei der Endmontage, der Entwicklung und der Forschung einen so hohen Standard, dass diese Aufgaben nicht extern vergeben werden können.

Sie haben Porsche angesprochen. Ich denke, dieses Unternehmen steht unter einem sehr hohen Druck, um die Kosten zu senken. Diese Firma ist auf alle Fälle nicht direkt mit Patek Philippe vergleichbar. Wir sind in sehr unterschiedlichen Branchen tätig.

Wie erklären Sie sich den Erfolg der grossen unabhängigen Uhrenmarken gegenüber den grossen Uhrenkonzernen?

Ich kann nicht für andere Marken sprechen, aber der Erfolg von Patek Philippe ist auf unsere Leidenschaft für unsere Produkte und die Uhrmacherei im Allgemeinen zurückzuführen. Wir stellen ausschliesslich Mitarbeitende ein, die diese Leidenschaft teilen und stolz darauf sind, die besten Uhren der Welt zu entwickeln und zu repräsentieren – ganz im Sinne der Gründer.

Eine goldene Taschenuhr
Persönliche Savonette von Patek Philippe mit der Madonna von Ostrabrama, 1850/52 Gehäuse und Fabriknummer “4422”. 18 Karat Gold mit dunkelblauer Emaille auf wellenförmig guillochiertem Hintergrund. 38 Diamanten im alteuropäischen Schliff (drei fehlen) in Form eines Blumenbouquets auf der Vorderseite (Gebrauchsspuren) und sechs Diamanten im alteuropäischen Schliff (einer fehlt) auf der Rückseite in Form eines Sterns. KEYSTONE

Ein weiterer Pfeiler unseres Erfolgs ist die Glaubwürdigkeit unserer Marke. Seit der Gründung unseres Unternehmens im Jahr 1839 haben wir kontinuierlich Uhren produziert und dabei immer die gleiche Strategie verfolgt: Die Herstellung von Schweizer Uhren, die vollständig im eigenen Haus gefertigt werden. Unsere Kundschaft sowie die Detailhändler, die uns seit vielen Generationen kennen und die Treue halten, sind ein Beweis für diese Beständigkeit.

Darüber hinaus sind die Führungskräfte von Patek Philippe zutiefst von ihrem Beruf begeistert und engagieren sich für die Entwicklung neuer Uhren. Ich weiss: Ich betreibe Lobhudelei in eigener Sache, aber es ist nun mal eine unbestreitbare Tatsache.

Grosse Unternehmensgruppen wie Swatch, LVMH oder Richemont können von einer starken Finanzkraft und internen Synergien profitieren. Das ist bei Ihnen nicht der Fall.   

Wir sind dafür unabhängig und können gewisse Nachteile durch Klugheit ausgleichen. Unser Boot ist kleiner, aber auch wendiger. Wir können glücklicherweise unseren Kurs sehr schnell ändern, da ich Entscheide fällen kann, ohne gegen Aktionäre oder einen Vorstand kämpfen zu müssen. Ich kann beispielsweise innerhalb einer Minute eine Produktlinie ändern oder ein Budget verändern. Abgesehen davon kontrollieren wir unsere Kosten übermässig gut, denn es handelt sich um unser eigenes Geld.

Darüber hinaus verfügen wir über sehr fähige Führungskräfte, die oftmals ihre Erfahrungen in grossen Uhrenkonzernen gesammelt haben, aber sehr gerne für Patek Philippe arbeiten, gerade weil die Entscheidungswege sehr kurz sind. Schliesslich gibt es in unserem Unternehmen keine politischen Führungskämpfe:  Alle wissen, dass ich der der Boss bin und dass niemand meinen Platz einnehmen wird.

Ein kleines Boot? Das scheint untertrieben. Laut Berichten der Bank Morgan Stanley verkaufen Sie 70’000 Uhren pro Jahr und erzielen einen Jahresumsatz von 2 Milliarden Franken.

Als unabhängiges Familienunternehmen veröffentlichen wir keine Geschäftszahlen. Ich frage mich auch, wie diese Schätzungen zustande kommen. Auf alle Fälle lese ich diese Berichte nicht. Die Zahl von zwei Milliarden ist schmeichelhaft, aber ich kann Ihnen versichern, dass wir uns nicht in dieser Grössenordnung befinden.

Die Führungskräfte mehrerer erfolgreicher Uhrenmarken sind von der Bedeutung des Direktverkaufs überzeugt. Ihre Strategie ist diametral entgegengesetzt. Warum?

Hier sollte man sich nichts vormachen:  Wer die Bedeutung des Direktverkaufs betont, will nicht näher an die Kundinnen und Kunden rücken, sondern mehr Geld verdienen, um die volle Marge zu erhalten. Ich arbeite seit 35 Jahren für Patek Philippe und bin bei weitem der Uhrenmanager, der seine Kundschaft am besten kennt. Ich fordere jeden Firmen- oder Ladenleiter einer Uhrenunternehmens heraus, mir zu widersprechen.

Patek Philippe verkauft in der Tat über Detailhändler, aber das bedeutet nicht, dass wir nicht nahe bei den Kundinnen und Kunden sind. Ganz im Gegenteil: Wir sind ständig vor Ort, etwa bei Veranstaltungen unserer Einzelhändler oder auch bei Rundgängen durch unsere Manufakturen. Ich besuche unsere Detailhändler:innen und Kunden nicht nur in Grossstädten wie New York oder Paris, sondern auch im tiefsten Texas, und ich bin wohl der einzige Uhrmacher-Patron, der dies tut.

Warum richten Sie neben Ihren Messen in Genf, Paris und London nicht auch eigene Boutiquen ein, wenn Sie schon so viel Kontakt mit Ihren Kundinnen und Kunden haben?

Weil wir dafür keine Zeit haben und unsere ganze Energie lieber in die Herstellung schöner Uhren stecken. Anstatt Verkaufsgeschäfte zu führen, verbringe ich lieber mehr Zeit mit unseren Kundinnen und Kunden. Für ein Familienunternehmen ist dies sehr wichtig. Schliesslich sind die mit uns verbundenen Detailhändler seit zwei bis drei Generationen unsere Partner und wir kennen uns sehr gut.

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Patek Philippe ist ein Familienunternehmen, Unabhängigkeit gehört zu Ihren Grundwerten. Wie bereiten Sie die nächste Generation auf die Leitung des Unternehmens vor?

Ich glaube nicht, dass es eine einzige Methode gibt, sondern unendlich viele. Man sollte sich nicht zu viele Sorgen machen. In unserem Fall haben die Mutter meiner Kinder und ich nichts Besonderes gemacht, aber unsere beiden Söhne sind damit aufgewachsen, dass sie oft von unserem Unternehmen gehört haben.

Als meine Kinder 16 Jahre alt wurden, sagte ich ihnen, dass sie anfangen sollten, darüber nachzudenken, ob sie das Familienunternehmen übernehmen wollten, da dies Auswirkungen auf die Wahl ihres Studiums haben würde. Vor allem aber haben ihre Mutter und ich ihnen gesagt, dass es uns völlig egal ist, wenn sie in ihrem Leben etwas anderes machen möchten, denn wir haben die Kinder nicht bekommen, damit sie Patek Philippe übernehmen, sondern aus Liebe.

Nachdem ich sie vom Druck entlastet habe, haben sich ihre Schulnoten drastisch verbessert. Und schliesslich haben sich beide Kinder dafür entschieden, für unser Familienunternehmen zu arbeiten. Das finde ich grossartig.

Würden Sie Ihr Unternehmen verkaufen, wenn keiner Ihrer Söhne Ihre Nachfolge antreten würde?

Auf keinen Fall! Ich würde einen Geschäftsführer ernennen, um eine Generation zu überspringen. In unserem Unternehmen haben wir sehr fähige Führungskräfte und ich muss mir keine Sorgen machen.

Editiert von Samuel Jaberg. Übertragung aus dem Französischen: Gerhard Lob

Männer um eine Uhr stehend
Der damalige Bundesrat Ueli Maurer, Mitte, und Thierry Stern während der Eröffnung der Weltmesse für Uhren und Schmuck Baselworld in Basel, am 21. März 2019. KEYSTONE / GEORGIOS KEFALAS

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