TAGESÜBERBLICK WIRTSCHAFT
Bern (awp/sda) – Donnerstag, 15. September 2011
NEUES FIASKO BEI DER UBS: Ein Investmentbanker der UBS hat mit unerlaubten Finanzoperationen in London 2 Mrd. Dollar verzockt. Der 31-Jährige ist mittlerweile in Haft. Die UBS rechnet aufgrund des Fiaskos möglicherweise mit einem Verlust im laufenden dritten Quartal. Die Affäre dürfte nach Ansicht von Marktexperten das Vertrauen in die grösste Schweizer Bank erneut erschüttern. Nachdem die UBS nur Minuten vor Börsenöffnung über den Fall orientierte, stürzte der Aktienkurs sofort ab. Zwischenzeitlich war das UBS-Papier weniger als 10 Franken wert. Der Verlust werfe ein schlechtes Licht auf die Risikokontrolle der Bank und stellt deren Führung in Frage, sagte ein Händler. UBS-Chef Oswald Grübel wandte sich in einer kurzen e-Mail an die Mitarbeiter. Die fundamentale Stärke der Bank sei nicht in Frage gestellt.
KOPFSCHÜTTELN BEI NATIONALRÄTEN: Der Betrugsfall bei der UBS hat im Nationalrat Empörung ausgelöst. Die Nachricht erreichte die grosse Kammer mitten in der Debatte zur neuen Grossbanken-Regulierung nach der Finanzkrise. «Wer gedacht hat, die Banken hätten nach der Finanzkrise 2008 etwas gelernt, sieht sich getäuscht», sagte die St. Galler SP-Nationalrätin Hildegard Fässler im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda. Aber auch bei bürgerlichen Politikern war der Unmut zu spüren. Der Aargauer FDP-Nationalrat Philipp Müller sagte, es stimme einen «sauer», wenn so etwas ausgerechnet bei der Bank geschehe, die der Politik erst gerade vorgeworfen habe, sie demontiere den Schweizer Finanzplatz. Diese Aussage hatte UBS-Konzernchef Oswald Grübel am vergangenen Wochenende geäussert. So «schockierend» der Vorfall auch sei, er habe sich für die Debatte möglicherweise als «Glücksfall» erwiesen, sagte Nationalrat Pirmin Bischof (CVP/SO). «Vielleicht wurde der Rückweisungsantrag der SVP zur Too-big-to-fail-Vorlage deshalb so deutlich abgelehnt.»
LEITZINS BLEIBT BEI NULL: Die Schweizerische Nationalbank (SNB) lässt im Kampf gegen Frankenstärke und Rezessionsgefahren ihre Geldschleusen so weit wie möglich offen. Der Leitzins soll bis auf weiteres möglichst nahe Null bleiben. Inflationsrisiken sehen die Währungshüter keine. Eine Prognose für das Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr gab die Nationalbank nicht ab. Die Lage ist offenbar zu unklar: Die SNB rechnet angesichts von Frankenstärke, Schuldenkrise, Finanzmarktturbulenzen und internationaler Konjunktureintrübung damit, dass das Wachstum im laufenden Halbjahr zum Stillstand kommt. Sie kürzte daher ihre Prognose für die Zunahme des Schweizer Bruttoinlandproduktes (BIP) im Jahr 2011 von «rund 2» auf 1,5 bis 2 Prozent. Ohne den am 6. September verkündeten Mindestkurs von 1,20 Franken pro Euro bestünde laut SNB «erhebliche Rezessionsgefahr». Sie will den Mindestkurs daher «mit aller Konsequenz» durchsetzen, bekräftigte die SNB. In welchem Umfang Devisenkäufe bislang nötig waren, teilte sie nicht mit.
ZUSÄTZLICHE DOLLAR-KREDITE: Die wichtigsten Notenbanken verfolgen das wieder wachsende Misstrauen im Geldhandel zwischen den Geschäftsbanken offenbar mit Sorge. In einer konzertierten Aktion wollen sie den Zugang zu Dollar-Liquidität ausserhalb der USA erweitern. Beteiligt sind die Notenbanken von England und Japan, die Europäische Zentralbank und die Schweizerische Nationalbank (SNB). Sie haben in Absprache mit der US-Notenbank Fed entschieden, im Oktober, November und Dezember jeweils drei Monate laufende Dollar-Refinanzierungsgeschäfte aufzulegen.
WIDERSTANDSFÄHIGE INDUSTRIE: Trotz verbreiteten Klagen widersteht die Schweizer Industrie der Frankenstärke weiterhin. Die Industrieproduktion nahm im 2. Quartal 2011 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 2,3 Prozent zu. Der Umsatz wuchs um 3,1 Prozent. Auch mit Aufträgen ist der Sekundärsektor reichlich eingedeckt, wie das Bundesamt für Statistik bekanntgab. Die Auftragsbestände lagen 10,1 Prozent höher als im 2. Quartal 2010. Zudem gingen 2,6 Prozent mehr Aufträge ein. Ein Einblick in die Margenentwicklung ist mit der Statistik aber nicht möglich.
STELLENABBAU: Die besonders von der Frankenstärke betroffene Migros-Genossenschaft Genf streicht im laufenden Jahr rund 125 Stellen. Bereits seien rund hundert natürliche Abgänge von Angestellten nicht ersetzt worden, sagte die Sprecherin der Genossenschaft, Isabelle Vidon, und bestätigte damit einen Bericht der «Handelszeitung». Kündigungen würden keine ausgesprochen. Migros-Chef Herbert Bolliger hatte im August angekündigt, dass die Zahl der Arbeitsplätze beim Orangen Riesen sinken dürfte. Er verwies auf rückläufige Umsätze insbesondere in Grenznähe.
AUCH BKW SPART: Mit der BKW hat innerhalb eines Monats der dritte grosse Energiekonzern einen Stellenabbau angekündigt. Die Branche leidet vor allem unter dem starken Franken, der schlechten Konjunkturlage und dem geplanten Ausstieg aus der Atomenergie. Die BKW gab die geplanten Stellenkürzungen gleichzeitig mit dem enttäuschenden Halbjahresresultat bekannt. Der Reingewinn sackte gegenüber der Vorjahresperiode um 32,7 Prozent auf 90,5 Mio. Fr. ab. Der noch nicht bezifferte Stellenabbau ist Teil eines Sparprogramms, mit dem die beeinflussbaren Kosten mittelfristig um 15 Prozent gesenkt werden sollen.
MILLIARDENSCHADEN DURCH INTERNETKRIMINALITÄT: Die Internetkriminalität richtet in der Schweiz jährlich einen Milliardenschaden an. Internetnutzer erleiden einen unmittelbaren finanziellen Schaden von 401 Mio. Dollar (374 Mio. Fr.), wie aus einer Studie der US-Sicherheitssoftwarefirma Symantec hervorgeht. Dazu komme der Aufwand, bis man nach einem Onlinediebstahl wieder alles geregelt hat. Rechnet man diesen Zeitverlust um, entstünden noch einmal Kosten von 588 Mio. Dollar (550 Mio. Fr.), sagte Virenjäger Candid Wüest von Symantec vor den Medien in Zürich. Weltweit errechnet die Studie einen Gesamtschaden von 388 Mrd. Dollar. Damit erreicht die Internetkriminalität beinahe die gleiche Dimension wie der gesamte Drogenhandel auf der Welt, den die UNO auf 411 Mrd. Dollar schätzt.
EU-WIRTSCHAFT WÄCHST KAUM NOCH: Die anhaltende Schuldenkrise und die Turbulenzen an den Finanzmärkten drohen die Konjunktur in der Europäischen Union zu ersticken. Die EU-Kommission musste ihre Prognosen für die zweite Jahreshälfte deutlich nach unten korrigieren. Konkret erwartet sie für das dritte und vierte Quartal ein Wachstum von jeweils 0,2 Prozent. Bisher war sie von 0,5 Prozent im dritten und 0,4 Prozent im letzten Quartal ausgegangen. Im gesamten laufenden Jahr wächst die Wirtschaft der EU gemäss den Schätzungen um 1,7 Prozent.
INFLATION: Die Inflationsrate in der Eurozone ist im August unverändert geblieben. Die jährliche Teuerungsrate verharrte bei 2,5 Prozent. In den USA liegt die Teuerung noch deutlicher über der Warnschwelle von 2 Prozent: Sie erreichte im August mit 3,8 Prozent den höchsten Stand seit fast drei Jahren.
ARBEITSPLÄTZE FÜR JUGENDLICHE GEFÄHRDET: Die Konjunkturschwäche in vielen Industrieländern hat laut der Wirtschaftsorganisation OECD schwere Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Kurzfristig würden kaum neue Jobs geschaffen, und auch die Langzeitarbeitslosigkeit ziehe an. Grösste Verlierer seien Jugendliche, Temporärarbeiter und die Langzeitarbeitslose. Im ersten Vierteljahr 2011 habe die Arbeitslosenquote für Jugendliche im Alter zwischen 15 und 24 Jahren in den 30 OECD-Mitgliedsländern bei 17,4 Prozent gelegen. Zum Vergleich: Bei den Erwachsenen betrug sie 7 Prozent.
REKORDHOHE ARBEITSLOSIGKEIT: Der Stellenmarkt im hoch verschuldeten Griechenland kommt nicht vom Fleck. Die Arbeitslosenrate stieg im zweiten Quartal auf 16,3 Prozent und erreichte damit den höchsten Stand seit der Datenerhebung 1998. Zum Jahresauftakt lag die Rate noch bei 15,9 Prozent.
MERKEL GEGEN EUROBONDS: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich erneut klar gegen Euro-Bonds ausgesprochen, die sie als «absolut falsches» Instrument im Kampf gegen die Schuldenkrise bezeichnete. Zugleich schloss sie Gemeinschaftsanleihen in der fernen Zukunft nicht völlig aus. Wichtig sei aber eine schrittweise Entwicklung in der richtigen Reihenfolge. Statt einer Schuldenunion müsse die Euro-Zone in eine dauerhafte Stabilitätsunion einschwenken. «Jeder muss seine Hausaufgaben machen.»
WIEDER «REICHENSTEUER»: Die sozialistische Regierung Spaniens führt die vor drei Jahren abgeschaffte «Reichensteuer» vorübergehend wieder ein. Wirtschaftsministerin Elena Salgado kündigte an, die Steuer werde auf Vermögen von mehr als 700’000 Euro erhoben. Betroffen seien etwa 160’000 Menschen in Spanien. Die «Reichensteuer» werde nur für die Jahre 2011 und 2012 gelten. Der spanische Staat erhofft sich damit zusätzliche Einnahmen von bis zu 1,08 Mrd. Euro im Jahr.