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Flirt mit der Nato, Sitz im Sicherheitsrat – schwankt die Neutralität der Schweiz?

«Die Neutralität begünstigt die humanitäre Rolle der Schweiz»

Barbara Steinemann

Die ausländische Presse habe die Sanktionen der Schweiz zu Recht als Bruch der Schweizer Neutralität eingestuft, schreibt die Juristin und SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann. Neutralität brauche Mut.

Auf seiner Reise zum französischen Kaiser Napoléon III wurde der Genfer Geschäftsmann Henri Dunant im Jahre 1859 Zeuge der Schlacht von Solferino und San Martino, wo an einem einzigen Tag rund 6000 Soldaten getötet und etwa 25’000 verwundet wurden. 1863 gründete Henri Dunant mit dem Schweizer General Dufour ein Komitee, aus dem später das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hervorging.

«Neutralität bedeutet, dass wir uns grundsätzlich nicht an Auseinandersetzungen und politischen oder ideologischen Kontroversen beteiligen. Indem wir in Konflikten keine Partei ergreifen, bewahren wir uns das Vertrauen aller», heisst es seit jeher in den Statuten des IKRK.

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In der Schweiz ist Neutralität seit ewigen Zeiten eine bewährte Staatsmaxime und in der Bevölkerung tief verankert: Die Schweizer sprechen sich regelmässig mit über 90% für die Beibehaltung der Neutralität aus.

Neutralität ist für uns Sicherheit, aber auch von Nutzen für den ganzen Globus. In einer Welt voller Kriege und Konflikte braucht es auf der Landkarte einen weissen Fleck, ein neutrales Gelände, wo die Kriegsparteien ohne Waffen miteinander reden können. Das ist – das wäre! – die neutrale Schweiz mit ihren guten Diensten: eine Friedenshoffnung in einer leider wieder ganz kriegerischen Welt.

Neutralität ist anspruchsvoll. Es braucht Mut, sich in kriegerischen Zeiten Zurückhaltung aufzuerlegen und sich nicht vom Strom der Emotionen mitreissen zu lassen.

Haltung zeigen, Zeichen setzen, ein gutes Gewissen auf Demonstrationen tanken, auf der richtigen Seite stehen: Das alles ist gratis zu haben. Neutralität erfordert hingegen Kraft und Standhaftigkeit; die Welt lässt sich nicht einfach so in Gut und Böse einteilen.

Trotzdem hat die offizielle Schweiz nach anfänglichem Zögern alle Wirtschaftssanktionen der EU gegen Russland übernommen. Offenbar haben die G7-Staaten den Bundesrat unter ganz massiven Druck gesetzt.

Als Bürger verurteilen wir selbstverständlich alle die Angriffe Putins auf die Ukraine auf Schärfste. Aber als Staat sollten wir keine Stellung beziehen, sondern hätten uns auf die Verhinderung der Umgehung der Sanktionen der anderen beschränken sollen.

Es erstaunt deshalb auch nicht, dass die ausländische Presse dieses Vorgehen als Bruch der Schweizer Neutralität einstuft und die Schweiz als Kriegspartei gehandelt wird. Aus meiner Sicht zu Recht.

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Im Mittelalter sprach man von «Brotsperre». Staaten versuchen mit Sanktionen, autokratische Herrscher zu bestrafen, sie treffen aber immer die Bevölkerung. Nie gelang es auf diese Weise, Krieg, Terror und Unrechtsregimes auszumerzen. Leider ist jetzt auch die Schweiz Partei im Wirtschaftskrieg gegen die russische Bevölkerung.

Dies ganz im Gegensatz zur UNO, welche sonst mit Sanktionen gegen Staaten und Herrscher nie zögert, wenn diese gegen die Menschenrechte verstossen. Der Grund liegt im Vetorecht Russlands, das immer verhindern kann, gegen sich selbst Strafen verhängen zu lassen.

Apropos Vereinte Nationen und ihr Sicherheitsrat: Da hat die Schweiz meiner Ansicht nach nichts zu suchen. Denn Neutralität und Mitgliedschaft im UNO-Sicherheitsrat schliessen sich aus. Der Sicherheitsrat entscheidet über Krieg und Frieden, er ergreift Sanktionen, er erlässt bindende Mandate.

Die Schweiz muss sich daran halten, auch bei Stimmenthaltung im Konfliktfall. Die Entscheidungen des UNO-Sicherheitsrats entsprechen oftmals nicht humanitären oder demokratischen Werten, sondern unterliegen den globalen machtpolitischen Mehrheitsverhältnissen.

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Es ist mir klar, dass man dies alles auch anders sehen kann. Neutralität bietet Spielraum zur Interpretation. Doch Frieden geschieht nur am Verhandlungstisch. Das ist mühsamste Vertrauensbildung und Kleinstarbeit, und die Schweiz muss mit ihren guten Diensten nun alles unternehmen, um diesen schlimmen Krieg zu beenden.

Früher oder später muss es eine politische Lösung geben, und ohne Putin dürfte es diese nicht geben. Doch gute Dienste brauchen Glaubwürdigkeit. Hat die Schweiz diese nun leichtfertig verspielt?

Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene der Autorin und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

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