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“Frauen sind sich der Risiken oft bewusster”

Coworking space im Impact hub in Zürich
In Schweizer Startups hat es noch viel Luft nach oben betreffend weiblicher Führungskräfte. Dem will Jacqueline Ruedin Rüsch abhelfen. Gaetan Bally/Keystone

Jacqueline Ruedin Rüsch ist Co-Leiterin der Risikokapitalgesellschaft Privilège Ventures SA. Sie möchte die Rendite ihrer Investitionen mit der Förderung von weiblichen Führungskräften verbinden.

Das Mekka der mit Risikokapital (Venture Capital) finanzierten Startups ist das kalifornische Silicon Valley, die Heimat von globalen Tech-Giganten wie Apple, Intel oder Alphabet/Google.

Laut dem Swiss Venture Capital ReportExterner Link, der gemeinsam von Startupticker.ch und der Swiss Private Equity and Corporate Finance Association herausgegeben wird, haben sich die in Schweizer Startups investierten Summen in den letzten zehn Jahren verzehnfacht und werden bis 2022 vier Milliarden Franken erreichen. Und dies trotz einer Abschwächung in der ersten Hälfte dieses Jahres.

SWI swissinfo.ch traf Jacqueline Ruedin Rüsch, Gründerin und Teilhaberin von Privilège Ventures SA. Die Schweizer Risikokapitalgesellschaft mit Sitz in Lugano im Kanton Tessin hat bereits in rund 40 Startups investiert. 

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SWI swissinfo.ch: Letztes Jahr haben Sie einen 20-Millionen-Dollar-Fonds für Startups lanciert, die von Frauen mitgeführt werden. Sind Frauen bessere Führungskräfte als ihre männlichen Kollegen?

Jacqueline Ruedin Rüsch: Dieser Fonds steht kurz vor der Fertigstellung und wir werden sogar 50 Millionen Euro erreichen, die in 15 bis 20 Startups investiert werden sollen. Ich glaube nicht, dass Frauen bessere Führungskräfte sind als Männer, aber ich bin davon überzeugt, dass die Vielfalt in Führungsteams, einschliesslich der Geschlechtermischung, zu besseren Ergebnissen führt.

Dies wird auch durch mehrere Studien belegt. Daher möchten wir, dass mindestens eine Frau dem Gründer:innenteam angehört.  

Ist die Welt der Startups immer noch sehr männlich geprägt, weil Frauen eher davor zurückschrecken, Risiken einzugehen?  

Die grosse Mehrheit der Startups wird derzeit von Männern geleitet. Ich glaube nicht, dass Frauen eine besondere Abneigung gegen Risiken haben, aber sie sind sich der Risiken oft bewusster.

An einer Universität wie der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, aus der viele Startups hervorgegangen sind, ist der Anteil männlicher Studierender jedoch nach wie vor besonders hoch.

Wie viel Geld investieren Sie in Ihre Startups?

Wir konzentrieren uns voll und ganz auf junge Unternehmen in der Anfangsphase. Pro Start-up liegt unsere erste Investition – in der Regel zusammen mit anderen Investoren – zwischen 400’000 und 800’000 Franken.

Wenn wir der Hauptinvestor sind, investieren wir den Grossteil dieser Summe. Später, bei der nächsten Finanzierungsrunde, investieren wir manchmal zwischen drei und vier Millionen Franken pro Start-up.

Jacqueline Ruedin Rüsch
Jacqueline Ruedin Rüsch DR

Nach ihrem Universitätsabschluss in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Pavia (Italien) begann Jacqueline Ruedin Rüsch ihre Karriere bei mehreren Schweizer Banken (BSI, Credit Suisse, Clarida Leu). Dort war sie insbesondere in der Vermögensverwaltung und im Bereich Kundenbeziehungen tätig.

2016 war Jacqueline Ruedin Rüsch Mitbegründerin von Privilège Ventures SA. Sie wird vom Online-Magazin “EU-Startups” als eine der 100 einflussreichsten Frauen Europas im Bereich Startups und Risikokapital bezeichnet. 

Jacqueline Ruedin Rüsch sitzt ausserdem in einer Reihe von Verwaltungsräten, u. a. als Präsidentin von Xsensio, JRR Solutions und Annaida Technologies.

Wie viele Investitionsanträge erhalten Sie pro Jahr und in wie vielen Fällen entscheiden Sie sich für eine Investition?

Nach einer groben Schätzung erhalten wir jährlich etwa 1000 Dossiers. Zunächst verbringen wir zwei bis drei Minuten mit jedem Dossier, und in zwei Prozent der Fälle entscheiden wir uns für eine eingehendere Prüfung. Im Durchschnitt tätigen wir nur vier bis fünf Investitionen pro Jahr. 

In den meisten Fällen investieren wir in Dossiers, die uns über unser eigenes Netzwerk erreichen, darunter ehemalige Gründer:innen von Startups, universitäre Forschungszentren oder Co-Investor:innen.  

Im Durchschnitt ist nur eines von acht Startups erfolgreich. Nach welchen Schlüsselkriterien entscheiden Sie in diesem Zusammenhang, ob Sie investieren? 

Das wichtigste Kriterium ist die Stärke des Gründer:innenteams. Wir vermeiden es also, in ein Startup zu investieren, das von einem diktatorischen Führer und einem passiven Team geführt wird. In der Schweiz sind die Startups oft technologisch gut aufgestellt, doch den Vorständen fehlt es oft an Erfahrung, Mut und Ehrgeiz. 

Geografisch gesehen konzentrieren wir uns auf Startups in Europa, wobei wir uns vor allem auf die Schweiz und Italien, aber auch auf Deutschland und Österreich konzentrieren. Selbstverständlich haben alle unsere Startups internationale Ambitionen. 

Wie wichtig sind Geschäftspläne im Auswahlverfahren, wenn jene doch so gut wie nie umgesetzt werden?

Auch wenn sie so gut wie nie umgesetzt werden, sind diese Geschäftspläne immer noch interessant, um erste Informationen über die Produkte, ihre Skalierbarkeit, ihren Innovationsgrad und die Grösse der Zielmärkte zu erhalten.

Anstatt mich für die Finanzzahlen dieser Pläne zu interessieren, beschäftige ich mich vor allem mit den zugrunde liegenden Annahmen und der Kohärenz des Ganzen. Beispielsweise ist es unrealistisch, von einem starken Umsatzwachstum bei gleichbleibenden Kosten auszugehen.

Inwieweit verstehen Sie die Technologien der Startups, in die Sie investieren? 

Natürlich ist es uns nicht möglich, alle Technologien vollständig zu verstehen. Dennoch haben wir alle Kenntnisse in bestimmten Bereichen und das hilft uns, eine erste Auswahl zu treffen. Darüber hinaus können wir wichtige Fragen stellen, z. B. zur Replizierbarkeit, zu potenziellen Problemen etc. Wenn nötig, holen wir den Rat von externen Expert:innen ein. In jedem Fall führen wir unsere eigenen Überprüfungen durch, auch wenn renommierte Unternehmen bereits beschlossen haben zu investieren.

Es wird oft gesagt, dass es in der Schweiz an bedeutenden Finanzmitteln (zwischen 50 und 100 Millionen Franken) fehlt, um hier Startups in einem fortgeschrittenen Stadium ihrer Entwicklung zu unterstützen. Stimmt das?

Das ist in der Tat der Fall. Aus diesem Grund beschaffen sich viele vielversprechende Startups Geld im Ausland. In einigen Fällen kann dies zu Standortverlagerungen führen, was für die Schweiz sehr schade ist.

Wie unterstützen Sie Ihre Startups nebst dem Geld, das Sie investieren? 

In vielen Fällen werden wir in den Verwaltungsrat gewählt und beteiligen uns aktiv an der Entwicklung der Startups. Im Allgemeinen müssen wir immer verfügbar sein und zuhören können, auch an Wochenenden und Abenden, denn Krisen beginnen immer am Freitagnachmittag… 

Wir bringen unsere Startups auch sehr oft mit Kund:innen, Lieferant:innen und Mitarbeiter:innen in Kontakt.

Privilège Ventures hat in etwa 40 Startups investiert. Wie bewerten Sie Ihre Erfolgsquote?  

Die Investitionsrendite ist natürlich ein Schlüsselkriterium, da wir Geld investieren, das uns hauptsächlich von sehr vermögenden Privatpersonen, Vermögensverwalter:innen und Family Offices anvertraut wurde.

Neben der finanziellen Rendite ist es uns wichtig, einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft zu haben, indem wir uns beispielsweise an der Förderung von weiblichen Führungskräften beteiligen.

Von unseren rund 40 Investitionen sind bereits etwa zehn Startups aus unserem Portfolio ausgeschieden, weil sie wie Deliveroo an die Börse gegangen sind. Einige wurden von grossen Unternehmen übernommen wie Creoptix und Keyless – und einige wurden liquidiert.   

Editiert von Samuel Jaberg, Übertragen aus dem Französischen: Renat Kuenzi

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