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Per “Speed-Dating” zurück in den Arbeitsmarkt

Zwei Frauen an einem Tisch
Für Maria Yalsevych (rechts), die aus der Ukraine in die Schweiz geflohen ist, bedeutet Arbeit auch Integration in die Schweizer Gesellschaft. swissinfo.ch

Trotz des Arbeitskräftemangels in der Schweiz gibt es immer noch Menschen, die händeringend eine Arbeit suchen. In Biel organisieren drei lokale Vereine ein Job-Café, um Arbeitgebende und -suchende zusammenzubringen. Ein Ortsbesuch.

“Wir begleiten Menschen, deren Lebenslauf nie ganz oben auf dem Stapel landet”, sagt Aurélie Kilchenmann, Job Coachin bei der Berner Zweigstelle des Schweizerischen Roten Kreuzes. Und sie ergänzt: Diese Hilfe sei trotz des Arbeitskräftemangels in der Schweiz immer nötig.

Zur selben Einschätzung gelangen auch andere Organisationen, die in der Wiedereingliederung tätig sind, etwa in der Stadt Biel.

Kilchenmann, Yann Walliser, Co-Direktor des Vereins Multimondo, und Noémie Holzer,  Job Coachin beim Centre social protestant Bern-Jura, haben daher beschlossen, ein Job-Café einzurichten, eine Art Speed-Dating für Arbeitsvermittlung.

“Die Teilnehmenden haben zehn Minuten Zeit, um sich mit den anwesenden Unternehmen auszutauschen, sich vorzustellen und ihre Fragen zu stellen”, erklärt Walliser.

Das “Job Dating”-Konzept stammt aus England und hat sich mittlerweile in ganz Europa verbreitet. Auch in der Schweiz ist es in verschiedenen Formen verbreitet. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) begrüsst solche Initiativen.

“Der persönliche Kontakt mit potenziellen Arbeitgebern kann die berufliche Integration von Stellensuchenden fördern. Dies nicht zuletzt, weil nicht Zeugnisse und Diplome im Vordergrund stehen, sondern direkte Begegnungen und soziale Kompetenzen”, sagt SECO-Sprecher Fabian Maienfisch.

“Eine Stelle, um mich zu integrieren”

Am Tag der Veranstaltung Anfang April herrscht in den Räumen des “Haus pour Bienne”, einem interkulturellen Treffpunkt, viel Betrieb. Im Parterre werfen die Teilnehmer:innen einen letzten Blick auf ihren Lebenslauf oder tauschen bei einem Kaffee ihre Erfahrungen aus, bevor sie nach oben geleitet werden, um die Arbeitgebenden zu treffen. Zu den Bewerber:innen gehören Sozialhilfeempfänger:innen, Langzeitarbeitslose, Geflüchtete und Menschen mit psychischen oder körperlichen Behinderungen.

“Für mich ist es ein Vorteil, dass ich direkt mit den Unternehmen sprechen kann”, sagt der 43-jährige Oswaldo Germann. Er stammt aus der Dominikanischen Republik und lebt seit über 20 Jahren in der Schweiz.

Nachdem er in den letzten Jahren immer wieder kleine Aushilfsjobs gemacht hat, ist es sein Ziel, eine Stelle in der Uhrenindustrie zu finden. “Ich konnte mit der Vertreterin einer Firma sprechen, die in der Entwicklung von Uhrenprodukten tätig ist und die mir in drei Monaten eine Stelle anbieten könnte”, erzählt er.

Maria Yalsevych, 38, ist mit ihren Kindern vor dem Krieg in der Ukraine geflohen. “Ich möchte eine Arbeit finden, damit ich mich in die Schweizer Gesellschaft integrieren kann und nicht mehr von der Sozialhilfe abhängig sein muss”, sagt die gelernte Schneiderin. Trotz ihrer Nervosität geht sie mit einem Lächeln aus dem Treffen mit der Leiterin der Reinigungsfirma Aero Palace, die das Dossier von Yalsevych für ein zweites Gespräch behalten hat.

Die Organisatoren vor einer Kaffeebar
Die Organisatorinnen und Organisatoren: Aurélie Kilchenmann, Job Coachin beim Schweizerischen Roten Kreuz Bern, Noémie Holzer, Job Coachin beim Centre social protestant Bern-Jura, und Yann Walliser, Co-Direktor des Vereins Multimondo (von links nach rechts). swissinfo.ch

“Wir müssen heute aktiv auf Personalsuche”

Auf Seiten der teilnehmenden Unternehmen sind die Erfahrungen ebenfalls positiv. “Früher kamen die Mitarbeitenden zu uns. Jetzt müssen wir aktiv suchen”, stellt Sandra Loconi fest, die bei Straumann in Villeret für die Rekrutierung zuständig ist.

Der Mangel an Arbeitskräften hat das Unternehmen, das auf die Herstellung von Instrumenten und Komponenten für die Zahnchirurgie spezialisiert ist, veranlasst, sich in der Personalsuche für alternative Methoden zu entscheiden.

Insgesamt nahmen am Job Café rund 90 Arbeitssuchende und 18 Unternehmen teil. Die Teilnehmer:innen hatten die Möglichkeit, durch einen direkten menschlichen Kontakt zu überzeugen – ein Schlüsselelement für die Organisatoren:innen.

“Eine Person mit Migrationshintergrund hat oft jahrelange Lücken in ihrem Lebenslauf, was sie auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt”, sagt Walliser. “Eine Diskussion, auch wenn sie nur 10 Minuten dauert, hat den Vorteil, bestimmte Vorurteile zu dekonstruieren.”

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