Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Viele Geflüchtete finden in der Schweiz keine Arbeit

Frau putzt Spiegel
Für Flüchtlinge bedeutet Arbeit auch Integration in die Schweizer Gesellschaft, doch die Arbeitssuche gleicht manchmal einem Hindernislauf. swissinfo.ch / Vera Leysinger

Geflüchtete, die in der Schweiz das Arbeitsrecht erhalten haben, finden oft keine Stelle. Dabei könnten sie zur Bewältigung des Fachkräftemangels beitragen. Mangelnde Kenntnis ihrer Rechte und Vorurteile erschweren ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt.

In Benin hat Judith Houetohossou alles gemacht: Sie war Friseurin, arbeitete als Sekretärin bei einer lokalen Tageszeitung, absolvierte eine Ausbildung in Informatik. Zusammen mit ihrer Schwester hat sie sogar ein Restaurant eröffnet. 2019 kam sie als Geflüchtete in die Schweiz und arbeitet seit fast einem Jahr in einem Reinigungsteam im Spitalzentrum Biel.

“Ich putze hauptsächlich die Zimmer der Patient:innen, die das Spital verlassen”, sagt die 45-Jährige. Mehrmals pro Woche hilft sie auch bei der Verteilung der Mahlzeiten. Das Tempo ist hoch, die Zeit für jede Aufgabe knapp bemessen. Nicht selten dauern die Arbeitstage länger, doch Houetohossou hat ihr ansteckendes Lächeln nicht verloren.

Für Menschen mit Flüchtlingsstatus hat die Arbeit oft eine grosse Bedeutung. Sie verhilft zu finanzieller Unabhängigkeit, ist aber auch eine Möglichkeit, sich in die Schweizer Gesellschaft zu integrieren und deren Funktionsweise zu verstehen.

“Mein Mann ist letztes Jahr gestorben. Ich kannte hier niemanden. Bei der Arbeit habe ich Leute kennengelernt, manchmal treffen wir uns auch am Wochenende”, erzählt Houetohossou.

Ihre Motivation und ihr Enthusiasmus erfreuen ihre Chefin Melissa Silva Melo, die nur lobende Worte für sie findet: “Sie hat alles in zwei Tagen gelernt, sich sehr schnell angepasst und ist zuverlässig und flexibel.”

Angesichts des Personalmangels ist die Teamleiterin Hauswirtschaft froh, sich auf die Flexibilität ihrer Mitarbeitenden verlassen zu können. “Es kommt schon mal vor, dass ich eine Mitarbeiterin, die gerade einen arbeitsfreien Tag hat, bitten muss, bei uns auszuhelfen. Judith Houetohoussou war uns schon oft eine grosse Hilfe”, sagt sie.

Arbeitskräftepool

Die Schweiz sieht sich mit einem noch nie dagewesenen Arbeitskräftemangel konfrontiert, der sich in den kommenden Jahren noch verschärfen dürfte. Nach Angaben des Bundesamts für StatistikExterner Link blieben Ende letzten Jahres über 120’000 Stellen unbesetzt. Die Rekrutierungsschwierigkeiten ziehen sich durch alle Branchen, wobei das Gesundheitswesen besonders betroffen ist: Ende Dezember waren 17’600 Stellen vakant.

In diesem Zusammenhang stellen Geflüchtete ein wertvolles Arbeitskräftepotenzial dar. Die Zahl der Migrantinnen und Migranten, die in die Schweiz einreisen, nimmt momentan stark zu: Im vergangenen Jahr wurden in der Schweiz 24’511 Asylgesuche eingereicht. Dies entspricht einer Zunahme von 64% gegenüber dem Vorjahr.

Externer Inhalt

Bund und Kantone gehen davon aus, dass rund 70% dieser Personen dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Zurzeit wird dieses Potenzial jedoch noch nicht ausgeschöpft, da weniger als die Hälfte der Geflüchteten einer Erwerbstätigkeit nachgeht.

Die Erwerbstätigenquote variiert je nach Aufenthaltsstatus, wie die Statistik des Staatssekretariats für Migration (SEM) zeigt. 41,4% der Personen, die Asyl erhalten haben und einen B-Ausweis besitzenExterner Link, sind erwerbstätig.

Von den Personen, die keinen Anspruch auf Asyl haben, aber von der Schweiz als schutzbedürftig anerkannt werden, sind 47,3% erwerbstätig. Sie werden als vorläufig aufgenommene Personen (Ausweis F)Externer Link bezeichnet.

Eine Sonderkategorie bilden die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die seit Beginn des Konflikts den Schutzstatus S erhalten. Gemäss den neusten Daten des SEMExterner Link konnten sich etwas mehr als 10% von ihnen in den Arbeitsmarkt integrieren.

Unterschiedlicher Zugang zum Arbeitsmarkt

Diese drei genannten Kategorien haben einen uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Der Bundesrat hat 2019 sogar einige administrative Hürden abgebaut:

Für die Anstellung von Personen mit einer B- oder F-Bewilligung muss keine Bewilligung mehr eingeholt werden. Arbeitgebende haben die Anstellung lediglich auf dem Online-Portal Easygov.swiss anzumelden.

“Für Ukrainerinnen und Ukrainer mit einer S-Bewilligung muss jedoch weiterhin eine Bewilligung bei den kantonalen Behörden eingeholt werden. Damit soll sichergestellt werden, dass die Arbeitsbedingungen eingehalten werden”, sagt Sophie Malka, Koordinatorin des Vereins Vivre ensembleExterner Link.

Personen, die in einem laufenden Asylverfahren stecken (Ausweis N)Externer Link, haben hingegen nur einen beschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. In den ersten drei bis sechs Monaten dürfen sie nicht arbeiten. Ausserdem kann ihre Beschäftigung auf bestimmte Branchen beschränkt werden.

Nur 3,1% von ihnen sind erwerbstätig. Abgewiesene Asylsuchende, also Asylsuchende mit einem Wegweisungs- oder Nichteintretensentscheid, haben kein Recht, in der Schweiz zu arbeiten.

Vorläufige Aufnahme als Hindernis

Auf dem Papier ist die Anstellung von Personen mit einem F- oder B-Ausweis einfach. In der Praxis ist die Arbeitssuche für viele ein Kampf. Fikadu*, ein 38-jähriger Eritreer, der in Genf lebt, hat diese Erfahrung gemacht.

Mann reinigt Raum
Nach jahrelanger Suche fand der eritreische Flüchtling Fikadu* eine Stelle in einer Reinigungsfirma. ldd

Ende 2014 kam er in die Schweiz, wurde vorläufig aufgenommen und erhielt wie die meisten seiner Landsleute den F-Ausweis. “Mit der vorläufigen Aufnahme wollte mich niemand einstellen. Mir wurden unbezahlte Praktika von drei bis vier Monaten angeboten”, erzählt Fikadu.

Ohne Arbeit war er auf Sozialhilfe angewiesen und musste in einer Unterkunft für Migrantinnen und Migranten leben. “In meinem Land lebst du nicht, wenn du nicht arbeitest. Hier lebt man zwar, aber es ist deprimierend”, sagt er.

+ “Vorläufige Aufnahme”: Nicht-Status spaltet Politik

Nach jahrelangen Bemühungen fand Fikadu schliesslich eine feste Anstellung als Kurier. Doch schon wenige Monate später wurde er Opfer einer Massenentlassung.

Dieser erste befristete Vertrag ermöglichte es ihm jedoch, seine vorläufige Aufnahme in eine B-Bewilligung umzuwandeln. “Danach war es einfacher für mich, eine Arbeit in einer Reinigungsfirma zu finden. So konnte ich auch in eine kleine Wohnung ziehen”, erzählt er.

Sewit Abadi, Sozialpädagogin, ist beim Verein der interkulturellen VermittlerinnenExterner Link in Genf für die berufliche Integration zuständig. Sie hat Fikadu und andere Geflüchtete bei der Arbeitssuche begleitet.

“Vorläufig Aufgenommene haben zwar eine höhere Beschäftigungsquote als Asylsuchende, erhalten aber oft prekärere Arbeitsverträge. Arbeitgebende zögern oft, jemand mit F-Ausweis auszustellen, weil sie denken, die Person werde in ihr Heimatland zurückkehren”, sagt sie. Das ist aber nicht der Fall, denn 84% der F-Bewilligten erhalten eine Daueraufenthaltsbewilligung und bleiben langfristig in der Schweiz.

Anforderungen überdenken

Auch wenn der B-Ausweis kein provisorisches Label hat, finden einige seiner Inhaberinnen und Inhaber keine Arbeit. So auch Berihu*, ein 24-jähriger Flüchtling aus Eritrea.

Der junge Mann kam als Minderjähriger in die Schweiz und schloss seine Schulausbildung in Genf ab. Anschliessend absolvierte er eine eidgenössische berufliche Grundbildung im Verkauf – eine Ausbildung, die sich an Jugendliche mit vorwiegend praktischen Fähigkeiten richtet.

“Seit drei Jahren suche ich Arbeit, finde aber nichts. Ich habe schnell Französisch gelernt und eine Ausbildung gemacht. Man sagt uns, wir sollen arbeiten, aber es funktioniert einfach nicht”, meint er seufzend.

Auch Abadi fällt es schwer, das Problem zu erkennen. “Es sieht so aus, als ob junge Leute wie Berihu alles richtig machen, aber es gelingt ihnen nicht, einen festen Arbeitsvertrag zu bekommen. Das ist schwierig für das Selbstwertgefühl”, sagt sie.

Ihrer Meinung nach müssten einige Anforderungen angepasst werden, um ihre Integration in den Arbeitsmarkt zu verbessern. “Zum Beispiel sollte es nicht notwendig sein, perfekt Französisch zu sprechen, um in der Reinigungsbranche zu arbeiten. Die Sprache kann man auch während der Arbeit lernen”, sagt die Sozialpädagogin.

+ “Wir sehen oft nicht, wie schlecht es ihnen geht”

Kampf gegen Vorurteile

Malka hält die vom Bund angestrebte Integration von 70% der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt für realistisch. Das Problem sieht sie in der Unkenntnis der Rechte, die mit den verschiedenen Status im Schweizer Asylsystem verbunden sind.

“Die Sensibilisierungsarbeit bei den Arbeitgebenden muss fortgesetzt werden. Es ist besonders wichtig zu betonen, dass diese Personen in der Schweiz bleiben werden, wo sie Schutz erhalten haben”, sagt die Koordinatorin von Vivre Ensemble.

Es geht auch darum, Stereotypen zu bekämpfen. “Man vergisst oft, dass diese Menschen mit Fähigkeiten zu uns kommen. Hinter dem Etikett der Migrantin, des Migranten verschwimmt alles”, sagt Malka.

Sie betont die Notwendigkeit, dieses Potenzial sofort zu aktivieren, indem man den Neuangekommenen Integrationsmassnahmen anbietet. “Je länger man damit wartet, desto schwieriger wird es für diese Menschen, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Sei es, weil sie ihre Fähigkeiten demobilisieren, ihr Selbstvertrauen verlieren oder ihre erworbenen Kenntnisse vergessen”, sagt sie.

Sie bedauert auch, dass Personen, deren Asylgesuch hängig ist (Ausweis N), in den ersten Monaten einem Arbeitsverbot unterliegen und keine echten Integrationsmassnahmen erhalten.

Herausforderung für die Schweizer Wirtschaft

Auch die Schweizer Wirtschaft unterstützt die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt. “Angesichts des historischen Arbeitskräftemangels können wir auf diese Ressource nicht verzichten”, sagt Marco Taddei, Leiter der französischsprachigen Abteilung des Schweizerischen Arbeitgeberverbands.

Er nennt jedoch mehrere Hindernisse, die es zu überwinden gilt: mangelnde Sprachkenntnisse, kulturelle Herausforderungen und die Frage der Kompetenzen, die den Erwartungen der Schweizer Arbeitgebenden entsprechen müssen.

Seiner Meinung nach wird es schwierig sein, die Beschäftigungsquote dieser Bevölkerungsgruppe zu erhöhen. “Ich habe den Eindruck, dass wir mit erzielten Ergebnissen bereits zufrieden sein können. Die Unternehmen spielen mit, wo immer es möglich ist. Es lohnt sich, denn es handelt sich um Menschen mit einem eisernen Willen”, sagt er.

*Name der Redaktion bekannt

Übertragung aus dem Französischen: Michael Heger

>> Lesen Sie hier das Interview mit dem Spezialisten für Migrationsströme Etienne Piguet:

Mehr
Frau mit Kind

Mehr

“Die Schweiz verstösst gegen das Dublin-Abkommen”

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Experte: Auch wenn die Schweiz vor allem Transitland ist, sollte sie eine gemeinsame Migrationspolitik mit ihren Nachbarn anstreben.

Mehr “Die Schweiz verstösst gegen das Dublin-Abkommen”

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft