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Regulierung von Künstlicher Intelligenz: Hat die Schweiz den Zug verpasst?

Die Europäische Union will den Einsatz von künstlicher Intelligenz durch das weltweit erste umfassende KI-Gesetz regeln. Der definitive Entwurf steht. Was bedeutet das für die Schweiz?

Die EU hat sich nach langwierigen Verhandlungen auf den endgültigen Entwurf des KI-Gesetzes (AI Act) geeinigt, das als weltweit erstes Gesetz zur Regelung der Künstlichen Intelligenz (KI) gilt.

Es soll die wachsende Macht von KI-Systemen und KI-Entwickler:innen begrenzen. “Das Gesetz wird das europäische Versprechen einlösen, wonach Grundrechte und Freiheiten im Mittelpunkt der Entwicklung dieser revolutionären Technologie stehen müssen”, sagte der Europaabgeordnete und Verhandlungsleiter für das KI-Gesetz, Brando Benifei, in einer von der EU veröffentlichten ErklärungExterner Link.

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Das Gesetz zielt darauf ab, Systeme der künstlichen Intelligenz zu verbieten, die ein “inakzeptables Risiko” für die Bürger:innen und die Demokratie darstellen.

Dabei geht es insbesondere um das Absaugen sensibler personenbezogener Daten für psychologische Manipulationen, Systeme zur Verteilung sozialer Noten für Bürger:innen sowie Systeme zur Verwendung biometrischer Daten für die Ableitung sensitiver Informationen über Einzelpersonen wie etwa religiöse und sexuelle Orientierung.

Die EU hat sich auch auf generative KI-Software wie ChatGPT oder Technologien zur Erstellung manipulierter Bilder fokussiert. Gefordert wird Transparenz in Bezug auf Daten und das geistige Eigentum.

Darüber hinaus muss jede gewerbliche, als “Hochrisiko” eingestufte Anwendung rigorose Auflagen erfüllen. Fehlbare Unternehmen müssen mit Geldstrafen von bis zu 7% ihres Umsatzes rechnen.

Delegierte des EU-Parlaments und der EU-Mitgliedstaaten (Ministerrat) haben Anfang Dezember 2023 langwierige Verhandlungen geführt, um die Eckwerte der geplanten Regeln für Systeme mit künstlicher Intelligenz (KI) festzulegen.

Das Parlament forderte strengere Regeln, die Mitgliedländer drückten auf die Bremse. Schliesslich konnte in Bezug auf die umstrittensten Punkte eine Einigung gefunden werden.

Der Einsatz von Gesichtserkennungssoftware im öffentlichen Raum durch Polizei und Regierungen wird nicht vollständig verboten, wie es das Europäische Parlament in seinem ersten Entwurf des Gesetzes gefordert hatte.

Der Einsatz dieser Software soll jedoch auf Ausnahmefälle beschränkt werden, etwa im Zusammenhang mit der Wahrung der nationalen Sicherheit und bei der der Strafverfolgung.

Unternehmen, die generative Software für künstliche Intelligenz wie ChatGPT oder Bildmanipulationssoftware oder “Deepfakes” verwenden, müssen erklären, dass es sich um künstlich erzeugte Inhalte handelt.

Die Daten, die für dieses Systeme verwendet werden, müssen transparent werden. Dabei sind die Grundsätze des Urheberrechts und des geistigen Eigentums zu wahren.

Länder wie Italien, Frankreich und Deutschland gehörten zu den entschiedensten Gegnern dieser Vorschriften, da sie befürchten, dass diese die Innovation ihrer KI-Unternehmen bremsen könnten.

Zu den so genannten “Hochrisikosystemen” gehört eine lange Liste von Anwendungen, etwa die biometrische Identifizierung, der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Universitäten sowie die Nutzung öffentlicher und privater Dienstleistungen.

Nach Ansicht vieler Experten bleibt die Definition von “Hochrisiko” jedoch nach wie vor sehr vage.

Wenn das Europäische Parlament und der Europäische Rat dem im Dezember verabschiedeten Entwurf im Frühjahr zustimmen, wird das Gesetz in der EU in Kraft treten.

Doch was bedeutet es für die Schweiz als Nicht-EU-Mitgliedsland? Und als ein Land, in dem die Forschung im Bereich der künstlichen Intelligenz sehr lebendig ist und zwischenstaatliche Organisationen wie die Vereinten Nationen ihren Sitz haben?

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Die Schweiz und die KI-Regulierung

Seit im November 2022 ChatGPT auf den Markt kam, haben sich mehrere Länder daran gemacht, KI zu regulieren oder ihre Risiken in irgendeiner Weise zu begrenzen.

Bei ChatGPT handelt es sich um den leistungsstärksten Chatbot der Geschichte, der von der US-Firma OpenAI entwickelt wurde. Die EU beschäftigte sich seit 2021 mit einer Regulierung und stand unter Druck, ihr Gesetz so schnell wie möglich auszuarbeiten und zu verabschieden.

Im Oktober 2023 rief China die Globale KI-GovernanceExterner Link ins Leben, die allen Ländern offensteht, die Teil der von Peking initiierten Neuen Seidenstrasse sind. Im gleichen Monat erliess die Regierung von US-Präsident Joe Biden eine Verordnung zur KI-RegulierungExterner Link.

Kurz darauf versammelten sich 29 Länder in Bletchley Park in der Nähe von London und unterzeichneten eine ErklärungExterner Link, in der sie sich für eine sichere und verantwortungsvolle Entwicklung der KI aussprachen. Auch die Schweiz war mit von der Partie.

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Historisch gesehen hat sich die Schweiz stets für einen lockeren und deregulierten Ansatz für KI ausgesprochen. “Für die Schweiz ist keine Regulierung besser als eine schlechte Regulierung”, sagte Livia Walpen, Expertin für internationale Beziehungen beim Bundesamt für Kommunikation (BAKOM), bei einer Podiumsdiskussion am Schweizer Idiap-Institut für KI-ForschungExterner Link im September.

Walpen wies jedoch darauf hin, dass der Druck zur Regulierung auch in der Schweiz stark sei, insbesondere nach der Einführung von ChatGPT vor einem Jahr.

Tatsächlich hat die Schweiz kürzlich ihre Position etwas geändert. Ende November schloss sich die Schweizer Regierung der wachsenden Liste von Ländern an, die sich für Regulierungsansätze von künstlicher Intelligenz aussprechen. Diese sollen mit der KI-Verordnung der EU und des Europarats vereinbar sein.

Das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) soll eine entsprechende Analyse bis Ende 2024 erarbeiten und die Bundesämter miteinbeziehen, hiess es in einer MedienmitteilungExterner Link des Bundesrats.

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Den Zug verpasst

Bis dahin wird die EU wahrscheinlich ihr KI-Gesetz verabschiedet haben. Es dürfte auf Ende 2025 in Kraft treten. Kommt die Eidgenossenschaft also zu spät, um einen “Schweizer Weg” für die KI-Regulierung auszuarbeiten?

“Das ist so – in der Tat”, meint Boris Inderbitzin, Jurist und Technologie-Politiker aus Zürich. Seiner Ansicht nach wird der Einfluss der EU-Verordnung so gross sein, dass die Schweiz kaum eine andere Wahl haben wird, als diese passiv zu übernehmen.

“Die Schweiz hat den Zug in Sachen KI-Regulierung verpasst”, sagt Inderbitzin. Problematisch sei insbesondere die Abwesenheit an den europäischen Verhandlungstischen, obwohl die Schweiz internationalen Organisationen wie dem Europarat angehöre.

Als starke Demokratie und als Zentrum für Innovation und Forschung im Bereich der neuen Technologien hätte die Schweiz einen wichtigen Beitrag zum europäischen KI-Gesetz leisten können. “Jetzt kann sie den Wandel nur noch begleiten, ohne bei der Ausarbeitung der KI-Regelung durch die EU ein Wort mitgeredet zu haben”, sagt der Experte.

Im Februar 2022 hatte die Schweiz der EU die kalte Schulter gezeigt und einseitig die Gespräche über ein Rahmenabkommen abgebrochen. Damit hat sich die Eidgenossenschaft noch weiter von der EU entfernt.   

Illustration: Artificial Intelligence, Künstliche Intelligenz

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EU-Vorschriften für Schweizer Unternehmen

Schweizer Unternehmen werden das neue KI-Gesetz der EU einhalten müssen, um weiterhin auf dem europäischen Markt tätig sein zu können. Viele sind dabei, sich darauf vorzubereiten. Dabei berücksichtigen sie ihre Erfahrungen mit der 2018 in der EU eingeführten Datenschutz-GrundverordnungExterner Link.

“Viele Unternehmen haben diese nicht ernst genommen und kämpfen immer noch damit”, sagt Kevin Schawinski, Mitbegründer eines Zürcher Start-ups, das Unternehmen bei der Entwicklung KI-konformer Produkte unterstützt. “Die Unternehmen haben erkannt, dass es immer schwieriger und teurer wird, die europäische Gesetzgebung einzuhalten, je länger sie warten.”

Laut einer StudieExterner Link des Beratungsunternehmens Intellera müssen Unternehmen mit Kosten zwischen 230’000 und 4 Millionen Euro (218’000 bis 3,7 Millionen Franken) pro Jahr rechnen, um die Konformität und Zuverlässigkeit von hochrisiko-behafteten KI-Systeme sicherzustellen.

Dies erfordert auch die Einstellung von Fachpersonal. In der Schweiz werden diese Kosten laut Schawinksi zu etwa 30% auf die Unternehmen zurückfallen. Am stärksten werden diese Kosten Start-ups sowie kleine und mittlere Unternehmen belasten, die einen bedeutenden Teil der Schweizer Wirtschaft ausmachen.

“Die EU hat die Messlatte zu hoch gelegt”, meint Philippe Gillieron, Rechtsprofessor an der Universität Lausanne und Anwalt für geistiges Eigentum und Technologie.

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Die Schweiz als Zentrum der globalen KI-Governance?

Schawinski ist der Ansicht, dass das EU-Gesetz europäischen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen könnte.

Zumindest wenn sie KI-Systeme anbieten, die von der Öffentlichkeit als vertrauenswürdig wahrgenommen werden. Denn das Gesetz sei das erste seiner Art, das die Entwicklung einer sicheren KI garantiere.

Sollte die Schweiz also einfach das europäische Gesetz kopieren? Sie könne es besser machen, meint Boris Inderbitzen.

Dabei verweist er auf das vorhandene Fachweissen, den pragmatischen Ansatz auf der Grundlage von KI-Anwendungen und die Position der Schweiz als Land, das Multilateralismus und Menschenrechte fördert. “Aber um unser Potenzial auszuschöpfen und eine globale Wirkung zu entfalten, sollten wir unsere Beziehungen zur EU stärken”, so der Experte.

In der Zwischenzeit wollen die wichtigsten technischen Universitäten des Landes die Schweiz als ein führendes Land für transparente und vertrauenswürdige Künstliche IntelligenzExterner Link positionieren.

Viele KI-Forscher:innen sind der Meinung, dass sich die Schweiz als neutrales Zentrum für die Steuerung neuer Technologien etablieren könnte, um globale Lösungen zu finden.

Die Expertinnen für Ethik und digitale Wirtschaft Niniane Paeffgen und Salome Eggler sehen in diesem Ansatz Potenzial, wie sie in einem kürzlich erschienenen Bericht zur KI-GovernanceExterner Link in der Schweiz darlegten.

“Das Land kann seine Stärken strategisch besser nutzen, um globale Rahmenbedingungen für KI zu schaffen”, schreiben sie, “Insbesondere das Internationale Genf und das direktdemokratische Selbstverständnis der Schweiz sind dabei Trümpfe, die noch besser ausgespielt werden könnten.”

Editiert von Veronica de Vore, aus dem Italienischen übertragen von Gerhard Lob.

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