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Wahlen in der Schweiz: “Nur eine Minderheit versucht, die Transparenzregeln zu umgehen”

SVP Delegiertenversammlung am 1. Juli
Die Frage nach dem Geld ist in politischen Kampagnen in der Schweiz nicht mehr tabu. Neu müssen Parteien und Kandidierenden die erhaltenen Spenden offenlegen. © Keystone / Urs Flueeler

Die Art und Weise, wie sich Politiker:innen und Parteien finanzieren, sei keine Privatangelegenheit – auch nicht in einem Milizsystem, wie es die Schweiz kennt. Das sagt Hanne Juncher, Exekutivsekretärin der Staatengruppe gegen Korruption des Europarats GRECO.

Die Schweizer:innen erneuern am 22. Oktober ihr Parlament. Zum ersten Mal auf nationaler Ebene unterliegt dieser Wahlkampf Transparenzregeln. Spenden von mehr als 15’000 Franken müssen bis zum 7. September gemeldet werden, ebenso die Wahlkampfbudgets, wenn sie 50’000 Franken übersteigen. Die Schweiz war in dieser Hinsicht lange Zeit eine schlechte Schülerin in Europa.

SWI swissinfo.ch: Seit über einem Jahrzehnt fordern Sie die Schweiz auf, mehr Transparenz bei der Finanzierung von Wahlkampagnen zu schaffen. Dieses Jahr wurden zum ersten Mal bei Wahlen auf nationaler Ebene Regeln erlassen. Hat sich der Druck von GRECO letztendlich ausgezahlt?

Hanne Juncher: Die erhöhte Transparenz ist nicht nur das Ergebnis des Drucks von GRECO, aber sie ist sicherlich ein Schlüsselelement. Die GRECO hat ihren ersten Bericht zu diesem Thema und ihre Empfehlungen 2011 angenommen. Diesem Bericht folgten mehr als ein Dutzend weitere, in denen die Umsetzung dieser Empfehlungen untersucht wurde.

Die Schweizer Presse berichtete ausführlich über jeden dieser Berichte. Wir glauben, dass unsere Berichte zusammen mit dem Druck der Medien und der wichtigen Volksinitiative zur Transparenz von 2017 [eingereicht von mehreren Links- und Mitteparteien], die im Wesentlichen unsere Empfehlungen widerspiegelte, die entscheidenden Faktoren für diese Gesetzesänderung waren.

Porträt von Hanne Juncher
Die Dänin Hanne Juncher ist seit dem 1. Januar 2021 Exekutivsekretärin der Staatengruppe gegen Korruption des Europarats GRECO. Council Of Europe

Ist die neue Gesetzgebung ausreichend oder sind Ihrer Meinung nach noch weitere Verbesserungen erforderlich?

Diese Frage wird von GRECO selbst in ihrem nächsten Fortschrittsbericht beantwortet, der im März 2024 verabschiedet werden soll.

Warum ist es in einer Demokratie wie der Schweiz so wichtig zu wissen, wer die Parteien, die Kandidierenden und die Wahlkampagnen finanziert?

In jeder Demokratie ist es wichtig, dass die Wähler:innen wissen, wer politische Parteien und Kandidierende finanziert. Denn diese Finanzierung dazu beitragen, die Positionen bestimmter Parteien oder Kandidat:innen zu politischen oder gesellschaftlichen Fragen zu erklären.

Dies ist in der Schweiz vielleicht noch wichtiger, wo der Bundesstaat im Gegensatz zu den meisten europäischen Staaten die politischen Parteien und die Kandidierenden für die Wahlen nicht finanziert. Sie sind daher weitgehend von privater Finanzierung abhängig und es ist möglich, dass die Spender:innen daher noch mehr Einfluss haben.

Spenden von mehr als 15’000 Franken müssen nun gemeldet werden, ebenso wie Wahlkampfbudgets, wenn sie 50’000 Franken übersteigen. Denkbar wären stattdessen Spenden von 14’999 Franken. Wie hoch ist das Risiko, dass diese Regeln umgangen werden?

Es gibt immer Risiken und Schwelleneffekte. Unabhängig von den gewählten Regeln und Schwellenwerten haben wir in mehreren unserer Mitgliedstaaten beobachtet, dass einige Leute versuchen, ihre Spenden aufzuteilen, um die Transparenzregeln zu umgehen. Dabei handelt es sich jedoch um eine Minderheit.

Nicht alle Spender:innen werden versuchen, die Regeln zu umgehen, daher wird die Transparenz im Vergleich zur vorherigen Situation zwangsläufig erhöht. Andererseits ist es die Aufgabe der Transparenzkontrollbehörde – in der Schweiz die Eidgenössische Finanzkontrolle –, zu überprüfen, dass die Regeln nicht umgangen werden, und solche Verstösse zu ahnden.

Trotz dieser Fortschritte im Bereich der Finanzierung politischer Kampagnen haben Sie im Mai einen harten BerichtExterner Link gegen die Schweiz veröffentlicht. Sie schreiben, dass Sie “keine Fortschritte bei der Umsetzung der Empfehlungen” zur Bekämpfung der Korruption von Schweizer Parlamentarier:innen und Richter:innen feststellen können. Ist die GRECO gegen die Schweiz gerichtet?

Der Bericht befasste sich nicht mit der Finanzierung des politischen Lebens, sondern mit der Prävention der Korruption von Mitgliedern in Parlament, Gerichten und Staatsanwaltschaft im Rahmen einer anderen Evaluationsrunde der GRECO. Dieser begann für die Schweiz im Jahr 2016 und führte zu anderen Empfehlungen als die zur Transparenz der politischen Finanzierung.

Die GRECO bewertet nun, wie die Schweiz diese Empfehlungen umsetzt, wie sie es bei allen ihren Mitgliedstaaten tut. Dies ist der normale Follow-up-Prozess der GRECO-Evaluationen, zu dessen Teilnahme sich die Schweiz als Mitglied unserer Organisation verpflichtet hat.

In dem Bericht kritisieren Sie unter anderem, dass Parlamentarier:innen immer noch nicht angeben müssen, wie viel sie mit ihren ausserparlamentarischen Mandaten verdienen. Aber gehören diese Informationen in einem Milizsystem nicht in die Privatsphäre?

Wenn sich ein Mann oder eine Frau für ein politisches Mandat entscheidet, wird er oder sie zu einer öffentlichen Person, die im Vergleich zu nicht gewählten Bürger:innen gewisse Einschränkungen beim Schutz ihrer Privatsphäre hinnehmen muss. Das in der Schweiz bestehende Milizsystem ändert daran nichts.

So wie die Transparenz der politischen Finanzierung es ermöglicht, bestimmte Einflüsse oder Verbindungen zu den Positionen von Parteien und Kandidierenden aufzudecken, ist es wichtig, die Interessenbindungen der gewählten Vertreter:innen zu kennen. Die können dazu beitragen, ihrer Positionen zu erklären – und die Wählerschaft dazu zu bringen, sie wiederzuwählen oder nicht wiederzuwählen.

Das Parlament hat entgegen Ihren Empfehlungen noch immer keinen Ethikkodex für seine Abgeordneten verabschiedet. Wie würde dies konkret dazu beitragen, die Schweizer Demokratie transparenter zu machen?

Diese Empfehlung ist Teil der GRECO-Evaluation zur Korruptionsprävention bei Parlamentarier:innen. Sie zielt also nicht direkt darauf ab, das politische Leben transparenter zu machen, sondern die Integrität der Gewählten zu stärken.

Abgesehen davon tragen einige Elemente eines Ethikkodexes – wie eine grössere Transparenz der Kontakte zwischen Parlamentarier:innen, Lobbyisten und anderen Dritten – sicherlich zu einer transparenteren Demokratie bei.

Das Interview wurde schriftlich geführt. Übertragung aus dem Französischen: Giannis Mavris

Lesen Sie unser Interview mit dem Direktor von Transparency International Schweiz, in dem er auf Lücken bei der Kontrolle der neuen Transparenzregeln hinweist:

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