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Will man die Schweiz im EWR?

Liechtenstein
Von den vier EFTA-Mitgliedern sind drei im EWR: Island, Liechtenstein und Norwegen. Auf dem Bild ist die EFTA-Fahne vor dem Schloss Vaduz (Liechtenstein) zu sehen. Keystone/eddy Risch

Die Grünliberale Partei will mit einem EWR-Beitritt die vermurksten Beziehungen der Schweiz zur EU normalisieren. Davon dürften die EWR-Staaten nicht begeistert sein.

30 Jahre nach dem Volks-Nein liegt der Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in der Schweiz wieder auf dem Tisch. Die Grünliberale Partei will eine Motion einreichen, die den Bundesrat zu EWR-Beitrittsverhandlungen zwingt, berichtet die SonntagsZeitungExterner Link.

Aussenpolitikerin Elisabeth Schneider-Schneiter von der Partei Die Mitte twitterte daraufhin: “Wären wir im EWR, hätten wir die aktuellen Probleme mit der EU nicht. Leider wird bei dieser Diskussion aber immer ausgeblendet, dass die EWR-Staaten heute weder auf eine Mitgliedschaft der Schweiz noch des UK erpicht sind.”

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Gegenüber swissinfo.ch erklärt Schneider-Schneiter, die als Mitglied der EFTA/EU-Delegation der Schweizer Bundesversammlung regelmässigen Kontakt mit den EWR-Staaten hat: “Selbst wenn die Schweiz ein Beitrittsgesuch stellt, darf man nicht vergessen, dass es bei den EWR-Staaten auch skeptische Stimmen gibt.” Vor allem aus Norwegen mehrten sich Befürchtungen, dass mit dem Beitritt der Schweiz zum EWR die Harmonie des bestehenden Vertrages gestört werden könnte und ähnliche Diskussionen entstehen könnten wie aktuell zwischen der Schweiz und der EU.

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Die Schweiz würde Entscheidungsprozesse durcheinanderbringen

Laut Christian Frommelt, Direktor des Liechtenstein-Instituts, einer wissenschaftlichen Forschungsstelle und akademischen Lehrstätte in Bendern, bringt die Aufnahme jedes neuen Partners in ein so komplexes Gebilde wie den EWR gewisse Risiken für die Entscheidungseffizienz mit sich. “Und da die Schweiz in Sachen Europapolitik nicht gerade die einfachste Gesprächspartnerin ist, sehe ich durchaus die Gefahr, dass ein EWR-Beitritt der Schweiz die Funktionsweise eingespielter Prozesse im EWR gefährden würde.”

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Dass Liechtenstein ein Gesuch der Schweiz um einen EWR-Beitritt formell ablehnen würde, kann er sich jedoch nicht vorstellen. Das gelte auch für Island und Norwegen. “Auch hier ist das Interesse an guten Beziehungen zur Schweiz deutlich wichtiger als allfällige Bedenken über die Herausforderungen, welche ein Beitritt der Schweiz zum EWR für diesen bringen würde.”

Alle müssten Ja sagen

Das EWR-AbkommenExterner Link ist ein Vertrag zwischen den 27 EU-Mitgliedstaaten und Norwegen, Island sowie Liechtenstein. Alle diese 30 Länder beziehungsweise deren nationale Parlamente müssten der Aufnahme der Schweiz zustimmen.

Frommelt geht nicht davon aus, dass eines der Länder den Beitritt der Schweiz blockieren würde. “Es ist aber nicht auszuschliessen, dass gewisse Staaten ihre Zustimmung an konkrete Forderungen knüpfen würden.” Solche Forderungen wären laut Frommelt sicherlich finanzieller Natur – also ein erhöhter Kohäsionsbeitrag. Es seien aber auch marktschützende Massnahmen denkbar in Form von Übergangsregelungen.

EWR ein Erfolgsmodell

Die Schweiz ist nicht das einzige wohlhabende Land, das sich mit der Personenfreizügigkeit, der Unionsbürgerrichtlinie und gewissen Marktöffnungen schwertut. Auch innerhalb der EU sorgen diese Themen für Zoff.

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Mit dem EWR haben Island, Norwegen und Liechtenstein einen erfolgreichen Mittelweg gefunden. Für Island ist der EWR im Vergleich zu einer EU-Mitgliedschaft attraktiv, weil es die Fischerei nicht dem EU-Markt öffnen möchte. Für Norwegen gilt das Gleiche in Bezug auf die Öl-Industrie. Und der Zwergstaat Liechtenstein, in dem ein EU-Beitritt als nicht grössenverträglich gilt, konnte mit dem EWR eine Sonderregelung zur Personenfreizügigkeit aushandeln.

>> SRF, Tagesschau vom 01.05.2020 über das EWR-Jubiläum in Liechtenstein:

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Für Liechtenstein begann mit dem EWR-Beitritt eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. “Liechtenstein ist mit dem EWR-Abkommen sehr zufrieden”, sagt Frommelt. Das gelte im Übrigen auch für Island und Norwegen.

Ob auch die Schweiz reinpasst in diese EU-Mitgliedschaft light, die sie vor 30 Jahren verworfen hat, wird sich zeigen.

Der EWR wurde 1994 eingerichtet, um die EU-Bestimmungen über den Binnenmarkt auf die Länder der Europäischen Freihandelszone (EFTA) auszudehnen. Auch die Schweiz war an den Verhandlungen beteiligt. Doch die Schweizer Stimmbevölkerung sprach sich mit einem Nein-Anteil von 50,3% knapp gegen die Ratifizierung aus. Heute würden gemäss einer von einer pro-europäischen Bewegung in Auftrag gegebenen StudieExterner Link 71% einen Beitritt zum EWR befürworten.

Der EWR ist verkürzt gesagt ein Zwischending zwischen einer EU-Mitgliedschaft und den bilateralen Abkommen, wie sie die Schweiz heute kennt. Der Zugang zum EU-Binnenmarkt wäre umfassender als heute und würde auch Dienstleistungen wie Banken und Versicherungen beinhalten. Auch wäre die Schweiz in den europäischen Strommarkt integriert, was in Zeiten drohender Strommangellage von einiger Bedeutung ist. Im Unterschied zu einer EU-Mitgliedschaft haben EWR-Staaten aber keine politischen Mitspracherechte über neue EU-Regeln, die sie übernehmen müssen.

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