BundespräsidentMoritz Leuenberger:»Das beste Image ist der Inhalt»
Der Präsident der Schweiz für das Jahr 2001 ist Bundesrat Moritz Leuenberger. Swissinfo traf ihn zu einem Gespräch. Leuenberger will den Zusammenhalt der Sprachregionen fördern und dabei genug Spielraum lassen für die eigene kulturelle Identität.
Swissinfo: Herr Bundespräsident Moritz Leuenberger welche zusätzlichen Kompetenzen haben Sie im Präsidentenjahr?
Der Präsident leitet die Sitzungen des Bundesrates, bestimmt also die Traktandenliste und repräsentiert als Bundespräsident die Regierung im Innern des Landes, aber auch im Äussern des Landes, in unseren Nachbarstaaten der Europäischen Union, bei Weltkongressen.
Swissinfo: Ihr Vorgänger, Bundesrat Adolf Ogi, hat den Persönlichkeiten, die er in seinem Präsidialjahr getroffen hat, Kristalle aus seiner Heimat Kandersteg geschenkt. Was werden Sie den gekrönten und ungekrönten Häuptern, denen Sie begegnen werden, in die Hand drücken?
Das wird nicht immer dasselbe sein. Das kommt auf den Gast an. Welche Vorlieben er hat. Ich habe noch keine Geschenksammlung. Man muss auch spontan reagieren können. Nicht das ganze Jahr und schon gar nicht jedes Geschenklein ist geplant. Gott sei Dank!
Swissinfo: Sie sind nur ein Jahr lang Bundespräsident. Die Schweiz hat mit dem Rotationsprinzip des Präsidentenamtes ein recht exotisches System. Wo sehen Sie die Vorteile?
Ich finde es ein bewundernswertes Prinzip. Der Hauptvorteil ist, dass in diesem Land, das viele Minderheiten hat, das viele Kulturen kennt, sich jedes Jahr wieder eine Minderheit im besonderem Ausmass mit der Regierung identifizieren kann, weil sie den Präsidenten oder die Präsidentin stellt. Das Ganze ist auch ein Machtbrechungsinstrument. Man hat in diesem Land allzu viele Machtballung in einer Hand immer misstrauisch beobachtet. Von daher: Dieses System, das wir nicht nur auf Bundesebene kennen, sondern auch in praktisch allen Kantonen. Es ist auch ein Instrument gegen die Versuchungen der Korruption. Macht korrumpiert. Diese Gefahr ist immer da. Es ist ein sehr kluges System, das zwar heute einzigartig ist. Doch ich weiss, dass in alten städtischen Demokratien im Alten Griechenland, der Wiege der Demokratie, ähnliche Modelle praktiziert wurden.
Swissinfo: Trotzdem: Sie werden ja in diesem Jahr Kraft Ihres Amtes Beziehungen aufbauen können. Nach einem Jahr verschwinden Sie wieder von dieser Bühne. Geht da nicht auch etwas verloren?
Gewiss. Es bleibt aber auch etwas erhalten. Ich bleibe ja nachher Bundesrat, einfach im Departement. Diese Beziehungen, die sterben ja nicht total ab. Aber es ist schon so, unser System muss immer wieder erklärt werden. Das ist aber nicht nur beim System des Bundespräsidenten, sondern auch beim System des Bundesrates. Wir sind bloss sieben. Alle anderen Regierungen haben vierzehn bis zwanzig, gar bis dreissig Ministerien. Da muss man unser System auch immer wieder erklären. Und auch die anderen Länder dieser Erde haben ja nicht alle dasselbe System. Das Verständnis für verschiedene politische Systeme, für verschiedene Kulturen, das muss in der internationalen Politik auch gegeben sein, auch wenn man es ständig wieder erklären muss. Wir erwarten auch, dass man sich ein bisschen darum kümmert, welches System wir hier kennen.
Swissinfo: Stichwort Erklärung: Wie werden Sie nach der voraussehbaren Niederlage der Europa-Initiative dieses Resultat dem Rest Europas zu erklären versuchen?
Dieser Erklärungsbedarf ist schon vorher sehr wichtig, nicht erst nach der Abstimmung, weil wir ja diese Initiative zur Ablehnung empfehlen. Wir müssen erklären, warum wir das tun. Die Erklärung ist die, dass wir uns den Zeitpunkt der Beitrittsverhandlungen nicht per sofort vorschreiben wollen, sondern dass wir als Ziel diesen Beitritt durchaus behalten, aber die Bilateralen Verträge jetzt zunächst einmal auch erproben wollen, der Schweizer Bevölkerung zeigen wollen, dass das funktionieren kann, dass wir nicht jetzt gerade gleichzeitig mit dem für unser Land ebenfalls wichtigen UNO-Beitritt diese Beitrittsfrage vermengen wollen. Das muss erklärt werden. Und ich zähle auch darauf, dass die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten das verstehen. Ein anderes Argument ist, dass sich die Europäische Union ebenfalls in einem Umbruch befindet, dass im Moment, wo unser Beitritt aktuell werden kann, vielleicht eine ganz andere Europäische Union sich gebildet hat, als sie heute besteht. Das sind alles Elemente dafür, dass wir jetzt nicht sofort mit diesen Verhandlungen beginnen möchten.
Swissinfo: Als Bundespräsident werden Sie viel unterwegs sein. Sie werden eine Integrationsfigur für die ganze Schweiz sein in Ihrem Bundespräsidentenjahr. Haben Sie konkrete Vorstellungen, was die Überbrückung des Röstigrabens betrifft?
Der Zusammenhalt der Sprachregionen, der Zusammenhalt der verschiedenen Kulturen ist ja die Definition dieses Landes und von daher wird die diesbezügliche Aufgabe des Bundespräsidenten auch entsprechend definiert sein.
Was diesen berühmten Röstigraben angeht, ist vor allem mal wichtig zu erkennen, dass es ihn gibt. Ich sage nicht, ihn überzubewerten. Aber dass er diskutiert werden muss, dass es diese kulturellen Unterschiede in den politischen Abstimmungen gibt. Das haben wir wieder bei der letzten Abstimmung über die Sozialversicherung gesehen, dass es ganz verschiedene Mehrheiten in der lateinischen und in der deutschsprachigen Schweiz gibt. Das führt dazu, dass die Folgearbeit auch eine Kompromissarbeit sein muss, wo die Anliegen der Minderheit aufgenommen werden, auf dass nicht der eine Landesteil den anderen dominiert. Auf der anderen Seite muss sowohl die Mehrheit der Minderheit aber auch die Minderheit der Mehrheit den Spielraum lassen, die eigene kulturelle Identität zu formulieren und auszuleben. Der Röstigraben darf nicht dazu führen, dass sich die beiden einfach nivellieren, sondern es muss jede kulturelle Gruppierung die Möglichkeit haben, sich selbst zu definieren.
Swissinfo: Diese farbige Schweiz, wie wird die im Ausland wahrgenommen? Wir haben die Geschichte mit den Nachrichtenlosen Vermögen gerade hinter uns. Denken Sie, dass noch Bedarf ist an Imagepflege für die Schweiz?
Ich selbst halte von Imagepflege nicht so viel. Es geht doch um den Inhalt. Wir wollen eine solidarische Schweiz, die mit Europa, mit der Dritten Welt, mit der ganzen Welt auch, solidarisch ist und keine parasitäre Rolle in keinem Bereich spielen darf und spielen will. Das beste Image ist der Inhalt und ich halte nichts davon, dass mit irgendwelchen Agenturen oder schönfärberischen Erklärungen eine Politik aufpoliert wird, die fragwürdig sein kann.
Swissinfo: Ist das auch das Idealbild der Schweiz, die Sie gerne im Jahre 2001 repräsentieren möchten?
Jeder Mann, jede Frau hat ihr Idealbild der Schweiz und möchte das doch verwirklicht haben. Dieses ideale Bild besteht darin, dass im Innern dieses Landes die vielen Sprachen, die vielen Minderheiten, die vielen Kulturen miteinander leben können und dass diese Schweiz gegen aussen offen ist, solidarisch ist mit ihren Nachbarn, solidarisch ist mit der ganzen Welt.
Interview: Ruth Bossart
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