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Die lange Heimkehr des Mike Horn

Mike Horn nach 800 Tagen am Nordkap in Norwegen. swissinfo.ch

Der in Château-d'Oex (VD) wohnafte Abenteurer hat am Donnerstag seine Solo-Umrundung der Arktis geschafft: Die "Arktos" dauerte über 26 Monate und zog sich über 20'000 Kilometer.

Gleich nach der Ankunft erklärte Mike Horn gegenüber swissinfo, was Begriffe wie Kälte, Angst und Natur für ihn bedeuten.

Der Händedruck ist fest, energisch. Und rau. Denn zwei Jahre draussen, rund um den Nordpol, unter oft extremen Bedingungen, prägen nicht nur den Geist, sondern auch den Körper.

Der gebürtige Südafrikaner Mike Horn war im August 2002 aufgebrochen, um die Arktis entlang dem Polarkreis zu umrunden. Die Expedition «Arktos» führte über Grönland, Kanada, Alaska und Sibirien, und das alles ohne motorisierte Verkehrsmittel. Zu Beginn gab es einen Unterbruch, weil Horn an Erfrierungen litt.

Am Nordkap, ganz im Norden von Norwegen, in einem Hotel bei Honningsvag, von wo er aufgebrochen war, stellte sich Horn nach der Rückkehr den Medien.

swissinfo unterhielt sich mit dem Abenteurer, der vor 12 Jahren Schweizer geworden war.

swissinfo: Was ist in Ihrem Kopf vorgegangen, als Sie vorhin mit Ihrem Boot hier anlegten?

Mike Horn: Es ist der Moment, wo man sich sagt, ich verlasse mein Boot, das ist das Ende. Ich möchte nicht, dass das zu schnell vorbei ist. Ich möchte den Moment in die Länge ziehen, die Taue fünfmal verknoten, die Weste zwei Mal ausziehen. Doch es kommt der Zeitpunkt, wo man sich der Realität stellen muss.

Einerseits will man die Familie wiedersehen, zu Hause sein. Anderseits will man nicht, dass das Abenteuer ein Ende hat. Alle Erinnerungen steigen auf, man weiss, der Moment wird kommen – aber man möchte das nicht. Und schon sind die zweieinhalb Jahre vorüber.

Der Beginn einer Expedition bedeutet Befreiung. Doch das Ende, die Ankunft, ist geprägt vom Kampf mit sich selber. Und die Frage kommt auf: Was nun?

swissinfo: Statt Sie zu eigenen Fragen zu motivieren, sagen Sie uns doch bitte, was Ihnen beispielsweise zu den Begriffen Kälte und Wärme einfällt?

M. H.: Die Hitze kann einen kaum töten, wenn man genügend trinkt. Ich spreche von der Hitze des Dschungels. Die Kälte hingegen tötet schnell, da heisst es aufpassen. Kälte kann schnell über einen kommen.

Kaum breitet sie sich aus, fällt die Temperatur im Körper, und das Leben erlischt. Man muss also auf seinen Körper hören.

swissinfo: Was sagt Ihnen der Begriff «Angst»?

M. H.: Die Angst ist es, die mich schützt. Dank ihr bleibe ich am Leben. Hätte ich eines Tages keine Angst mehr, würde ich keine Expeditionen mehr machen, weil ich lauter Dummheiten unternähme.

swissinfo: Wie steht es mit dem Reisen? Ist es innerlich oder äusserlich?

M. H.: An sich ist beim Fussmarsch der Kopf völlig frei. Nur wenn das Wetter verrückt spielt, muss man wirklich nach Lösungen suchen. Und derartig extreme Witterungsbedingungen dauern vier bis fünf Monate.

swissinfo: Sie hatten also genügend Zeit, über Gott und die Welt nachzudenken. Gibt es Gott, oder ist alles nur Natur?

M. H.: Lebt man derart mit der Natur, sagt man sich, dass es einen Schöpfer für das alles geben muss. Für mich ist das Gott. Für jemand anderen mag das Buddha sein, oder ein Sonnengott, oder Neptun, ganz egal.

Wichtig ist, dass es jemand ist. Nach 800 Tagen Wildnis sagt man sich, jemand muss das Ganze hier managen, und das bin nicht ich.

swissinfo: Das Wort Gewalt, was sagt es Ihnen? In Ihrer Jugend waren Sie in Südafrika bei Spezialeinheiten. Auch Ihre Expeditionen sind gewaltig.

M. H.: Nicht dass ich die Gewalt liebe. Ich bin gegen Gewalt. Wird man mit 17 Jahren in die Armee eingezogen, ohne die Möglichkeit zu haben, den Dienst zu umgehen, versucht man eben, lebendig davon zu kommen.

Kommt einer und will dich umbringen, soll man sich da töten lassen oder ist es nicht besser, sich zu wehren?

Das Bedürfnis-Dreieck des Menschen setzt sich zusammen aus dem Bedürfnis nach Sex, nach Gesellschaft und aus dem Willen, am Leben zu bleiben. Das letztere setzt manchmal Gewalt voraus.

swissinfo: Sind Ihre Expeditionen ein Mittel, um die Gewalt zu kanalisieren, die in Ihnen steckt?

M. H.: Es handelt sich wohl eher um eine gute Verwendung meiner Energie. Und eine Art, täglich etwas Neues dazu zu lernen. Da ich eben fast eine Art geborener Abenteuer und Entdecker bin, ist es eine Art, mich auszudrücken.

Man muss eine Arbeit machen, die einem gefällt. Ich kanalisiere all meine Energie in diese Arbeit. Indem ich die Expeditionen unternehme, kann ich sie dann mit jenen Leuten teilen, die keine Lust oder keine Möglichkeit haben, so etwas zu tun.

swissinfo: Was sagt Ihnen das Wort «Vater»?

M. H.: Mein Vater war mein Idol. Ich war sehr stolz auf ihn. Er war ein guter Rugby-Spieler. Er hörte auch nie auf, zu studieren. Zwei Jahre vor seinem Tod arbeitete er noch an seinem Doktorat in Psychologie.

Mich als Vater kann man leicht kritisieren, indem man behauptet, ich sei für meine Töchter keiner. Doch wie viele Väter kommen abends derart spät und erschöpft nach Hause, dass sie ihre Kinder gar nicht mehr zu sehen bekommen? Die sind zwar zu Hause, aber nicht präsent.

Ich hingegen bin nicht zu Hause, aber für die Kinder da. Das sieht man ihnen an. Sie sind sportlich, gut in der Schule, sie lachen und können sich benehmen. Und wenn ich dann zu Hause bin, bin ich hundertprozentig für sie da.

In meiner Kindheit war meine Mutter eher die Erziehende. Und mein Vater, das war Fussball-Match, Rafting und Ferien.

Dank meinen Expeditionen kamen meine Kinder nach Kanada, an den Nordpol, nach Russland, Alaska und Grönland. Ausserdem sahen sie Afrika, Amazonien, Australien und Neuseeland. Wer hat mit zehn Jahren schon soviel von der Welt mitbekommen?

swissinfo: Wie sieht es mit der Zukunft aus?

M. H.: Zukunft – was ist das? Mit dem Alter sollte man auch seinen Körper mehr respektieren. Ich kehre nach Hause zurück, aber Projekte habe ich auch schon. Eventuell mehr erzieherische Projekte, mit Kindern zum Beispiel.

Denn heute verliert sich der Kontakt zur Natur. Man sollte ihn jedoch behalten. Die Erde kann ohne den Menschen existieren. Die Menschen sind wohl die einzige Species, die verschwinden kann und damit eine Erholung der Erde bewirken würde.

Wenn ich etwas für die Erziehung tun könnte, wäre das für mich auch eine Art, meine Energie zu kanalisieren.

swissinfo, Bernard Léchot aus Honningsvag
(Aus dem Französischen von Alexander Künzle)

Mike Horn wurde 1966 in Johannesburg geboren.

Militärdienst 1984 – 1987, Hauptmann innerhalb der Spezialeinheiten.

1990: Abschluss in Geisteswissenschaften an der Uni Stellenbosch.

Im gleichen Jahr verlässt er Südafrika, um Europa zu bereisen.

Er lässt sich in «aux Moulins» bei Château-d’Oex in den Waadtländer Alpen nieder. Dort lebt er mit seiner Frau Cathy und den Töchtern Annika und Jessica.

Seine Frau managt einen Teil seiner Organisation und seiner Expeditionen.

Der südafrikanische Wahlschweizer Mike Horn beendete am 21. Oktober seine Expedition «Arktos» am Nordkap in Norwegen.
Er ging allein und nicht motorisiert 20’000 km rund um den Polarkreis.
Verkehrsmittel: Segelboot, Trimaran, Kayak-Paddelboot, Schneeschuhe, Skis mit Winddrachen, Fahrrad.
Aufgebrochen war er ebenfalls am Nordkap im Februar 2002.
Nach den ersten Wochen musste er wegen schweren Erfrierungen abbrechen.
Im August 2002 startete er erneut.
Hindernisse: Arktische Nacht, Temperaturen bis minus 70 Grad, Erfrierungen, Zeltbrand, Bären, russische Bürokratie, Stürme.

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