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Zürichs Kunstherz

Eingang zum Theaterhaus Gessnerallee, wo die Thetaerszene Zürichs abgeht. Keystone

London, Paris, Mailand, Prag, New York und als exotische Beigabe vielleicht noch Istanbul, das sind die Trendstädte, die besucht werden müssen. Aber Zürich? Jaaa! Zürich ist aufgewacht und hat sein Herz für die Kunst entdeckt.

Zürich ist Zeit. Zürich ist Zwingli. Zürich ist Ausland. Zürich ist Medium. Zürich ist Klischee. Zürich ist Kunst. Zürich ist Zürich ist Zürich. Alles ist wahr und alles ist falsch und alles ist möglich, in dieser Stadt. Zürich, der heimlichen Hauptstadt der Schweiz, die sich endlich aufgerafft hat ihr Korsett wegzuwerfen und langsam beginnt so vielfältig zu sein wie ihre Einwohnerinnen, Pendler, Besuchende farbig sind.

Ein bisschen Dolce Vita, eine Prise Leichtigkeit hat Einzug gehalten zwischen See und Üetliberg, zwischen Sihl und Limmat, zwischen Züriberg und ZüriWest, ein bisschen und noch lange nicht genug. Ermöglicht haben dieses grosse Kunststück nicht etwa die Eingeborenen selber, nein dazu bedurfte und bedarf es vieler Ausserkantonaler und Ausländern. Und die leben und arbeiten und wirken in grosser Zahl. Zum Glück für Zürich. Sie haben das grösste Kunststück in Zürich vollbracht, die freie Sicht aufs Mittelmeer.

Kunstspaziergang

Daneben ist auch ganz real die Kunst greifbar(er) geworden. Unternehmen wir einen Spaziergang. Beginnen wir dort, wo das Wasser und der Himmel sich – ohne Imagination geht auch in Zürich nichts – küssen, am See, am Zürihorn. Wir schmunzeln über Tinguelys eiserne Skulptur, spazieren staunend am Chinagarten vorbei, werfen einen Blick auf Le Corbusiers Haus, füttern Henry Moors eiserne Schafe. Am Bellevue, nochmals einen Blick auf Panorama und Berge, schnell einen Espresso, dann ein erster Halt im Helmhaus.

Dieses Haus ist die erste Adresse, wenn es um zeitgenössische Schweizer Kunst geht. In zehn bis zwölf Ausstellungen pro Jahr stellen hier bestandene und aufstrebende Kunstschaffende ihre Werke ins Licht. Aussen fliesst die Limmat träge, innen sind Überraschungen nicht ausgeschlossen.

Der nächste Stopp gilt dem ewz-Unterwerk Selnau. Hier im ehemaligen Unterwerk des Elektrizitätswerks der Stadt Zürich wird im Sommer 2001, das “Haus für konstruktive und konkrete Kunst” für Besucher-Strom sorgen. Momentan findet in diesen ehemaligen Industrieräumen die grösste Werkschau der Schweizer Fotoszene statt. Garantiert nicht Negativ.

Auf dem Weg in jenes Gebiet von Zürich, welchen die West-Side Story neu schreiben wird, lässt sich das Programm des Theaterhauses Gessnerallee studieren. Wo früher Rosse streng militärisch quadrillierten, werden heute Klassiker und zeitgenössische Dramatiker zitiert. Für den kleinen Hunger, einen Falaffel und im Kreis Cheib (4), kann bei genügend Kleingeld dies und jenes, zum Anziehen, Aufhängen, Hinstellen – alles made in Switzerland – eingekauft werden. Hipe Designer, schnelle Grafikerinnen, trendy Filmer, sehen und gesehen werden. Und ebenso wichtig: Zeig mir den Schein, reden wir übers Sein, das Motto der gestylten Labeljunkies.

West Side Story

Weiter, immer weiter nach Züri West. Kunst und Kultur auf kleinstem Raum. Wo früher Weissmacher, Schiffsschrauben, Bier produziert wurden schlägt heute Zürichs Kunstherz.

Das Museum für Gestaltung führt drei bedeutende Sammlungen: Design, Grafik, Plakate und zeigt mit Wechsel-Austellungen was in Sachen Architektur, Fotografie, Medien, Alltagskultur angesagt ist. Und der Partner Hochschule für Gestaltung spuckt jährlich neue Talente auf den Markt.

Einige Schritte und schon leuchten einem die Backsteine, der ehemaligen Brauerei entgegen. Innovative Hallen der Kunst. Unter einem Dach vereinen sich Galerien, das Migros Museum, die Kunsthalle, ein Trainings-Center. Die Galerie Hauser & Wirt lässt Pipilotti Lists Magie floaten.

Das Kulturprozent der Migros gibt Olaf Breunig Raum und der zeigt in einer kindischen Erwachsenenwelt das Label als Fetisch. Spiel mit im Spielhaus. Schöne Räume in postindustrieller Umgebung zeigen Kunst und fordern Einhalt.

Ebenfalls in der Nähe, der Schiffsbau. Neuster, millionenteurer Theaterolymp in Zürich. Christoph Marthaler, Regisseur und Leiter und Team präsentieren ein fettes Programm. Dichtgedrängte Aufführungen, Lesungen, kleine Bühne, grosse Bühne, hohe Kadenz.

Einige beginnen bereits zu fragen: Wie lange hält dieses Tempo vor? Ja das Tempo. Es scheint als wolle Zürich, eben erst aus dem kulturellen Schneewittchen-Schlaf erwacht, im TGV-Tempo aufholen was gar nie aufzuholen ist: das Leben.

Brigitta Javurek, Zürich

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