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Zwischen weichem Tüll und harter Knochenarbeit

Schweizer Mode schafft es nur selten auf die glamourösesten Laufstege. Keystone Archive

Gibt es eine Schweizer Mode? Ja, aber sie ist weitgehend unbekannt.

Die Schweizer Modeschöpfer müssen werben, um ihre qualitativ anspruchsvollen Produkte ausserhalb der Landesgrenzen bekannt zu machen.

Im Herbst bricht regelmässig das Modefieber aus: Paris und Mailand bilden den Rahmen für die neuen Kollektionen von Versace, Lagerfeld, Prada und Armani. Wer kennt diese Namen nicht. Aber schon mal was von Andrea Hostettler, Marianne Alvoni oder Bruno Bencivenga gehört?

Die Bedeutung der Werbung

Es handelt sich bei diesen Namen um erfolgreiche Schweizer Modeschöpferinnen und Modeschöpfer. Sie gehören einem kleinen, weitgehend unbekannten Mikrokosmos an.

“In der Schweiz gibt es keine Lobby der Modeschöpfer”, beklagt die Berner Stilistin Marianne Alvoni, welche die Missen der Schweiz, die schönsten Frauen Helvetiens, mit Tuch umhüllt.

“In London hat jedes Modestudio ein eigenes Werbebüro. Hier in der Schweiz gibt es das nicht, weil wir uns nicht als Modeland betrachten”, sagt die Designerin gegenüber swissinfo. Sie hat sich mit Hochzeits- und Abendkleidern einen Namen gemacht.

Bruno Bencivenga, Erfinder der Leder-Marke Navyboot, hat hingegen von Anfang an auf Werbung gesetzt: “Ich kann den schönsten Schuh der Welt kreieren, aber wenn niemand etwas davon weiss, werde ich nie einen Schuh verkaufen.”

Für den schweizerisch-italienischen Doppelbürger, der vor elf Jahren den “Schuh für alle Jahreszeiten” erfunden hat, war es von fundamentaler Wichtigkeit, von Anfang an Werbekampagnen zu lancieren.

Bencivenga hat die Bedeutung von Werbebotschaften bestens verstanden. Und er beherrscht dieses raffinierte Instrument perfekt: “In unserer Werbung zeigen wir nie Gesichter. Unser Produkt wird nie mit dem Bild einer Person in Verbindung gebracht”, sagt er gegenüber swissinfo.

Erfahrungen im Ausland

Vor allem braucht es Mittel und Elan, um sich international bekannt zu machen. Die Auseinandersetzung und der Kontakt mit Stilisten und dem Publikum anderer Länder kann wichtige Anregungen geben.

Eine interessante Erfahrung haben beispielsweise Andrea Hostettler und ihre Kollegin Anja Boje gemacht, die seit 1994 auf Mode prêt-à porter spezialisiert sind. Im Jahr 1995 haben sie an der Modemesse in Düsseldorf teilgenommen, der weltweit wichtigsten Messe dieser Branche.

“Wir waren als Nachwuchstalente eingeladen worden. Erstmals haben wir erlebt, was es bedeutet, an einer grossen Messe dabei zu sein, die Käufer zu treffen und über Preise zu verhandeln”, sagt Andrea Hostettler zu swissinfo. “Ein Modeagent wurde auf uns aufmerksam, mit ihm sind wir ins Geschäft gekommen.”

Etwas bewegt sich…

An wen sollte man sich wenden, um aus dem engen helvetischen Raum auszubrechen? Die Schule für Gestaltung in Basel ist eine wahre Talentschmiede: Viele Schweizer Stilisten haben in dieser Schule gelernt. Das Institut ist sehr innovativ und organisiert Stages bei weltweit bekannten Modeschöpfern.

Die Auslandseinsätze werden seit kurzem auch vom Bundesamt für Kultur unterstützt, das Stipendien im Bereich der angewandten Kunst vergibt. Doch die Initiative ist noch kaum bekannt. “Viele wissen ja gar nicht, dass es diese Möglichkeit gibt”, sagt Andrea Hostettler. Marianne Alvoni lobt die Initiative: “Es gibt einen Wandel: Modeschöpfung wird jetzt auch als Kunst anerkannt.”

Aufbauhilfe durch den Schweizer Textilverband

Eine Profilierungs-Möglichkeit bietet der Schweizer Textilverband mit seinem “Swiss Textiles Award”, der seit zwei Jahren an der “Gwand” in Luzern vergeben wird. Der Preis hat laut dem Verband einen Gegenwert von ca. 200’000 Franken und soll Aufbauhilfe für eine internationale Modekarriere sein.

Im letzten Jahr ging die Auszeichnung an den 27-jährigen Designer Tran Hin-Phu aus Basel. Der Textilverband will während zweier Saisons mithelfen, dem Nachwuchstalent ein eigenes Label aufzubauen, ihm internationale Auftritte zu verschaffen und beratend zur Seite stehen.

Kritik gegenüber Schweizer Anlässen

Als weitere Möglichkeit, sich Öffentlichkeit zu verschaffen, gelten Schweizer Mode-Events wie Prix Bolero oder Extravaganza in Bern, die am vergangenen Wochenende statt fand. Nach Meinung der Stilisten ist ihre Wirkung aber ziemlich limitiert.

“Es ist eine gute Bühne, aber für den Verkauf bringt es nichts”, konstatiert Marianne Alvoni. Eine Veranstaltung wie Extravaganza ist ihrer Ansicht nach “zu ausgeflippt, zu extrem”. Es sei mehr eine Show als eine Verkaufsmöglichkeit.

Die Schweizer Stilistin meint, dass man einfach das nachmachen will, was in Paris oder London läuft. Nur funktioniere es nicht.

Grosse Medienpräsenz

Robert Lenz, Organisator von Extravaganza, ist da ganz anderer Ansicht. “Diese Veranstaltung hilft Designern wirklich, sich einem grossen Publikum vorzustellen. Die Abdeckung durch die Medien ist enorm”, sagt er gegenüber swissinfo.

Lenz gibt zu, dass Ereignisse wie Extravaganza nicht ausreichen, um Produkte abzusetzen. Aber er macht deshalb auf eine Neuigkeit von diesem Jahr aufmerksam: Die vorgeführten Kollektionen werden sukzessive in einem der renommiertesten Warenhäuser der Hauptstadt ausgestellt – dies als Reaktion auf die vorgebrachte Kritik.

Robert Lenz weiss, dass eine Veranstaltung in Bern nicht ausreicht, um sofort Geld zu machen. Genauso wie es nicht ausreicht, einfach Modelle zu entwerfen. Ein Stilist in der Schweiz müsse gleichzeitig auch Unternehmer, PR-Manager und Marketing-Spezialist sein, wenn er Erfolg haben wolle.

Ein Designer, der sein Produkt kommerziell verwerten wolle, “muss in den Markt eintreten, sich verkaufen können und mit Medien umgehen können. Wenigstens in den beiden letzt genannten Gebieten können wir helfen”, so Lenz.

swissinfo, Elena Altenburger

Die wichtigsten Veranstaltungen und Mode-Preise:
Prix Bolero, Zürich
Gwand, Luzern
Extravaganza, Bern
Das Bundesamt für Kultur und die Schule für Gestaltung in Basel schreiben Stipendien für Modedesigner aus und organisieren Stages im Ausland.

Sie haben Erfolg und Ideen und sind motiviert. Aber man hört ihnen nicht zu. Schweizer Modeschöpfer müssen einen Spagat zwischen ihrer täglichen Knochenarbeit und der Präsenz auf den internationalen Bühnen machen.

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