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ABB/Wüstenstrom-Projekt muss politische Hürden nehmen

FRANKFURT (awp international) – Die Erzeugung von Solarstrom in der Sahara in grossem Stil ist nach Einschätzung des bisherigen Koordinators des Wüstenstromprojekts technisch und wohl auch finanziell machbar. Die grösste Herausforderung sei jedoch, einen politischen Konsensus in Europa und Afrika herzustellen, sagte Torsten Jeworrek, der auch Vorstandsmitglied der Münchener Rück ist. “Es braucht verlässliche Rahmenbedingungen, etwa zur Abnahme von Strom zu gewährleisteten Preisen und politische Sicherheiten”, sagte der Manager in einem Interview mit Dow Jones Newswires.
Jeworrek koordinierte bislang die als Desertec bekannt gewordene Initiative von zwölf Unternehmen und einer Nicht-Regierungs-Organisation, der Desertec Foundation. Mit Gründung des Unternehmens DII GmbH übergibt er seine Aufgabe nun an dessen Geschäftsführer Paul van Son.
Die erste grosse Frage des Projektes sei gewesen, ob es technisch überhaupt durchführbar ist, sagte Jeworrek. Dieser Punkt sei nun jedoch geklärt. Jetzt gehe es um die Finanzierung und um die Politik. “Die Staaten, die am Ende eingebunden sein müssen, sind natürlich sehr verschieden. Hier müssen die Meinungen harmonisiert werden”, sagte der Manager. “Wenn wir das hinbekommen, ist das Projekt durch die Privatwirtschaft gut finanzierbar.”
Ziel des Desertec-Projektes ist, Solarstrom in zahlreichen Ländern der nördlichen Sahara zu produzieren, etwa Marokko, Ägypten, Algerien oder Tunesien. Verbraucht werden soll der Strom dann sowohl in Nordafrika selbst als auch in Europa, das über lange Stromleitungen versorgt werden soll. Geplant ist die Errichtung von Solarkraftwerken auf einer Fläche von 16.900 Quadratkilometern. Bis 2050 soll damit bis zu 15% des Stromverbrauchs Europas gesichert werden. Auch der wachsende Energiehunger Nordafrikas und des Nahen Ostens soll damit befriedigt werden.
Das Projekt stösst jedoch auch auf Kritik. Bundestagsmitglied Hermann Scheer, der auch Präsident der Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien Eurosolar ist, hält den bisherigen Kostenansatz für Desertec für zu niedrig. Der Club of Rome hatte die Kosten des Projekts jüngst auf 400 Mrd EUR geschätzt. Scheer spricht sich eher für eine dezentrale Produktion erneuerbarer Energien in Europa selbst aus, statt sich in grösserem Ausmass von einer Versorgung ausserhalb Europas abhängig zu machen.
Zur Frage der Sicherheit bei der Stromversorgung sagte Jeworrek: “Es ist nicht nur ein einziges Land involviert, in dem Kraftwerke entstehen, sondern viele. Es gibt also eine gute Diversifizierung der Standorte, und wir sehen kein zusätzliches Risiko durch Politik oder Terror, das könnte genauso gut auch in Europa passieren.”
Zur Befürchtung, der Solarstrom könnte zu teuer werden, sagte der Manager, derzeit würden dessen Produktionskosten rund 0,15 bis 0,25 EUR pro Kilowattstunde betragen. “Das ist zu teuer im Vergleich zu konventionellem Strom, für den wir als Endverbraucher rund 0,20 bis 0,22 EUR pro Kilowattstunde zahlen.” Wenn man allerdings die Solarkraftwerkstechnologie standardisiere und serienmässig produziere, seien Produktionskosten von 0,10 EUR erreichbar. Dagegen werde sich der Strom aus fossiler Energie wegen Ressourcenknappheit erheblich verteuern.
Zur Finanzierung des Projektes sagte Jeworrek, hilfreich für Desertec sei zwar, dass im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung stehe, das Thema Energieproduktion aus den Wüsten Afrikas für Europa und Deutschland in den nächsten vier Jahren vorantreiben zu wollen. Ziel sei aber nicht, sich auf öffentliche Haushalte zu stützen, sondern den privaten Kapitalmarkt oder Private Equity zur Projektfinanzierung verfügbar zu machen. “Der private Kapitalmarkt ist derzeit in einer besseren finanziellen Lage als die öffentlichen Haushalte, die in der Finanzkrise stark gelitten haben”, sagte der Manager.
Es gebe ein grosses Interesse an der Initiative, so dass in den nächsten Wochen neue Mitglieder dazukommen dürften.” Ziel seien 20 bis 30 stimmberechtigte Gesellschafter und möglicherweise mehr als 100 assoziierte Partner ohne Stimmrechte. “Wir erwarten, dass vor allem weitere Gesellschafter aus Südeuropa und Nordafrika in Kürze dazukommen, eine stärkere Repräsentanz dieser Länder im Gesellschafterkreis ist auf jeden Fall erwünscht”, sagte Jeworrek.
Zu den an Desertec beteiligten Unternehmen gehören die schweizerische ABB, die spanische Abengoa Solar, die algerische Cevital, die Deutsche Bank AG, die E.ON AG, die HSH Nordbank, die MAN Solar Millennium, die Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft AG, M+W Zander, die RWE AG, die Schott Solar AG und die Siemens AG. Zum weiteren Vorantreiben des Vorhabens war die Desertec Industrial Initiative GmbH (DII) gegründet worden, die am Freitag ihre Arbeit aufnahm.
DJG/DJN/jhe

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