Euro 08: Keine Angst vor Terrorismus

"Al Kaida bedroht die Euro 2008", behauptete kürzlich die Schweizer Presse. Terrorismus-Experte Jacques F. Baud sieht keinen Grund, weshalb die Islamisten gerade die Schweiz oder gar den Fussball ins Visier nehmen sollten.
«Verwandeln wir die zwei sichersten Länder Europas in eine Hölle, wie (geschehen) in Irak oder in Afghanistan.» So war es auf Französisch in mehreren Internetforen zu lesen, wie z.B. auf Minbar-SoS, bekannt als Stimme eines eher radikalen Islams.
Darüber berichtete als erste Tageszeitung die Feiburger Zeitung «La Liberté» und präzisierte, dass die Schweizer Sicherheitsdienste diese Drohungen «sehr ernst» nähmen. Es wurde daran erinnert, das gewisse islamistische Extremisten mit der Schweiz noch eine Rechnung offen haben könnten. Die Volksinitiative der nationalistischen Rechten gegen den Bau von Minaretten gab in der arabischen Welt viel zu reden.
Nach Ansicht von Jacques F. Baud, Schweizer Terrorismus-Spezialist und Autor verschiedener Werke zu diesem Thema, sollte man nicht in Panik verfallen.
swissinfo: Muss man während der Euro 2008 mit einem terroristischen Anschlag rechnen?
Jacques F. Baud: Ich habe keine Kristallkugel, und niemand kann voraussagen, was passieren könnte oder eben nicht. Ich gehe im Fall von islamistischen Terroranschlägen eher von einem geringen Risiko aus.
Bis jetzt es hat an solchen Grossanlässen noch nie Attentate gegeben. Natürlich könnten die grossen Menschenmengen für die Terroristen verlockend sein, doch man muss wissen, dass die Strategie der islamistischen Extremisten einer Logik folgt. Es geht ihnen darum, eine Botschaft zu vermitteln. Möglichst viele Menschen umzubringen, ist nicht immer ihr Ziel.
Welches könnten die Motive sein, die Schweiz anzugreifen? Ich sehe keines. Es gibt Motive, Anschläge gegen die USA zu verüben oder auch gegen die Feinde der Islamisten, die in Irak oder in Afghanistan kämpfen, doch die Schweiz? Wo wäre da die Logik?
Zudem – und das vergisst man gerne bei den Überlegungen – ist Fussball im ganzen Nahen Osten und in Afrika ein hoch geschätzter Sport. Es wäre doch sehr erstaunlich, wenn die Terroristen einen Bereich angreifen würden, der bei der Bevölkerung dieser Regionen dermassen populär ist.
Natürlich, ausschliessen kann man nichts, dennoch sollte man ruhig Blut bewahren. Wir sollten wachsam sein und entsprechende Vorsichtsmassnahmen treffen, doch es wäre falsch, sich zu ängstigen und die Drohungen überzubewerten.
swissinfo: Doch es gab diese Aufrufe in den Internetforen.
J.F.B.: Daran glaube ich nicht. Dies sind keine Websites, die als Sprachrohr der islamistischen Welt gelten oder gar meinungsbildend sind.
Auf diesen Seiten äussern sich Leute, die an der islamistischen Sache interessiert sind. Sie sind in irgend einer Banlieue zu Hause und nutzen die Chance, über diese Kanäle ihren Missmut auszudrücken.
Man sollte aber diesen Bedrohungen das richtige Gewicht beimessen. Es stimmt, Österreich ist in Afghanistan präsent, dort sind fünf Offiziere stationiert. Und Deutschland hat mehr als 2000 Mann vor Ort. Letztes Jahr verbreitete eine Extremistengruppe ein Video über «YouTube» und drohte den zwei Ländern mit der Rache Gottes.
Nun gut, nichts davon geschah. Das sind Leute, die sich mit rhetorischer Kraftmeierei Aufmerksamkeit verschaffen. Das gehört zur Tradition des Mittleren Ostens, man schwingt grosse Reden mit melodramatischem Unterton und grosser Geste. Doch letztlich bleibt es dabei.
swissinfo: Man spricht von islamistischem Terror, doch es könnte auch andere Gruppierungen geben, welche die Euro im Visier haben.
J.F.B.: Das glaube ich noch weniger. Die baskische Untergrundorganisation ETA, die Iren oder die neuen Roten Brigaden sind im Moment nicht in der Lage, solche Attentate zu verüben, zudem entsprechen sie überhaupt nicht ihrer Art von Aktionen.
Was hingegen wahrscheinlicher und unberechenbarer wäre, ist der Einzeltäter. Ein Erleuchteter, der die Welt retten will und gegen den Sittenzerfall, den Alkoholmissbrauch und ähnliches ankämpft, wie das an den Olympischen Spielen in Atlanta passiert ist.
Damit befinden wir uns aber im Spektrum der Kriminellen und nicht mehr beim Terrorismus im eigentlichen Sinn. Diese Art von Anschlag entzieht sich jeder strategischen Erwägung.
swissinfo-Interview: Marc-André Miserez
(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)
Am 5. September 1972 nimmt ein palästinensisches Kommando einen Teil der israelischen Olympia-Delegation im olympischen Dorf in München als Geisel. Man fordert die Freilassung von hunderten Palästinensern sowie auch linker Extremisten aus Japan und Deutschland, darunter Andreas Baader und Ulrike Meinhof.
Nach dem Scheitern der Verhandlungen endet die Geiselnahme am folgenden Tag in einem Blutbad: Elf Athleten, fünf der acht Geiselnehmer und ein deutscher Polizist werden getötet.
Obschon Palästinenser dieses Verbrechen begingen, hatte ihre Aktion nichts mit den späteren islamistischen Terroranschlägen zu tun. Die Forderungen der Geiselnehmer waren rein politisch begründet und hatten keinen religiösen Hintergrund.
Für die palästinensische Sache war dieses Attentat kontraproduktiv und führte dazu, dass Yassir Arafat 1974 vor der UNO dem internationalen Terror abschwor. Seither konzentrieren sich der palästinensische Anschläge auf Israel und die besetzten Gebiete, abgesehen von kleinen isolierten und unkontrollierten Gruppen.
In der Nacht von 26. zum 27. Juli 1996 explodierte eine selbstgefertigte Bombe inmitten des Centennial Olympic Parc in Atlanta, der in der Zeit der Olympischen Spiele von Touristen und Studenten rege besucht wurde. Bilanz: 2 Tote und 112 Verletzte.
Der Attentäter wurde sieben Jahre später gefasst und erhielt lebenslänglich. Ihm wurden noch weitere Anschläge zur Last gelegt Er war Mitglied einer religiösen Sekte mit fremdenfeindlichem und antisemitischem Gedankengut. Er glaubte, eine göttlichen Mission zu erfüllen.
Jacques F. Baud wurde 1955 geboren. Er ist diplomierter Experte für Sicherheitspolitik des Institut Universitaire des Hautes Etudes Internationales in Genf.
Er war an verschiedenen Missionen im Feld für Vertretungen der UNO beteiligt und verfasste mehrere Bücher über die Welt der Geheimdienste und des Terrorismus.

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