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Schweizer:innen im Ausland: Bürger:innen zweiter Klasse?

Auslandschweizer-Rat: Bern will mehr Repräsentativität

Bild aus Uni St.Gallen, wo der Auslandschweizerrat tagt.
Auslandschweizer-Organisation / Nicolas Brodard

Viel Demokratie an der Session des Auslandschweizerrats: Partizipation, Wahlen. Und dann führt eine Schar junger Delegierter dem alten Rat die eigenen Defizite vor Augen – mit klarem Support vom Aussendepartement.

Wie repräsentativ ist das Parlament der Fünften Schweiz? Wie demokratisch setzt es sich zusammen? Ist es überhaupt legitimiert, als “Stimme der Auslandschweizer:innen im Inland” zu sprechen?

Es ist eine Diskussion, welche die Auslandschweizer-Organisation schon jahrelang umtreibt, die aber in den letzten drei Jahren wie unter den Teppich gekehrt schien.

Mehr Demokratie im Rat

Jetzt kam sie mit voller Wucht zurück. Eine Arbeitsgruppe von jüngeren Auslandschweizer:innen hat das Thema auf eigene Initiative in die Hand genommen. Sie präsentierte am Auslandschweizer-Kongress in St. Gallen eine Roadmap. Ziel: Der Auslandschweizerrat (ASR), dieses sogenannte “Parlament der Fünften Schweiz”, solle sich bald schon demokratischer konstituieren.

SWI swissinfo.ch hat das Dilemma bereits eingehend beschrieben: Die “Parlamentarier:innen” des ASR sind in der Regel nicht gewählt, sondern abgesandt von Vereinen oder Dachorganisationen. 

Hier unsere Analyse dazu:

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A meeting of the Council of the Swiss Abroad in Bern.

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Auslandschweizer-Rat: Gefangen zwischen den Zeiten

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Der Auslandschweizerrat ist das Sprachrohr der Fünften Schweiz im Inland. Seine Stimme hat Gewicht. Um es zu behalten, braucht es mehr Demokratie.

Mehr Auslandschweizer-Rat: Gefangen zwischen den Zeiten

Die heutige Situation sei interessant, teilweise auch sinnvoll, aber es gäbe damit ein Problem, sagte Noel Frei, der in Äthiopien lebt: Es herrsche Unzufriedenheit im Inland, das Wahlsystem sei uneinheitlich, und der Wahlprozess intransparent.

“Komplett undemokratisch”

“Es ist ein komplett undemokratisches System. Wir haben null Glaubwürdigkeit in der Schweiz, wenn wir uns nicht bemühen”, sagte Frei.

Auf die Schwierigkeiten, dies anzupacken, hat die Auslandschweizer-Organisation schon oft verwiesen: Ein elektronisches Wahlsystem wäre teuer. Kandidierende zu finden, ist logistisch schwierig. Die Auslandschweizer:innen zu einem homogenen Elektorat zu formen – ein Ding der Unmöglichkeit.

Wirklich? Andreas Feller-Ryf und Noel Frei, welche die Arbeitsgruppe vorstellten, zeigten Lösungen auf. Ihre Roadmap ist ambitioniert. Noch dieses Jahr soll ein Leitfaden entstehen, 2024 dann die Umsetzung erfolgen.

Unterstützung des EDA

Für viele überraschend kam wohl, wie deutlich, ja fast ultimativ fordernd, das Schweizer Aussendepartement EDA diese Bemühung unterstützt. Laurent Perriard, beim EDA zuständig für die Belange der Auslandschweizer:innen, sagte unverhohlen, dass der Auslandschweizerrat in seiner heutigen Form den Ansprüchen als “repräsentative Vertretung” der Schweizer Diaspora nicht genüge.

Er forderte, dass der Bund von Anfang an in die Überlegungen einbezogen wird, um sicherzustellen, dass die geplanten Massnahmen durchführbar sind. Er fügte hinzu: “Wir werden Sie bei diesen Schritten ganz klar unterstützen. Einerseits, indem wir sicherstellen, dass Ihre Kandidat:innen wählbar sind, andererseits, indem wir als Kommunikationsschnittstelle zwischen Ihrer Organisation und den Auslandschweizer:innen fungieren.”

“Wir haben unsere Grenzen”

ASO-Präsident Filippo Lombardi, dem vorgeworfen wurde, das Thema depriorisiert zu haben, was ihn sichtlich verärgerte, verteidigte sich. “Die ASO könnte ihr ganzes Budget dafür ausgeben, und es würde nicht genügen. Demokratie hat ihre Kosten und wir haben unsere Grenzen”, sagte er. Aber es sei auch viel Vorarbeit geleistet worden, man müsse das Rad nicht neu erfinden, fügte er an. Der Vorstand befürworte darum diesen Plan.

77% der anwesenden Delegierten gaben nach einer lebendigen Debatte schliesslich grünes Licht, diese Arbeitsgruppe auf den Weg zu schicken.

Rückläufige Beteiligung 

Noch ein Traktandum schien zunächst harmlos. Doch die Diskussionen über den 100. Auslandschweizer-Kongress, der 2024 stattfinden wird, offenbarte weiteren Veränderungsbedarf. 

Die Delegierten diskutierten zunächst über die Wahl des Themas für dieses besondere Jubiläum. Sie entschieden sich schliesslich mit 65% für “Gemeinsam über Grenzen hinweg: Entwicklungen in der Schweizer Auswanderung”.

Spontan gab Präsident Filippo Lombardi bekannt, dass der Vorstand der Auslandschweizer-Organisation überlegt, die Form und das Datum des Kongresses zu ändern. Der Hauptgrund dafür ist die rückläufige Beteiligung. Während 2010 noch rund 400 Personen am Kongress teilnahmen, sind es in den letzten Jahren um fast 100 Personen weniger geworden. 

Um diesen Trend umzukehren, erwägt der Vorstand zum einen, den Kongress zu verkürzen. Dadurch könnte man die Kosten für die Teilnahme der Delegierten in Grenzen halten. Ausserdem schlug der Vorstand vor, die Jahrestagung im Juli statt im August abzuhalten. 

Festhalten am Bewährten

Mehrere Delegierte meldeten sich daraufhin zu Wort, um gegen eine Verkürzung zu protestieren. “Man sollte den Kongress nicht verkürzen, sondern anpassen”, sagte Philippe Magnenat, Delegierter für die Provinz Québec. Andreas Feller-Ryf aus Grossbritannien stimmte zu: “Ich würde es begrüssen, wenn wir mehr Gelegenheit hätten, die anderen Delegierten zu treffen und mehr Zeit für Diskussionen im Plenum hätten.” 

Daniel Rahm, Delegierter aus den USA, meinte, dass “eine Verkürzung des 100. Kongresses nicht angemessen wäre”. Alexandra De Mello aus Singapur sprach sich für einen kürzeren formellen Teil von einem halben Tag und einen Workshop in der zweiten Hälfte aus: “Dies ist eine gute Gelegenheit, an Themen zu arbeiten, die uns alle betreffen”. 

In einer Konsultativabstimmung per Handzeichen sprachen sich die Auslandschweizer:innen für die Beibehaltung des bisherigen Formats aus. Über das Datum “wird der Vorstand entscheiden”, schloss Filippo Lombardi.

Neuer Direktor der konsularischen Direktion stellt sich vor

Anlässlich des 99. Kongresses der Auslandschweizer-Organisation stellte sich der neue Direktor der konsularischen Direktion, David Grichting, dem Auslandschweizerrat vor. Er folgt auf Johannes Matyassy, der “grosse Fussstapfen hinterlassen hat”, sagt Grichting.

David Grichting stellt sich in St. Gallen den Auslandschweizerräten vor
David Grichting © Auslandschweizer-Organisation / Nicolas Brodard

Grichting spricht in seiner Rede den Anstieg von 600’000 auf 800’000 Auslandschweizer:innen in den letzten 20 Jahren an: Nur in sechs Ländern auf der Welt seien keine Schweizer:innen registriert. Nicht zuletzt deshalb sei es eine Herausforderung, weltweit konsularische Dienstleistungen zu erbringen. 

Die Migration habe sich verändert – während man früher für immer ausgewandert sei, wandere man heute oft nur für eine gewisse Zeit aus. “Letztes Jahr sind 31’000 Schweizer:innen aus – und 22’000 zurückgewandert.” 

Alternde Diaspora

Das ist nur eine Entwicklung, die Grichting anspricht. Für die konsularischen Dienste ist auch die immer älter werdende Schweizer Gemeinschaft im Ausland eine Herausforderung und dass viele Schweizer:innen sich entscheiden, ihre Pension im Ausland zu verbringen. Der Fokus des EDA liegt deshalb auf der Kampagne “Aging Abroad”.  

Auch die Art des Reisens von Schweizer:innen (16 Millionen Reisen wurden 2021 von Schweizer:innen getätigt) hat sich verändert. “Heute bucht man übers Internet und nicht mehr mithilfe eines Reisebüros, so hat man auch keine Betreuung mehr vor Ort”, so Grichting. Dazu komme die geopolitische Lage – Waldbrände auf Rhodos, Bürgerkrieg in Niger, Putsch in Tschad – “das EDA muss sehr flexibel sein”.  

Krisen und Datenleck

Die Möglichkeit, dem neuen Direktor Fragen zu stellen, wurde von den Delegierten des Parlaments der Auslandschweizer:innen denn auch rege genutzt. Dass die Schweiz immer noch über kein Transportflugzeug verfüge, mit dem Schweizer:innen aus Krisengebieten ausgeflogen werden können, findet ein Auslandschweizerrat sehr stossend (wir haben darüber berichtet). Grichting bestätigt diese Problematik: “Das VBS [das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport ] ist daran, diese Fragen zu analysieren und wird dem Bundesrat mögliche Lösungen unterbreiten.” 

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Auch der Datenklau der Adressen von den Empfänger:innen der Schweizer Revue wurde von einer beunruhigten Auslandschweizerrätin an den neuen Direktor herangetragen. “Ich bin enttäuscht, dass ich vom EDA direkt nichts gehört habe.” Grichting konnte die Anwesenden ein Stück weit beruhigen. “Es waren keine sensiblen Daten, die geleakt wurden.” Der Fall sei jedoch bedauerlich und wird seitens des Bundes weiterverfolgt. 

*Dieser Artikel wurde am 19. August geändert. Ein Fehler in dem Laurent Perriard zugeschriebenen Zitat wurde korrigiert sowie ein Zitat von David Grichting angepasst.

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