Was Hongkongs Demokratie-Bewegung an der Schweiz schätzt
Hongkonger Aktivist:innen bieten China im Exil trotzig die Stirn – von der Schweiz bis zu den USA und Taiwan.
Angesichts zunehmender Angriffe durch die chinesische Regierung suchen Hongkonger Demokratie-Aktivist:innen Zuflucht im Ausland, unter anderem in Bern.
Auf den ersten Blick scheint die Schweiz für die Hongkonger Exilant:innen nicht prädestiniert zu sein, um sich von hier aus gegen die Repressionen Chinas zu wehren.
In der Schweiz leben nur etwas mehr als tausend Menschen aus der ehemaligen britischen Kolonie. Das sind verschwindend wenig verglichen mit 750’000 Hongkonger:innenExterner Link, die sich auf Grossbritannien, die USA und Kanada verteilen.
Auch hat die Schweiz keine speziellen Visa oder beschleunigten Aufenthaltsgenehmigungen eingeführt, wie sie einige Länder den Hongkongern nach der Einschränkung ihrer politischen Rechte in der Stadt ab 2020 angeboten haben.
Dennoch wählteExterner Link die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in diesem Jahr die Schweizer Hauptstadt Bern als Standort für ein offizielles Hongkong-Exil-Büro.
Die Hilfsorganisation musste ihre bisherigen Büros in der südchinesischen Stadt im Oktober 2021 schliessen. Sie begründete dies damit, dass ihre Mitarbeiter:innen durch ein umfassendes nationales Sicherheitsgesetz gefährdetExterner Link seien, das willkürliche Razzien, Verhaftungen und Strafverfolgungen erlaube.
«Die Schweiz bietet starke rechtliche Garantien zum Schutz der privaten Daten unserer Mitarbeiter, Unterstützer und anderer Interessengruppen», sagt Fernando Cheung, Vorstandsmitglied von AIHKO und ehemaliger Abgeordneter in Hongkong, gegenüber Swissinfo.
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Wie aktiv sind chinesische Spione in der Schweiz?
Die Schweiz verfüge damit über ein Umfeld, «das sicherstellt, dass zivilgesellschaftliche Organisationen, insbesondere solche, die sich wie wir für Menschenrechte einsetzen, ungestört arbeiten können».
Bedrohungen durch künstliche Intelligenz nehmen rapide zu
Standorte mit strengen Datenschutzgesetzen werden für Menschenrechtsgruppen immer wichtiger.
China ist der ultimative Überwachungsstaat und setzt seine Überwachungskapazitäten auch über seine eigenen Grenzen hinaus ein. Gegner:innen des Regimes sind dadurch gefährdet.
Obwohl die Schweiz kein Mitglied der Europäischen Union ist, hat sie sich seit 2023 an die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der EU angepasst, die weltweit als Massstab für den DatenschutzExterner Link gilt. Organisationen in der Schweiz müssen Schutzmassnahmen in ihre Systeme oder Dienste integrieren. Nicht unbedingt erforderliche Daten dürfen nicht ohne vorherige Zustimmung erhoben werden.
Im Gegensatz dazu erliess US-Präsident Donald Trump im März einen Erlass mit dem Ziel, Informationen zu zentralisieren und Hindernisse für den Informationsaustausch unter den Regierung zu beseitigen.
Auch Kanadas Bemühungen, seine Gesetze zum Schutz elektronischer Daten zu verschärfen, sind ins Stocken geratenExterner Link. Und Grossbritannien wurde dafür kritisiert, dass sein in diesem Jahr verabschiedetes Gesetz den Datenschutz schwächt.
OpenAI sieht Beweise für Überwachung durch China
Schutzmassnahmen scheinen aber zunehmend gerechtfertigt, da künstliche Intelligenz undemokratischen Staaten wie China neue Überwachungsinstrumente an die Hand gibt.
OpenAI, die in San Francisco ansässige Gruppe hinter ChatGPT, gab im FebruarExterner Link bekannt, dass chinesische Gruppen ihre Technologie genutzt hätten, um ein KI-Tool zu entwickeln, das automatisch regimekritische Beiträge in westlichen sozialen Medien auffindet und meldet.
Es war das erste MalExterner Link, dass OpenAI Beweise für derartige Aktivitäten erhielt. Das Unternehmen gab an, bemerkt zu haben, wie auch andere US-Technologien genutzt wurden, um Beiträge in englischer Sprache zu generieren, die chinesische Dissident:innen verunglimpfen.
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Chines:innen in der Schweiz gehen erstmals auf die Strasse
Während aus Hongkong geflohene Aktivist:innen im Exil Kampagnenorganisationen gründen, hat China seine Angriffe auf Menschenrechtler:innen im Ausland verstärkt. Sie sind zunehmend Schikanen und Angriffen sowie der Verfolgung ihrer in Hong Kong verbliebenen Familienmitglieder ausgesetzt.
Im Mai zum Beispiel geriet die Familie von Anna Kwok, der Geschäftsführerin des Hong Kong Democracy Council (HKDC), einer gemeinnützigen Demokratiebewegung mit Sitz in den USA, ins Visier der Polizei.
Die Hongkonger Polizei verhaftete ihren Vater und ihren BruderExterner Link. Die beiden stünden im Verdacht, «direkt oder indirekt Gelder, andere finanzielle Vermögenswerte oder wirtschaftliche Ressourcen einzusetzen, die einem flüchtigen Täter gehören oder von ihm kontrolliert werden».
Hongkonger Dissidenten im Ausland im Visier
Im August beschuldigte Carmen Lau, die 2021 nach Grossbritannien gezogen war und als Senior International Advocacy Associate beim HKDC arbeitet, die britische PolizeiExterner Link, sie zur Selbstzensur und zum Verzicht auf die Teilnahme an öffentlichen Versammlungen wie Protesten aufgefordert zu haben.
Der Guardian berichtet, ihre Nachbarn hätten Briefe erhalten, in denen eine Belohnung von 100’000 Pfund für Informationen über ihre Bewegung oder für ihre Auslieferung an die Behörden angeboten wurde.
Sie und andere Hongkonger mussten ihre Heimatstadt verlassen, nachdem Peking 2020 die lokale Regierung umging und GesetzeExterner Link wie das Nationale SicherheitsgesetzExterner Link erliess, die öffentliche Opposition und abweichende Meinungen praktisch verboten.
Zuvor hatten es monatelange Proteste gegen ein Auslieferungsgesetz der Regierung gegeben, mithilfe dessen Hongkonger Bürger:innen vor Gerichten auf dem chinesischen Festland verurteilt werden konnten. Die Proteste zielten zunächst auf die Rücknahme des Gesetzes ab, entwickelten sich dann jedoch zu einem Kampf für umfassendere demokratische Rechte.
Damals lösten die vagen Definitionen im Nationalen Sicherheitsgesetz bei den Mitarbeiter:innen der Hongkonger Büros von Amnesty International Ängste vor rechtlichen Konsequenzen ausExterner Link, da es «unmöglich war zu wissen, welche Aktivitäten zu strafrechtlichen Sanktionen führen könnten».
Die Hongkonger Sektion der Organisation wurde zur Zielscheibe öffentlicher Kritik in Peking-freundlichen Hongkonger Medien. Die Mitglieder wurden der Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften bezichtigt und als Agenten westlicher Regierungen dargestellt, die darauf abzielen, Hongkong zu destabilisieren.
Dies zwang Amnesty dazu, seine beiden Büros in Hongkong im Jahr 2021 zu schliessen. Die Organisation war nicht die einzige.
Seit Peking im Juni 2020 das Nationale Sicherheitsgesetz in die De-facto-Verfassung Hongkongs, das Grundgesetz, aufgenommen hat, mussten laut Michael MoExterner Link, ehemaliger Doktorand an der School of Politics and International Studies der University of Leeds, mehr als 58 lokale zivilgesellschaftliche Gruppen ihre Arbeit einstellen.
Amnesty zufolgeExterner Link wurden mehr als 100 Nichtregierungsorganisationen und Medien geschlossen oder zur Flucht gezwungen.
Sie bleiben trotz drohender Repressalien
Wie die in London ansässige Menschenrechtsorganisation haben sich viele solcher Gruppen im Ausland niedergelassen. Dazu gehören der Hong Kong Democracy Council in den USA und Hong Kong Watch in Grossbritannien.
Sie bauen weiter ihre globalen Netzwerke aus, knüpfen Kontakte zu der Hongkonger Diaspora, dokumentieren Menschenrechtsverletzungen und verschaffen dem Thema internationale Aufmerksamkeit.
Doch selbst im Exil fürchten viele den Einfluss Chinas. Die meisten, die Swissinfo für diesen Artikel kontaktierte, lehnten es ab, zu sprechen.
«Jetzt ist kein guter Zeitpunkt, um Hongkonger im Ausland zu interviewen», sagte einer, der aus Angst vor Repressalien nicht namentlich genannt werden wollte.
«Viele entscheiden sich dafür, zu schweigen und sich bedeckt zu halten. Nur diejenigen, deren gesamte Familien bereits ins Ausland ausgewandert sind, trauen sich, zu sprechen.»
China und seine nationalistischen Spähtrupps haben ganze Arbeit geleistet, um solche Ängste zu schüren.
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Chinesische Repression gegen tibetische und uigurische Diaspora: «Die Schweiz muss jetzt handeln»
Im Mai berichtete die BBCExterner Link, dass Innes Tang, ein Peking-freundlicher Aktivist aus Hongkong, der Dutzende von Menschen wegen mutmasslicher Verstösse gegen die nationale Sicherheit bei den Behörden angezeigt hat, in die Schweiz ziehen wolle, um dort ein Medienunternehmen zu gründen. Swissinfo konnte kein solches registriertes Medienunternehmen in der Schweiz finden.
Tang besucht regelmässig die Vereinten Nationen in Genf, um auf Konferenzen zu sprechen und Chinas Sichtweise zu Hongkong darzulegen, so die BBC.
«Ich befürchte, dass Chinesen oder Hongkonger in der Schweiz Namen und Informationen sammeln, um über Hongkonger zu berichten, die sich hier in demokratischen Bewegungen engagieren, und uns beschuldigen, gegen das nationale Sicherheitsgesetz verstossen zu haben», sagt James Sun*, ein Mitglied der Diaspora, der 2019 an einem Protest «Solidarität mit Hongkong – Keine Auslieferung an China» vor dem chinesischen Konsulat in Zürich teilnahm.
Sun gehört zu denen, die in den sozialen Medien nicht mehr über die Politik Hongkongs sprechen. Dennoch sieht er die Eröffnung von Menschenrechtsorganisationen im Exil wie der von Amnesty International in der Schweiz und anderswo als Chance, die Stimmen der Hongkonger zu vernetzen und ihnen Gehör zu verschaffen.
«Ich möchte nicht für immer schweigen», sagt er.
*Auf Wunsch wurde ein Pseudonym verwendet, um die Identität der Person zu schützen, die mit Swissinfo gesprochen hat.
Editiert von Tony Barrett/vm/sb, Übertragung aus dem Englischen mithilfe von Deepl: Petra Krimphove
Aus Sicherheitsgründen wird die Identität des Autors in diesem Artikel nicht genannt.
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