Wie Halloween Schweizer Kulturgut wurde
Der Schweizer Kalender ist voll von bizarren und teils furchteinflössenden Traditionen. Ist da noch Platz für Halloween? Auf jeden Fall, sagen Kinder und Kürbisproduzent:innen. Geplagte und Kulturpuristen sind sich weniger sicher.
«Süsses oder Saures!» Vor dreissig Jahren hätten die meisten Schweizer:innen nicht gewusst, was los ist, wenn vor der Haustür ein paar Achtjährige stehen, die high auf Zucker und gruselig verkleidet ebendiese Worte sprechen.
Seit Mitte der 1990er-Jahre hat sich Halloween aber im kulturellen Leben der Schweiz etabliert, wie die Oktoberfeste, die sich mittlerweile auch in Städten und Dörfern verbreitet haben.
«Kulturpessimisten sehen heimische Bräuche bedroht», schrieb das St. Galler Tagblatt einst dazu. «Und insbesondere evangelikale Christen lehnen Halloween ab, weil es um Okkultismus und Satanismus geht – ungeachtet der Tatsache, dass das Ereignis längst keine ernsthaften religiösen Züge mehr hat und weitgehend kommerzialisiert ist.»
Die Tradition kam laut dem Volkskundler Konrad Kuhn aus Frankreich in die französischsprachige Schweiz und von dort in die deutschsprachige Schweiz. Kuhn sagt, dass Halloween vor Mitte der 1990er-Jahre in der Schweiz kein Thema war.
Die genaue Entwicklung von Halloween ist unklar, aber vereinfacht gesagt geht man davon aus, dass es seinen Ursprung in heidnischen keltischen Traditionen hat. Ein Beispiel hierfür ist das alte gälische Fest Samhain, bei dem die Menschen Lagerfeuer entzündeten und Kostüme trugen, um Geister abzuwehren.
Im 8. Jahrhundert bestimmte Papst Gregor III. den 1. November zum Tag aller Heiligen. Bald darauf wurden einige Traditionen von Samhain in das Allerheiligenfest integriert. Der Abend zuvor wurde als All Hallows‘ Eve und später als Halloween bekannt.
Durch die massive Auswanderung von Iren und Schotten im 19. Jahrhundert hielt Halloween in den Vereinigten Staaten Einzug und wurde schliesslich von Menschen aller sozialen, ethnischen und religiösen Hintergründe gefeiert. Bis zum Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts hatte sich Halloween durch den kulturellen Einfluss der USA weltweit verbreitet, auch auf dem europäischen Festland.
Es dauerte einige Jahre, bis sich die grossen Detailhändler und Medien dafür interessierten. Was Halloween in der Schweiz jedoch einen wahren Schub verlieh, war die Entdeckung des Kürbis‘ als neue Einnahmequelle für Bauern, schreibt Kuhn in «Kürbis, Kommerz und Kult»Externer Link.
Eine Vorreiterrolle spielten die gewieften Brüder Jucker im Kanton Zürich. Ihr Bauernhof wurde in der ganzen Schweiz bekannt, weil sie Kürbisse anbauten und und sie mit Anlässen feierten: Die grösste Kürbispyramide, die grösste Kürbissuppe, den schwersten Kürbis und so weiter.
Die Medien griffen das Thema auf und unzählige Bauern folgten dem Beispiel der Brüder Jucker. Sie überschwemmten die Schweiz mit Kürbissen, die bis dahin nur sparsam gegessen wurden und nun die Küchen der Haushalte und Restaurants füllten.
«Die Juckers nutzten die traditionelle November-Flaute im Veranstaltungsbereich, sodass neben den grossen Detailhändlern auch Vergnügungsparks, Gastronomiebetriebe und Kostümgeschäfte Interesse zeigten und hohe Umsätze erzielten», so Kuhn.
«Marodierende Jugendliche»
Gleichzeitig habe sich laut Kuhn die Berichterstattung über Halloween in den Medien verändert. «Während es früher positive Berichte gab und Halloween sogar im Tagesfernsehen zu sehen war, lag der Fokus nun hauptsächlich auf den Sachschäden, die in der Nacht von marodierenden Jugendlichen verursacht wurden.»
2021 schrieb die Lausanner Zeitung Le Matin, dass die Polizei durchaus wisse, dass kleine Monster an einem Abend genau das sein könnten: kleine Monster.
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«In den letzten Jahren haben immer mehr Menschen erlebt, dass Eier an ihre Hausfassade oder Fenster geworfen wurden», hiess es. «Während ‚Süsses oder Saures‘ eigentlich nur eine Drohung sein soll, rächen sich einige Kinder tatsächlich an denen, die ihnen nichts geben oder ihnen nicht die Tür öffnen.»
Die Polizei wies darauf hin, dass die Teilnahme an Halloween «nicht obligatorisch» sei und eine Ablehnung nicht zu Repressalien führen dürfe, «so harmlos diese auch erscheinen mögen».
Zombie-Partys
Am 31. Oktober, bieten Schweizer Kaufhäuser «Halloween-Schnäppchen» an, Restaurants servieren Kürbis in unzähligen Varianten und Streamingportale zeigen klassische Horrorfilme.
Auch wenn Halloween in der Schweiz noch weit davon entfernt ist, ein so grosses nationales Fest zu sein wie in den USA, feiern es diejenigen, die mitmachen, mit Begeisterung.
Während Kostüme in den USA im Allgemeinen eher humorvoll oder satirisch sind, haben die Schweizer:innen bereits während der Fasnacht Gelegenheit, sich satirisch zu betätigen. Auch sonst kennt die Schweiz ja einige Bräuche, die ab und zu für Diskussionen sorgen. Beispiele hierfür sind das Köpfen einer toten Gans oder das Festhalten junger Mädchen, um sie im Gesicht schwarz anzumalen.
Wie Kuhn bemerkt, finden sich Elemente von Halloween auch in anderen weit verbreiteten Bräuchen wieder, etwa beim Räbeliechtli-Umzug, beim Weihnachtsliedersingen an der Haustür oder bei einigen Elementen des Allerheiligen-Bräuche.
Kuhn ist daher zuversichtlich, dass die junge Tradition Bestand hat. «Das Bedürfnis nach einem Jahreszyklus mit Höhepunkten bleibt bestehen, sodass davon auszugehen ist, dass Halloween in die bestehende Brauchtumslandschaft integriert wird.»
Aus dem Englischen übersetzt mit Hilfe von deepl: Balz Rigendinger
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