8. März von den Frauen wiederentdeckt
Mit einem frühmorgendlichen Wecker-Konzert in den SBB-Bahnhöfen begann in der Schweiz der Internationale Tag der Frauen.
Dieser 8. März ist von besonderer Bedeutung, weil die Schweizerinnen letzten Dezember bei der Neubesetzung der Regierung einen Rückschlag erlitten.
Tausende von Frauen gingen am Internationalen Tag der Frau in mehreren Schweizer Städten auf die Strasse und demonstrierten gegen die Diskriminierung der Frau. Mit roten Kleidern, Pfeifkonzerten und Protestreden warben sie für ein Ja zur Mutterschaftsversicherung und die Ablehnung der 11. AHV-Revision.
Rot gekleidete Frauen haben am Montagmorgen in Bahnhöfen der ganzen Schweiz auf den Internationalen Frauentag aufmerksam gemacht. Im Zürcher Hauptbahnhof stoppten die Bundesbahnen eine Flugblatt-Aktion und schickte die Frauen aus dem Bahnhof.
Die SBB tolerierten keine politischen Aktionen auf ihrem Grund und Boden, sagte ein Sprecher. Daran hätte sich auch nichts geändert, wenn die Frauen ein Gesuch für die Aktion eingereicht hätten. Das bedeute aber keinesfalls, dass die SBB frauenfeindlich seien.
«Frauen, wacht auf!»
Im Bahnhof Bern konnten die Frauen ihre Aktion ungehindert beenden, da sie auf städtischem und nicht auf SBB-Areal demonstrierten. Gegen 40 rot gekleidete Frauen machten mit Rasseln und Weckern mobil und verteilten Flutblätter mit dem Titel «Frauen, wacht auf!», die auf Aktionen am Frauentag hinwiesen.
Sie riefen auch zur Protestpause «5 vor 12» auf. Frauen und «ihre solidarischen Männer» sollten um 5 vor 12 ein rotes Tuch aus dem Fenster hängen und eine kleine Protestpause einlegen, wie vom Organisationskomitee «frauensteik.ch» zu erfahren war.
Über 200 Frauen und einige wenige Männer verbrachten zudem ihre Mittagspause auf dem zentralen Kornhausplatz in Bern. Zum Tag des «Frauenprotest 8.3.» sprachen Frauen aus drei Generationen darüber, wie und wo «sich Frauen ihren Platz nehmen» wollen.
Symbolische Frauenwache vor dem Bundeshaus
Neben dem Bundeshaus in Bern wollen die Frauen mit einer symbolischen Frauenwache auf ihre Anliegen über den Frauentag hinaus Beachtung verschaffen. Das Frauenmobil auf der Bundesterrasse soll bis Ende Dezember 2004 als eine Art Mahnwache stehen bleiben und auf die Nicht-Berücksichtung der Frauen in der Regierung hinweisen.
Wie andernorts in der Schweiz legten Frauen im Kanton Jura zu Hause oder am Arbeitsplatz eine viertelstündige Protestpause ein. In Neuenburg verteilten die protestierenden Frauen rote Ballone. Im Tessin begannen Frauen in einem Bus eine Fahrt durch den ganzen Kanton, um theatralisch auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen.
«l’émilie»: Feministinnen-Magazin aus Genf
«Der 8. März ist eine Gelegenheit, über die Situation der Frauen Bilanz zu ziehen und daran zu erinnern, dass noch viel zu tun bleibt», sagt Andrée-Marie Dussault, Chefredaktorin von «l’émilie», dem überhaupt ältesten Feministinnen-Magazin
«Die Frauenanliegen sind in den letzten 30 Jahren enorm vorangekommen, besonders im vergangenen Jahrzehnt.» Die Schweiz liege aber im Vergleich mit ihren Nachbarn im Rückstand, sagt Andrée-Marie Dussault.
Noch weit vom Ziel entfernt
In der Schweiz erreichten die Frauen 1981 verfassungsmässig die Gleichstellung. Seither bemühen sich Gleichstellungsbüros darum, dass dieses Recht bis in den Alltag dringt.
Doch es bleibe noch viel zu tun, erinnert Andrée-Marie Dussault: «Wir haben immer noch keine Mutterschafts-Versicherung, zu wenig und zu teure Kinderkrippen.» In der Arbeitswelt sei die Lohngleichheit nicht erreicht. Und Ausgrenzungen von Frauen bezüglich Arbeitsorganisation, -bedingungen und -zeiten bestünden weiterhin.
Bald 100 Jahre alt
Der 8. März blickt auf eine fast 100-jährige Tradition zurück. 1909 wurde in den USA der erste «National Woman’s Day» am 28. Februar gefeiert. Das blieb so bis 1913.
1910 deklarierte die Sozialistische Internationale an ihrem Meeting in Kopenhagen einen internationalen Frauentag, um die Frauenrechts-Bewegung zu ehren und dem Leiden der Frauen zu gedenken.
Offiziell seit 1975
1911 feierte man in Österreich, Dänemark, Deutschland und der Schweiz das erste Mal den internationalen Frauentag am 19. März. Verlangt wurden das Stimmrecht, das Recht auf Arbeit und auf Gleichberechtigung.
Bei der Arbeit der UNO erhielten nur wenige Themen soviel Support wie die Kampagnen für die gleichen Rechte der Frauen. 1945 proklamierte die UNO die Gleichberechtigung als fundamentales Menschenrecht.
1975, im Jahr der Frau, proklamierte die UNO den 8. März als Internationalen Tag der Frau.
Nur vier Jahre vorher, 1971, erhielten die Frauen in der Schweiz das Stimm- und Wahlrecht – aber vorerst nur auf Bundesebene.
Von Cochabamba bis Peking
swissinfo hat sich in den einzelnen Sprachredaktionen bei den Kolleginnnen und Kollegen erkundigt. In Bolivien beispielsweise werde der 8. März nicht gefeiert, sagt Juan Espinoza, Leiter der spanisch-sprachigen Redaktion.
«Dafür gibt es den 27. Mai, den Tag der Mütter und Heldinnen. An diesem Tag wird der Schlacht von 1812 gedacht, als sich Bolivien gegen die spanische Besetzung wehrte. Der Widerstand ging von den Frauen der Stadt Cochabamba aus.»
Anders in Brasilien: Die Presse sei voller Grundsatzartikel und Kommentare, meint Claudine Gonçalves, Leiter der portugiesisch-sprachigen Redaktion. «Früher kannte keiner den 8. März. Jetzt schreibt man sogar am Montag darüber, an dem Tag, der eigentlich den Sportkommentaren gewidmet ist.»
In Ägypten sei die Initiative für den 8. März von der Regierung ausgegangen, um die Landbevölkerung zu sensibilisieren. «Der 8. März ist der Tag der Rolle der Frau in der Gesellschaft», sagt Tamer Aboalenin von der arabischen Redaktion.
In China schliesslich geniessen die Frauen den 8. März, denn sie haben mindestens einen halben Tag frei, sagt Dahai Shao, Leiter der chinesischen Redaktion. «Seit den Zeiten Maos wird der Frauentag gefeiert. Doch thematisch variiert er in China von Ort zu Ort.»
swissinfo und Agenturen
«Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.»
Schweizerische Bundesverfassung, Art. 8, Abs. 3 (seit 1981)
1910 führte die Sozialistische Internationale den Tag der Frauen ein.
1975 proklamierte die UNO den 8. März als Tag der Frauen.
1971 erhielten die Frauen in der Schweiz das Stimm- und Wahlrecht (auf Bundesebene vorerst).
Bildung: Die Frauen haben einen Teils des Rückstands aufgeholt.
Berufswahl: Die markant geschlechtsspezifische Berufswahl hat sich seit 1990 kaum verändert.
Haus- und Familienarbeit: Durchschnittlich investieren Frauen fast doppelt soviel Zeit wie Männer.
Erwerbsleben: Ist bei den Frauen geprägt von Anpassungen an die familiäre Situation (Teilzeit, Unterbrüche). Mehr als die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen arbeiten Teilzeit.
Erwerbsquote: Die Quote der Frauen stieg im Laufe der 90er Jahre. 2003: 59% bei Frauen, 77% der Männer.
Löhne: 2002 ergab sich eine Lohndifferenz von 20,9%.
Politik: Frauen sind in Parlamenten und Regierungen untervertreten. Anteil im Nationalrat 26%, im Ständerat 24% (2003). In der siebenköpfigen Regierung (Bundesrat): 1 Frau.
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