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Albert Gallatin: Amerikas vergessener Gründervater

Statue von Albert Gallatin vor dem US-Finanzministerium (Traesury Building) in Washington D.C. zVg EDA

Vor dem US-Finanzministerium in Washington steht eine Statue Albert Gallatins. Sie trägt die Inschrift "Finanzgenie": Der Genfer Auswanderer wurde unter Thomas Jefferson Finanzminister der Vereinigten Staaten.

Trotz der prominenten Statue ist Albert Gallatin auch vielen Amerikanern ein Unbekannter. Als Finanzminister (1801-1814) hatte er die Schulden der jungen amerikanischen Republik halbiert und so auch den Kauf Louisianas von Frankreich möglich gemacht.

Gallatin spielte zudem eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen über den Vertrag von Gent, mit dem 1814 der Britisch-Amerikanische Krieg beigelegt wurde.

Neue Biografie

Heute ist Gallatin, der einst zu den bedeutendsten Politikern der jungen Demokratie zählte und der am längsten dienende Finanzminister des Landes ist, in den USA weitgehend vergessen.

Jetzt ist eine neue Biografie des Genfer Auswanderers erschienen. Sie soll “Amerikas Schweizer Gründervater”, wie es im Untertitel heisst, wieder stärker ins Bewusstsein der Allgemeinheit rücken.

Nicholas Dungan, dem Autor der Biografie, war es nicht viel anders ergangen, als der Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner: “Vor etwa drei Jahren stand ich vor der Statue Gallatins, und mir wurde bewusst, dass ich trotz meiner Schweizer Wurzeln nur wenig über das Leben des Genfers wusste”, erklärt der ehemalige Banker im Gespräch mit swissinfo.ch.

Als Dungan merkte, dass sich Gallatins Geburtstag 2011 zum 250. Mal jährt, war die Idee für eine neue Biografie geboren. Er erhielt Unterstützung vom Schweizer Aussenministerium und begann, in Archiven nachzuforschen, vor einigen Wochen kam das Buch auf den Markt.

Auf knapp 200 Seiten führt der Autor das Leben Gallatins vor Augen, von den Anfängen in Genf zur Auswanderung, den ersten Jahren in Amerika, der politischen Karriere und dem letzten Lebensabschnitt als Banker und Intellektueller in New York, wo er unter anderem die Gründung der New York University vorantrieb.

Das Buch enthält Ausschnitte aus Briefen an und von Gallatin. Quellenhinweise, bibliografische Angaben, Erklärungen und ein Index finden sich als Anhang.

Aus alteingesessener Genfer Familie

Abraham Alfonse Albert Gallatin wurde am 29. Januar 1761 als zweites Kind einer alteingesessenen Genfer Familie geboren. Seine Grosseltern waren unter anderem mit Voltaire befreundet. 1775 starb sein Vater, ein Uhrenhändler. Albert wurde danach von einer Verwandten grossgezogen.

Nach seiner Ausbildung an der Genfer Akademie – Studium der Geistes- und Naturwissenschaften – machte sich Gallatin 1780 auf den Weg über den Atlantik. Er hoffte, dort Geld machen zu können, da er sein Erbe erst im Alter von 25 Jahren würde antreten können.

Zuerst versuchte er sich in Boston als Händler. Dann war er Französischlehrer in Harvard. Nach etwa drei Jahren zog er weiter und kaufte sich schliesslich in Fayette County (Pennsylvania) 1786 eine Farm, Friendship Hill.

Politisches Engagement

Etwa zur selben Zeit begann auch seine politische Karriere. Es waren wichtige Jahre in der Geschichte der Vereinigten Staaten, in denen die Verfassung niedergeschrieben und die erste Bundesregierung gebildet wurde.

1789 wurde George Washington zum Präsidenten gewählt. Er berief Alexander Hamilton zu seinem ersten Finanzminister, der in den folgenden Jahren den Grundstein für das Finanzsystem des jungen Staates legte.

Gallatin wurde derweil nach einigen Stationen in der regionalen Politik Pennsylvanias 1793 in den US-Senat gewählt, obschon er eine zentrale Anforderung nicht erfüllte: Er war nicht lange genug Bürger.

1794 sprach ihm eine Kommission denn auch seinen Sitz ab. Er kehrte nach Pennsylvania zurück und wurde zwei Jahre darauf ins US-Repräsentantenhaus gewählt. Dort konnte er sich rasch als eine führende Persönlichkeit der Partei von Thomas Jefferson etablieren, der Democratic-Republican Party, aus der die heutigen Demokraten hervorgingen.

Der Finanzpolitiker

Gallatin galt als gewiefter Kenner der Staatsfinanzen und erwarb sich einen Ruf als steuerkonservativer Politiker. Er setzte sich für Steuertransparenz ein und kämpfte gegen Regierungsausgaben, die über die Einnahmen hinausgingen. Den von Hamilton vertretenen zentralistischen Aspekten der Finanzpolitik standen er und seine Partei kritisch gegenüber.

Gallatin hatte erheblichen Einfluss darauf, dass Jefferson 1800 das Präsidentenamt übernehmen konnte: Die Wahl war mit einem Patt ausgegangen, daher musste das Repräsentantenhaus den Sieger bestimmen. 1801 berief Jefferson Gallatin zu seinem Finanzminister.

Einmal im Amt, schaffte Gallatin zur Überraschung vieler das Finanzsystem Hamiltons, mit dem er sich verfeindet hatte, aber nicht einfach ab, sondern bewahrte Grundzüge davon und adaptierte es in anderen Bereichen an die Interessen seiner Partei. Vor allem setzte er sich für den Abbau der Staatsschulden und für Steuertransparenz ein.

In den ersten Jahren seiner Amtszeit schaffte es Gallatin, den Schuldenberg des jungen Staates zu halbieren, was den Vereinigten Staaten half, an den Finanzmärkten als verlässlicher Handelspartner wahrgenommen zu werden.

Nicht zuletzt deshalb schaffte es Gallatin auch, 1803 die benötigten Mittel aufzubringen, um Louisiana von Frankreich zu kaufen. Mit einem erneut drohenden Krieg gegen Grossbritannien, der 1812 ausbrach, wendete sich das Blatt zu Ungunsten von Gallatin, 1814 trat er als Finanzminister zurück.

Der Diplomat

Doch das sollte noch lange nicht das Ende seiner politischen Karriere sein. Gallatin wurde als Vertreter der Vereinigten Staaten an die Verhandlungen über ein Ende des Britisch-Amerikanischen Krieges geschickt, im Dezember 1814 wurde der Friedensvertrag von Gent unterschrieben.

“Die Verhandlungen über diesen Vertrag sind meiner Ansicht nach ohne Frage die herausragendste Leistung Gallatins”, unterstreicht Dungan im Gespräch mit swissinfo.ch.

“Mit diesem Vertrag gab Gallatin den Vereinigten Staaten ihre echte Unabhängigkeit.”Grossbritannien sei zwar für den Rest des 19. Jahrhunderts das grösste Imperium geblieben, aber die USA hätten sich nicht länger über eine Einmischung der Briten in ihrer Hemisphäre sorgen müssen.

Nach den Friedensverhandlungen war Gallatin bis 1823 Botschafter in Frankreich; darauf verbrachte er erneut ein paar Jahre auf seiner Farm in Pennsylvania und kehrte 1826 nach Europa zurück, betraut mit neuen diplomatischen Aufgaben in London.

Aktiver Lebensabend in New York

Als Gallatin schliesslich den Staatsdienst verliess, zog er 1830 nach New York und half 1831, die New York University zu gründen, an der die Gallatin School for Individualized Study noch heute an ihn erinnert. Zudem leitete er bis 1838 die National Bank of New York, befasste sich mit Wirtschafts- und Finanzwissenschaft sowie mit ethnografischer Forschung über die nordamerikanischen Völker.

Am 12. August 1849 starb er im Alter von 88 Jahren in New York. Er liegt begraben auf dem Friedhof der Trinity Church, in nächster Nähe der Wall Street. Auf der anderen Seite der Kirche liegt das Grab von Alexander Hamilton, der 1804 bei einem Duell umgekommen war.

“Zeitlebens ein Sohn Genfs”

Dass Gallatin und seine herausragenden Leistungen in den USA in Vergessenheit geraten sind, liege unter anderem auch daran, dass Gallatin ein Ausländer geblieben sei, der sich seiner neuen Heimat nie ganz angepasst, seinen französischen Akzent nie verloren habe.

Gallatin habe auch keine Memoiren verfasst, kein Tagebuch geführt, sagt Dungan im Gespräch mit swissinfo.ch. “Gallatin ist Zeit seines Lebens ein Sohn Genfs geblieben.”

Mit der neuen Biografie hofft Dungan, den “vergessenen Schweizer Gründervater” wieder einem breiteren Publikum bekannt zu machen.

“Gerade heute könnten die USA jemanden wie Gallatin und dessen Ideen zu Finanz- und Steuerpolitik gut gebrauchen”, erklärte Dungan jüngst an einer Veranstaltung in New York. Ein zustimmendes Raunen ging durchs Publikum.

Aus Anlass des 250. Geburtstages von Albert Gallatin hat die Eidgenossenschaft das Projekt Gallatin 250 lanciert.

Im Rahmen des Projekts wurde unter anderem die Publikation der neuen Biografie mit dem Titel “Albert Gallatin: Amerikas Schweizer Gründungsvater” von Nicholas Dungan unterstützt.

Das Buch erschien im September 2010 im Verlag New York University Press. Im Rahmen von Gallatin 250 findet im Beisein des Autors eine Buchtournee durch verschiedene Städte der USA statt.

Das Buch ist vorerst nur in Englisch erhältlich. Der Autor hofft, dass es ihm gelingen wird, Mittel für eine französische Version zu finden.

Zudem organisieren die Schweizer Botschaft und Schweizer Konsular-Vertretungen in den USA bis Ende 2011 eine Reihe von Veranstaltungen unter dem Namen “Gallatin Roundtables 250”
zum Themenbereich Finanz- und Steuerpolitik.

In den Lesungen werden neben dem Erbe Gallatins im Bereich der öffentlichen Finanzpolitik aktuelle Fragen wie die öffentliche Verschuldung und die Herausforderungen thematisiert, vor denen heute viele Staaten mit wachsenden Schuldenbergen stehen. Unter anderem wird auch die Schweizer Schuldenbremse vorgestellt.

Das Budget für das Gallatin-Jahr beträgt 230’000 Dollar, es wird aus öffentlichen Geldern und Mitteln privater Sponsoren getragen. Der Anteil des Eidg. Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) beläuft sich auf 145’000 Dollar.

Nicholas Dungan, der Autor der Gallatin-Biografie, ist ein ehemaliger internationaler Investmentbanker. Dungan befasst sich seit Jahren mit transatlantischen Fragen und war unter anderem Präsident der French American Foundation. Heute ist Dungan als politischer und wirtschaftlicher Kommentator aktiv.

Dungan hat auch Schweizer Wurzeln. Sechs seiner acht Urgrosseltern waren in Europa geboren: Zwei in Glarus, zwei in Glasgow, zwei in Genua, die andern beiden in Virginia.

Die Eltern der Mutter seines Vaters kamen aus Thon, einem Weiler zwischen Schwanden und Schwändi im Kanton Glarus. Sie hiessen Kindlimann und Blumer. Noch heute hat Dungan Kontakte zu seinen Kindlimann-Verwandten im Thon.

Geschichte, internationale Beziehungen und Finanzen hatten ihn immer interessiert, drei Bereiche, die ihn auch mit Gallatin verbinden.

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