The Swiss voice in the world since 1935
Top Stories
Schweizer Demokratie
Newsletter

Sozialdemokraten kämpfen für alle, aber nicht vereint

Mit 49 Sitzen ist die SP zur Zeit die zweitstärkste politische Kraft in den Eidgenössischen Räten. Keystone

"Für alle statt für wenige": Mit diesem Slogan will die Sozialdemokratische Partei die 2007 verlorenen Wählerstimmen zurückerobern. Doch der Weg dahin ist steinig. Die Wirtschaftskrise ist fast überwunden, und das radikale Parteiprogramm hat viele verärgert.

Die laufende Legislaturperiode hatte mit einem Paukenschlag begonnen. In einem überraschenden Schulterschluss hatten sich die Sozialdemokraten mit den Grünen sowie den bürgerlichen Christlichdemokraten zusammengeschlossen, um die Wiederwahl des rechtskonservativen SVP-Bundesrates Christoph Blocher zu verhindern.

Die Operation gelang. Und umgehend war von einer neuen Mitte-Links-Koalition die Rede, welche die Politik im Bundeshaus nachhaltig verändern könnte. Doch es kam anders. In den letzten vier Jahren spannte die Linke nur äusserst selten mit der CVP zusammen. Sozialdemokraten und Grüne blieben meist isoliert, während die bürgerliche Mitte den Ton angab.

«Wir sind bereit, punktuell Allianzen mit den Mitteparteien zu schliessen, wenn sie bestimmte politische Grundsatzpositionen ändern. Das bedeutet beispielsweise einen Verzicht auf die Atomkraft, den Kampf gegen die wachsende soziale Ungleichheit und eine radikale Reform für das System der Krankenversicherungen», erklärt SP-Vizepräsidentin Marina Carobbio.

Interne Kritik

Wenige Monate vor den Wahlen liegen die politischen Positionen von SP und bürgerlichen Parteien immer noch weit auseinander. Und mit dem Parteiprogramm, das die SP-Delegierten im Oktober 2010 in Lausanne verabschiedeten, ist eine Annäherung noch schwieriger geworden. Da ist von der Überwindung des Kapitalismus, von der Auflösung der Armee und einem raschen EU-Beitritt die Rede. Forderungen dieser Art erschrecken die Parteien der bürgerlichen Mitte.

«Wir werden das SP-Programm niemals unterschreiben», hatte CVP-Parteipräsident Christophe Darbellay vor zwei Jahren erklärt. Mit dem neuen Programm dürfte sich seine Position kaum geändert haben. In der Tat hat ein Teil der Forderungen im SP-Programm nicht nur bei anderen Parteien Kopfschütteln ausgelöst, sondern auch intern zu heftigem Streit geführt.

«Fundamentalismus und weltfremde Ideen, die unsere Wählerschaft noch weiter dezimieren wird», wetterten einige Genossen der realpolitischen Fraktion. Diverse SP-Sektionen haben sich offen gegen das Parteiprogramm gewandt und eine Revision gefordert.

In der Tat scheint der von der SP eingeschlagene Weg wenige Aussichten zu haben, in der Wählermitte anzukommen. Doch dort befindet sich das einzige Wählerpotential der SP. Denn auf ihrer Linken steht die Partei in Konkurrenz zu den Grünen, die in der Wählergunst voraussichtlich mehr als die SP von der Nuklearkatastrophe in Japan profitieren dürften.

Soziale Plattform 

Cédric Wermuth, SP-Vizepräsident und einer der Köpfe hinter dem Parteiprogramm 2010, verteidigt die getroffene Wahl. «Ich bin überzeugt, dass wir mit diesem Programm einen klaren Weg eingeschlagen haben, mit dem sich die Wählerschaft identifizieren kann. Während die bürgerlichen Parteien ein Wirtschaftssystem verteidigen, das seine Grenzen in der schlimmsten Finanzkrise seit dem 2. Weltkrieg gezeigt hat, schlägt die SP als einzige Partei eine Alternative vor, um die Wirtschaft zu demokratisieren.»

Nach dem Einbruch in der Finanzbranche, den Staatshilfen für die UBS, dem Druck auf das Bankgeheimnis und den Millionen-Boni für die Manager hätte die Wirtschaftsreform tatsächlich eines der Top-Wahlkampfthemen bei den Sozialdemokraten sein sollen. Doch die Wahlen kommen in gewisser Weise zu spät, denn die Finanz- und Wirtschaftskrise in der Schweiz ist praktisch überwunden.

Die im März in Zürich verabschiedete Wahlplattform der SP konzentriert sich daher wieder eher auf klassische Themen der Linken: Einheitskrankenkasse, Mindestlohn, bezahlbare Wohnungen, umfassender Service Public und die Sicherung der AHV. Ein Wahlprogramm in 10 Punkten, «das zum Wohle aller ist und nicht nur die Interessen einiger Privilegierter verfolgt».

Ein altes Problem

Doch auch mit dieser Wahlplattform waren nicht alle Sozialdemokraten glücklich. «Wir erwarteten ein Wahlprogramm, das eine Umsetzung des in Lausanne verabschiedeten Parteiprogramms hätte darstellen sollen. Die Parteileitung hat hingegen mit ihren Vorschlägen keinerlei Mut bewiesen», kritisiert Kristina Schüpbach, Generalsekretärin der Jungsozialisten.

 «Man muss zwei  Dinge auseinanderhalten», erwidert Nationalrat Stéphane Rossini im Namen des Vorstandes. «Das Parteiprogramm spiegelt unsere Grundwerte und unsere langfristigen Visionen. Die Wahlplattform konzentriert sich auf unsere nahe liegenden politischen Prioritäten und die Ziele der kommenden Jahre.»

Visionen, Grundwerte, Programme, Wahlplattformen: Diese Vielfalt ist die Stärke der SP, aber zugleich auch ihre Schwäche. Häufig verheddern sich die Sozialdemokraten so sehr in internen Debatten, dass ihnen keine effiziente Kommunikation von Schlüsselbotschaften in Hinblick auf die Wahlen gelingt.

«Das ist ein altes Problem der SP: Es wird viel geredet und debattiert, aber am Ende fehlt eine klare Botschaft, die von allen verstanden und geteilt werden kann», meint der Berner SP-Mann David Stampfli. «Was nützt es, grossartige Visionen zu entwickeln, wenn man nachher die Wahlen verliert. Nur wenn wir gewinnen, können wir einer grösseren Zahl von Menschen helfen.»

Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) wurde 1881 gegründet. Nach Einführung des Proporzsystems 1918 konnte sie deutlich an Stärke zulegen.

Zwischen 1928 und 1979 vermochte die SP die meisten Wählerstimmen bei Nationalratswahlen zu gewinnen. Zurzeit ist sie nach der SVP die zweitstärkste Partei im Parlament.

Nach einem Anstieg des Wählerstimmenanteils zwischen 1991 und 2003 verlor die Partei 2007 3,8% und erreichte noch 19,5% der Stimmen.

Die SP ist traditionell die wichtigste Kraft der Linken. Im Jahr 1943 trat sie erstmals in den Bundesrat (Landesregierung) ein – mit einem Repräsentanten.

Seit 1959 stellt die SP zwei Minister im siebenköpfigen Bundesrat. Seit 2010 sind beide SP-Vertreter weiblichen Geschlechts: Micheline Calmy-Rey und Simonetta Sommaruga.

In fast allen kantonalen Urnengängen des Jahres 2007 verlor die SP Wählerstimmen.

Die Wahlplattform beinhaltet 10 Punkte, die im Kern allesamt Forderungen nach sozialen Verbesserungen beinhalten: Einheitskrankenkasse, Mindestlohn, bezahlbarer Wohnraum, Erbschaftssteuer zur Finanzierung der AHV, einen flächendeckenden Service Public und ein Lebensarbeitszeitmodell für die AHV.

Zudem werden Investitionen in erneuerbare Energieträger gefordert, um möglichst schnell aus der Atomenergie aussteigen zu können, die Schaffung eines nationalen Fonds zur Finanzierung der Weiterbildung sowie eine stärkere Regulierung der Finanzbranche und der Manager-Boni.

Die Wahlplattform 2011 wurde am 26. März 2011 im Rahmen eines ausserordentlichen Kongresses der SP in Zürich von 700 Delegierten verabschiedet.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft