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Wie Rechtspopulisten in Südafrika Politik machen, ohne bei Wahlen anzutreten

Gedenkveranstaltung an den Burenkrieg
Mit Liedern auf Afrikaans haben diese Südafrikaner 2014 in der Nähe von Dundee einer Schlacht des Burenkriegs gedacht. Kim Ludbrook / Keystone

"Make Afrikaners Great Again!”: Die Historikerin Danelle van Zyl-Hermann hat dazu geforscht, wie Populismus funktioniert, wenn mit "unser Volk" eine Minderheit gemeint ist.

“Make Afrikaners Great Again!”Externer Link heisst es im Titel eines wissenschaftlichen Artikels von Danelle van Zyl-Hermann.

Die südafrikanische Historikerin, die heute an der Universität Basel arbeitet, hat sich darin unter anderem mit dem Solidarity Movement befasst und herausgeschält, wie Rechtspopulismus aus einer Minderheitenperspektive aussehen kann.

In Südafrika entscheidet sich am 29. Mai, ob der African National Congress, der ANC, zum ersten Mal seit den ersten freien Wahlen 1994 die Mehrheit verliert. Bei den Wahlen im Land mit 62 Millionen Einwohner:innen spielt das Solidarity Movement keine Rolle.  

Danelle van Zyl-Hermann
Die Historikerin Danelle van Zyl-Hermann arbeitet an der Universität Basel an einem Projekt zu “African Contributions to Global Health”. Zuvor befasste sie sich für ihre Dissertation mit dem “Privileged Precariat”, der weissen Arbeiterklasse im Südafrika der Apartheid und der Transitionsphase danach. Anna Schmidt Photographie

Denn diese Rechtspopulist:innen treten bei Wahlen gar nie an – anders, als man es sich vom Rassemblement National in Frankreich oder der AfD in Deutschland gewohnt ist. Trotzdem gelingt es dem Solidarity Movement mit “Wir gegen die”-Rhetorik und eigenen Institutionen, die eine Art Staat im Staat schaffen, Aufmerksamkeit und Einfluss zu erlangen. Sogar eine eigene Universität und eine Strafverfolgungsbehörde – ohne Mandat – hat das Solidarity Movement.

Im Interview erklärt Danelle van Zyl-Hermann, wie die Bewegung funktioniert und wie sie sich international vernetzt. Auch dazu, was am Wahltag und danach passiert, gibt van Zyl-Hermann eine Einschätzung.

SWI swissinfo.ch: Warum begannen Sie, über die weisse Arbeiterklasse in Südafrika zu forschen?

Danelle van Zyl-Hermann: Ich bin Südafrikanerin, dort bin ich aufgewachsen und dort habe ich den grössten Teil meines Lebens verbracht. In der Geschichtswissenschaft erkannte ich eine beträchtliche Lücke in der Art, wie die Transition Südafrikas von einem diskriminierenden Apartheidstaat zu einer freien Demokratie dargestellt worden ist.

Ist es wirklich so, dass alle Weissen dieselbe Erfahrung teilen und alle Schwarzen eine andere? Ich wollte zeigen, dass die weisse Gesellschaft ebenso wie die schwarze Gesellschaft nicht homogen ist. Dass Menschen, die scheinbar zur gleichen “Gruppe” gehören, sehr unterschiedliche Identitäten, Erfahrungen und politische Ideale haben können.

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SWI: Sie haben das Solidarity Movement untersucht, eine rechtspopulistische Bewegung in Südafrika. Ist dies derzeit die einzige relevante populistische Bewegung dort?

DvZH: Wie überall gibt es auch in Südafrika ein breites Spektrum an Populismus – sowohl rechts- als auch linksgerichtete Gruppen. Die meisten sehen wohl die Economic Freedom Fighters, eine radikal linke Partei, die 2019 rund 10 % der Stimmen im Land erhielt, als relevanteste populistische Bewegung Südafrikas.

Werbeplakat der Economic Freedom Fighter in einem ärmeren Teil von Johannesburg
Werbeplakat der Economic Freedom Fighters in Alexandra, einem Township von Johannesburg. Kim Ludbrook / Keystone

Aber das Solidarity Movement ist keine Partei. Sie ist ein Konglomerat von miteinander verbundenen Organisationen, die gemeinsam behaupten, die Interessen von Minderheiten zu vertreten, speziell von weissen Afrikaans-Sprechenden. Sie wirkt auf eine Art, die die Grenzen zwischen Gewerkschaft, Politik, Wohltätigkeit, Wirtschaft und Bürgerrechtsorganisation aufweicht.

Ihre Kampagnen sind in Südafrika überall und sie sind gut organisiert und unglaublich strategisch.

SWI: Aber sie treten nicht zu Wahlen an?

DvZH: Personen sagten mir im Interview: “Ich wünschte, sie würden eine Partei gründen, damit wir für sie stimmen können.” Solidarity wird das nie tun. Ihre tatsächliche Unterstützung in Wählerprozenten wäre so klein, dass sie im Parlament kaum Macht hätten.

Die ausserparlamentarische Strategie ist für sie die beste Option. Da sie nie zu Wahlen antreten, können sie behaupten, viel Unterstützung zu haben, müssen diese aber nie an der Urne zeigen. Sie haben sogar eine Wendung: “Zählt uns nicht – wiegt uns!” 

Das Problem ist, dass die Bewegung behauptet, für alle Afrikaaner:innen zu sprechen. Sie behauptet, alle Afrikaaner:innen in Südafrika – sowie auch alle Weissen und alle Minderheiten – würden in einem von der schwarzen Mehrheit regierten Staat diskriminiert. Dies ist definitiv nicht so. Häufig mobilisieren weisse Afrikaans-Sprecher:innen gegen das Solidarity Movement.

SWI: Wer sind denn ihre Unterstützenden?

DvZH: Die Mehrheit ihrer Mitglieder sind weisse Afrikaans-Sprecher:innen – diejenigen, die sich selbst als “Afrikaaner” bezeichnen und historisch gesehen von der Apartheid profitiert haben. Sie fühlen sich im mehrheitsregierten Südafrika kulturell entfremdet und politisch abgehängt. Daher zieht sie der kulturelle Nationalismus und Minderheitenpopulismus des Solidarity Movement an.

Auf dem Papier hat die Bewegung offiziell etwa 300’000 Mitglieder. Das ist nur ein Bruchteil der 4,6 Millionen Weissen in Südafrika – und ein Bruchteil der fast sieben Millionen Afrikaans-Sprecher:innen aller Hautfarben.

SWI: Wie übt das Solidarity Movement Macht aus, wenn es nicht an Wahlen teilnimmt?

DvZH: Sie sind unglaublich gut darin, sich Gehör zu verschaffen. In den Medien und auf der Strasse sind sie ständig präsent. Sie begannen als Gewerkschaft, sind aber heute in allen Bereichen von der Bildung bis zur Landwirtschaft aktiv. Sie haben eine Medienplattform, Finanzunternehmen und -dienstleistungen, eine Universität, einen Radiosender, Kultur- und Bürgerrechtsorganisationen.

Eine ihrer wichtigsten Strategien ist der Rechtsweg. Wenn zum Beispiel einem Mitglied einer sogenannten “Minderheitengruppe” – womit sie in der Regel eine weisse Person meinen – am Arbeitsplatz etwas passiert, gehen sie vor Gericht und fechten es als Diskriminierung an. Ein Grund, warum sie das tun können, ist das robuste und unabhängige Justizsystem Südafrikas.

Egal, wie das Verfahren ausgeht, nutzen sie es für öffentliche Aufmerksamkeit und ihre politische Botschaft: sich für diejenigen einzusetzen, die sie “unser Volk” oder auch “unsere Leute” nennen. Sie haben Dutzende von parallel laufenden Fällen.

Aber das Solidarity Movement tut auch ganz andere Dinge: Wenn zum Beispiel die öffentliche Infrastruktur versagt, springen sie ein, reparieren Strassen oder sorgen für sauberes Trinkwasser. Nach einer Katastrophe verteilen sie Lebensmittel. Sie gehen hin und helfen. Das ist gut – aber sie sind oft selektiv, welchen Gemeinden sie helfen, und sie nutzen jede Gelegenheit, die Regierung zu kritisieren.

Eine Gruppe von Menschen bereitet einen Protestmarsch vor
Mitglieder der zivilgesellschaftlichen Organisation AfriForum und andere Organisationen bereiten sich auf den Protestmarsch vor. Die Protestierenden machen auf die Morde an Farmern aufmerksam, am 25. November 2017, in Pretoria. Gianluigi Guercia / AFP

SWI: Sie springe also ein, wenn der Staat in einem bestimmten Gebiet nicht präsent ist?

DvZH: Nicht nur, wenn der Staat abwesend ist – sondern auch, wenn ihnen das, was er tut, nicht gefällt. Südafrika hat, wie die meisten Länder, eine nationale StrafverfolgungsbehördeExterner Link. Wann immer Missstände oder Korruption bekannt wird, äussert sich das Solidarity Movement: Die nationale Behörde handle zu langsam, um etwas zu bewirken. Bis das Solidarity Movement seine eigene Strafverfolgungsbehörde gegründet hat. Ebenso kritisierten sie, dass die Sprache Afrikaans an den öffentlichen Universitäten diskriminiert werde – um dann ihre eigene private Afrikaans-Universität zu gründen.

SWI: Das klingt nach einem Staat im Staat?

DvZH: Genau. Aber die Institutionen des Solidarity Movement agieren ohne Mandat des Volkes. Es stimmt, dass es ihnen manchmal gelingt, die Regierung zur Rechenschaft zu ziehen, und das ist auch gut so. Das Problem ist aber, dass sie die Konstellationen immer, auf typisch populistische Weise, als transparent rassifiziertes “Wir” und “Sie” darstellen. Ihre Aktionen bauen immer auf dieser spaltenden Politik auf.

SWI: Wo sehen Sie Verbindungen zum Rechtspopulismus auf globaler Ebene, etwa jenem von Donald Trump?

DvZH: Auf globaler Ebene ist der Rechtspopulismus oft antimultikulturell und anti-staatlich positioniert. Populist:innen verwenden typischerweise eine nationalistische Sprache und nutzen Opfererzählungen. Sie sprechen von “Wir” und “Die”. Dabei wird das “Wir” als eine homogene und einige Gruppe von Menschen dargestellt, die von “denen”, einer Elite oder einer anderen kulturellen Gruppe, kulturell oder wirtschaftlich in eine nachteilige Situation gebracht werden. Dies tun sie mit der Behauptung die rechtmässigen, legitimen Vertreter “des Volks” zu sein, um die Dinge in Ordnung zu bringen.

Wie Trump, der behauptet, für “die Amerikaner:innen” zu sprechen und verspricht, sie wieder great zu machen. Ähnliche Rhetorik findet sich bei der AfD in Deutschland oder bei den Brexit-Befürwortenden in Grossbritannien.

Die Politik des Solidarity Movement ist sehr ähnlich – aber in ihrem Fall sind sowohl die wirtschaftliche als auch die kulturelle Achse rassifiziert. Wenn das Solidarity Movement den Staat und seine Eliten kritisiert, meinen sie schwarze Politiker:innen. Wenn sie von einer kulturellen Bedrohung sprechen, meinen sie die schwarzen Südafrikaner:innen. Damit knüpfen sie an die Rassenpolitik an, die Südafrika durch Kolonialismus und Apartheid so lange geprägt hat.

SWI: Pflegt das Solidarity Movement auch Kontakte mit Rechtspopulist:innen sonst wo auf der Welt?

DvZH: Sie versuchen aktiv, Verbindungen zu ähnlich denkenden Gruppen in Europa und den USA aufzubauen. So traten sie zum Beispiel mehrmals auf Fox News auf und trafen sich sogar mit Trumps nationalem Sicherheitsberater John Bolton – obwohl dieser danach anscheinend sagte, er wisse nicht, mit wem er sich da getroffen habe! Aber sie suchen Kontakt zu Leuten wie ihm, auch in den Niederlanden, Belgien und Deutschland.

SWI: Ist eine Bewegung wie das Solidarity Movement eine Bedrohung für die Gesellschaft?

DvZH: Ich denke, ja. Sie verfolgt eine spaltende, rassifizierte Politik, die die historischen sozialen und wirtschaftlichen Spaltungen Südafrikas erneut wiederholt. Statt dazu beizutragen, sie zu überwinden.

SWI: Wo muss man ansetzen, um diese spaltende Entwicklung anzugehen?

DvZH: Ich glaube, dass die Ungleichheit letztlich der Grund für die Polarisierung ist. Natürlich gibt es Korruption in der Regierung, und dagegen muss etwas unternommen werden. Aber das viel tiefere Problem ist die soziale Ungleichheit. Südafrika ist das ungleichste Land der Welt, was das Einkommen angeht, und das prägt die Lebenschancen.  Vielleicht ist die Schweiz ein gutes Beispiel für den umgekehrten Fall. Sie ist ein sehr wohlhabendes Land mit einer relativ flachen Gesellschaft.

SWI: Aber auch in der Schweiz gibt es eine Tendenz zur politischen Polarisierung.

DvZH: Natürlich, kein Land ist frei von dieser Entwicklung. Und wo auch immer es Polarisierung gibt, verläuft sie wahrscheinlich entlang von Merkmalen wie Klasse, Einkommen, Bildung. Aber ich weiss, was die Person verdient, die in meinem Haus hier in der Schweiz putzt. Das ist ein Lohn, von dem man leben kann. In meinem Haus wohnt der Stadtpräsident, aber auch eine Person, die in der Migros an der Kasse arbeitet. Das wäre in Südafrika undenkbar. Natürlich gibt es Unterschiede – aber im Vergleich zu meiner Heimat ist die Schweiz wohlhabend und gleichberechtigt.

Frauen im südafrikanischen Wahlkampf 2024
Die Frauenorganisation des African National Congress versammelte sich im Wahlkampfendspurt am 23. Mai 2024 zu einem Gebet in Johannesburg. Kim Ludbrook / Keystone

SWI: Kommen wir noch zu den Wahlen, die am 29. Mai in Südafrika stattfinden. Die Einschätzungen gehen auseinander. Manche meinen, der ANC, der African National Congress, könnte zum ersten Mal seit 1994 seine Mehrheit verlieren.

DvZH: Ja, es gibt deswegen Aufregung und Unbehagen. Es besteht die Hoffnung, dass, wenn der ANC seine Mehrheit verliert und in eine Regierungskoalition muss, die Inkompetenz oder Korruption im Staat zurückgeht. Andererseits fürchten Südafrikaner:innen, dass Koalitionen zu Instabilität oder politischem Stillstand führen – wie man es oft anderswo auf der Welt beobachten kann.

Es gibt auch jene, die warnen, dass der ANC das Wahlergebnis nicht akzeptieren wird, wenn er die Mehrheit verliert. Ich halte dies für unnötige Panikmache. Der ANC hat in der Vergangenheit bei Provinz- und Kommunalwahlen seine Mehrheit verloren und dies immer akzeptiert.

Was auch immer geschieht: Auf nationaler Ebene wird der ANC die grösste Partei bleiben. Vielleicht wird es eine Koalitionsregierung geben – aber am entscheidendsten ist, dass das Wahlergebnis als legitim akzeptiert wird.

Die Verschiebung hin zur Koalitionspolitik im Allgemeinen ist positiv zu bewerten. Es bedeutet, dass sich Südafrika von einem System wegbewegt, das durch eine Partei dominiert wird.

Editiert von David Eugster

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