Die Freiheit im Kleinen: Waadt erwägt die Legalisierung des Tiny House
Immer mehr Menschen suchen nach einfachen, nachhaltigen Wohnformen. Neue Hoffnungen stossen dabei auf alte Gesetze. Im Kanton Waadt wird nun diskutiert, ob Tiny Houses und Campingplätze mehr sein dürfen als Ferienidylle: nämlich ein Zuhause.
Einige Kantone wie Waadt haben den Wunsch nach neuen Wohnformen kürzlich auf die politische Agenda gesetzt. Im Jahr 2024 wurden dort zwei Vorstösse im Grossen Rat eingereicht. «Das leichte Wohnen – eine Lösung für soziale und ökologische Verdichtung» heisst einer. «Ganzjährig im Camping leben… auch für die Waadtländer:innen» der zweite. Letzterer wurde von der zuständigen Kommission zur Prüfung angenommen.
Nach dem Gesetz über Camping- und Wohnwagenplätze waren Campingzonen bisher für Zweitwohnungen vorgesehen. In der Praxis machen Menschen, die in sogenannten leichten Wohnformen leben, diese jedoch oft zu ihrem Hauptwohnsitz.
Leichtes Wohnen bringt mehrere Vorteile mit sich. Ökologisch zielt diese Wohnform auf Energieautonomie. Sie wird zudem mit wenig verarbeiteten, regionalen Materialien gebaut, was die lokale Wirtschaft stärkt und die Baukosten senkt.
Sozial kann leichtes Wohnen Gebiete mit geringer Bevölkerungsdichte oder ungewöhnliche Parzellen aufwerten und sich an demografische Entwicklungen anpassen.
Hier die TV-Reportage zu diesem Text (französisch):
Viele administrative Hürden
Für Samantha Oswald, Architektin und Vorstandsmitglied eines Vereins, der diese Wohnform fördert, ist das Aufstellen eines leichten Wohnhauses in der Schweiz grundsätzlich nicht komplizierter als der Bau eines Gebäudes. Sie selbst lebt in einer «selbstgebauten Wohnwagenstruktur» – der Begriff «Tiny House» ist umstritten. Ihre Wohnform ist energieautonom und sie hat diese selbst entworfen.
«Aber das Verfahren für den Bau eines Gebäudes ist kompliziert», räumt sie gegenüber RTS ein. «Es gibt viele administrative Schritte, was dem Geist der Tiny Houses – Einfachheit und Minimalismus – widerspricht. Das schreckt Interessierte ab.»
Ein Haus ohne feste Fundamente
Leichte Wohnformen werden unterschiedlich behandelt, je nachdem, ob sie auf einem Baugrundstück oder in einem Camping installiert werden. «Auf dem Camping gelten sie als Wohnwagen oder Mobilheim. Auf einem Baugrundstück werden sie zwingend als Gebäude betrachtet», erklärt Samantha Oswald.
Ihr Verein definiert leichtes Wohnen anhand mehrerer Kriterien: Grösse – in der Regel 20 m² Wohnfläche pro Person, maximal 40 m² – sowie Reversibilität, also das Fehlen permanenter Fundamente.
«Die Fundamente müssen punktuell oder auf Rädern sein. Es geht auch um die Idee der ‚Einfachheit‘: Module aus natürlichen Materialien und möglichst einfachen Verbindungen. Und schliesslich die Frage der Notwendigkeit: Wir möchten, dass das Tiny House als Hauptwohnsitz dient, da Zweitwohnungen politisch heikel sind», sagt Oswald. «Angesichts der Wohnungsnot, steigender Mieten und der ökologischen Kosten der Bauindustrie ist leichtes Wohnen eine von mehreren Lösungen.»
«Die kommunalen Bauordnungen verbieten oft das Wohnen in mobilen Anlagen. Deshalb achten wir im Verein sehr auf die Begriffe, die wir verwenden», erklärt Oswald.
«Die meisten Gemeinden verfolgen Strategien für nachhaltige Entwicklung, Ökologie und Quartiersentwicklung. Abriss- und Neubauprojekte stossen oft auf Widerstand. Leichte Wohnformen fügen sich hingegen unauffällig in die bestehende Bebauung ein», so die Architektin.
Ihr Rat: «Informieren Sie sich über die Entwicklung Ihrer Gemeinde, wo sich Bauzonen befinden – wahrscheinlich in Gebieten mit geringer Dichte – und sprechen Sie mit der Nachbarschaft. Ein Hindernis für die Genehmigung ist oft die Angst vor Einsprachen von Nachbargrundstücken. Je klarer ein Projekt erklärt wird, desto grösser sind die Chancen auf Zustimmung.»
Aus dem Französischen mithilfe von Copilot: Balz Rigendinger
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch