
Das Davoser Wildmannli blieb zahm

Knapp 100 Personen haben am Samstag Nachmittag in Davos gegen das Weltwirtschafts-Forum (WEF) demonstriert – bunt und friedlich.
Zumindest für ein paar Stunden rückte das sonst dominierende WEF-Bild mit eleganten und eiligen Global Players und Polizei in den Hintergrund.
Jürg Rasser scheint die Aufmerksamkeit der Weltmedien zu geniessen: Für einmal drängelt sich an diesem wunderschönen, aber bitterkalten Davoser Samstag Nachmittag die mit Kameras und Mikrofonen bewehrte Journalistenmeute weder um einen Top Shot noch um ein gekröntes Staatsoberhaupt, sondern um den Architektur-Studenten mit der Rasta-Mähne.
Am Oberkörper mit grobem Sacktuch, die Hüfte mit einem Rock aus Tannenzweigen bekleidet, gibt Rasser an der Demonstration gegen das Weltwirtschaftsforum (WEF) das «Wildmannli, das Davoser Wappenwesen», wie er mit kontrastierender Freundlichkeit erklärt.
Um den wilden Mann scharen sich vor dem Davoser Rathaus zwischen 80 und 100 Anti-WEF-Demonstranten. Mehr, als er erwartet habe, so Rasser. «Schön, dass viele Einheimische dabei sind», freut er sich.
Die Grossmutter als Zuschauerin
Als richtiger Davoser sei er die Kälte gewöhnt, winkt er die gesundheitlichen Bedenken des Journalisten ab, bevor er mit Tannenbaum und Transparent die Strasse überquert, um seine «Nani», die Grossmutter, zu begrüssen.
Nein, sie habe nichts gegen den Protestzug des bunten Völkleins einzuwenden, sagt sie, sogar ein wenig stolz, wie gefragt ihr Enkel ist. «Die machen schon nichts blödes», vertraut sie ihm und den übrigen Teilnehmern.
Trotz allen Verständnisses für den Unmut der Jungen steht sie aber vollumfänglich hinter dem WEF: «Das braucht es, und auch Davos braucht es.»
Fünf Pullover, für alle Fälle
Noch bunter, das heisst unverfrorener, treibt es Alexander Blischke, der mit vollends nacktem Oberkörper in der Davoser Sonne steht. Obwohl dicke Schaffelle Hüfte und Beine wärmen, kann er eine gewisse Hühnerhaut an Bauch und Armen nicht verbergen. «Falls ich friere, habe ich für den Rückweg fünf Pullover dabei», beruhigt er das zarte Journalisten-Gemüt aus dem Unterland.
Eine knappe Stunde später, als der Zug von der Oberen Strasse auf den Arkadenplatz – den Kehrpunkt bei Hälfte der Strecke – einbiegt, hat der junge Davoser seinen Pullover-Vorrat jedenfalls noch nicht angetastet…
Man kennt sich
Obwohl auch Zürcher und Berner Dialekt zu hören ist, kommt rund die Hälfte der Umzugs-Teilnehmer aus Davos und der näheren Umgebung. Tamara, die in Davos eine Schreinerlehre macht, und ihre Freundin aus Malans tragen ein Transparent mit der Aufschrift «Menschenrechte sind schlecht fürs Business».
Die beiden stören sich vor allem an den massiven WEF-Sicherheitsmassnahmen, welche die Bewegungsfreiheit im Ort einschränkten. Und: «Beim WEF ist noch nie etwas herausgekommen, deshalb braucht es diesen Anlass nicht», so Tamara.
Keine Störungen
An starken Polizeikräfte, die sich aber während des ganzen Umzugs diskret im Hintergrund halten, vorbei an Hotels und Appartements mit Zweitwohnungen, ziehen die WEF-Gegner ihre Bahn weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Auf dem Rückweg immerhin, so auf der Promenade und dann auf der Talstrasse zurück zum Bahnhof Davos Platz, vermag die bunte Schar zumindest die Shuttles und Luxuslimousinen mit den WEF-Grössen an Bord kurz am Vorwärtskommen zu hindern.
Demo-«Heimspiel» für den HCD-Fan
Im Gegensatz zu den archaisch gekleideten einheimischen Jürg und Alexander trägt Michael eine warme Jacke in Blau und Gelb. Das HCD-Logo outet ihn als Fan des einheimischen Hockey-Clubs Davos.
«Mein Cousin spielte früher bei den HCD-Junioren», so der cool bebrillte Zofinger, der regelmässig Heimspiele der Davoser Stars besucht. Auch ihn nerven die allgegenwärtigen Sicherheitsmassnahmen am WEF. Darüber hinaus findet er, dass die Welt ein WEF überhaupt nicht brauche.
«Pozilei» im Hintergrund
Der demo-eigene «Ordnungsdienst», ein Quartett in blauen Grenadieranzügen und mit schwarzen Schildern bewaffnet, die sie als Mitglieder der «Pozilei» kennzeichnen, braucht keine einzige brenzlige Situation zu bereinigen.
Und auch die zahlreichen – richtigen – Polizisten in Uniform und Zivil, die das Umzugs-Ende markieren, können ihren Einsatz als geruhsamen Nachmittags-Spaziergang abbuchen.
Quasi als «bunter Fleck» im farbenfrohen Umzug hat sich der Davoser Landamann Hans Peter Michel unter die Demonstrierenden gemischt – in Anzug, Hemd und Krawatte.
«Ich marschiere als Mitglied der Behörde mit, welche die Demonstration bewilligt hat», so ein gutgelaunter Michel. Würde «etwas passieren», könne er einen Beitrag zur Beruhigung leisten. Er ist sich aber – wie alle anderen auch an diesem kalten Davoser Nachmittag – sicher, dass dies nicht nötig sein wird: «Es sieht sehr, sehr freundlich aus!»
swissinfo, Renat Künzi in Davos.
Auch in Basel demonstrierten einige hundert Personen gegen das WEF.
Dabei setzte die Polizei gegen einige Demonstranten Wasserwerfer ein.
Schätzungsweise 400 Demonstrierende waren umringt von ebenso vielen Polizisten in Schutzmontur samt Dutzenden von Fahrzeugen und Gummischrot-Gewehren.

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