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Flims: Eine Randregion für drei Wochen im Zentrum

Tagsüber Ständerat-Wandelhalle, abends ein beliebter Treffpunkt: Die Bar im Jugendstill-Pavillon. swissinfo.ch

Die Session des Parlaments in Flims hat eine Randregion in den Bergen mindestens kurzfristig in den Blickpunkt gerückt. Parlamentarier ziehen gegenüber swissinfo eine mehrheitlich positive Bilanz.

Die Stimmung erlebten sie als lebendiger als in Bern. Ziel war es auch, das nationale Bewusstsein über Rätoromanisch als vierte Landessprache zu fördern.

«Die Sessiun hier oben hat gezeigt, dass wir das Land nicht behandeln können, wie wenn es nur aus Zentren bestünde. Manchmal nimmt das Parlament die Randregionen ja nur noch unter ‹Subventionen› wahr. Die drei Wochen brachten die Bestätigung, dass Zürich, Basel und Genf nicht die Schweiz ausmachen», bilanziert Eugen David.

Der christlich-demokratische Ständerat aus St. Gallen war «überrascht vom riesigen Zulauf und dem Interesse der Besucherinnen und Besuchern aus der Region».

Für den liberalen Genfer Nationalrat Jacques-Simon Eggly war die Stimmung in Flims «lebendiger und freundeidgenössischer» als im gewohnten Bundesbern.

«Viele Schweizer kennen Graubünden als Tourismuskanton. Die Präsenz des Parlaments hat dem Kanton Graubündens als Teil der Schweiz auch eine gewisse offizielle Anerkennung gebracht. Das ist sicherlich positiv.»

Zweifel äussert Eggly an der Nachhaltigkeit. «Wahrscheinlich gibt es einen gewissen Elan für den Tourismus, aber das wird langfristig nicht halten. Da brauchte es eine Nachbetreuung.»

Hochtechnologie statt «Sonnenstube»

Die Session (1993) in seiner Heimatstadt habe «immerhin das Bewusstsein für das internationale Genf und das Konferenzzentrum Genf geschärft», so Eggly.

«Ich habe diese Sessionen alle als sehr spannend erlebt», sagt Eugen David. «In Genf habe ich richtig verstanden, was das IKRK eigentlich tut. Vorher habe ich das nicht so genau gewusst. Die Session im Tessin hat das Deutschschweizer-Klischee der ‹Sonnenstube› korrigiert und gezeigt, wie viele Hochtechnologie-Industrien dort angesiedelt sind.»

Auch der Zürcher Nationalrat Hans Kaufmann von der Schweizerischen Volkspartei, ein Gegner der Verlegung, hat sich mit der Idee versöhnt: «Ich muss sagen, es hat mir gut gefallen, und die Infrastruktur war viel besser als erwartet, trotz Ikea-Pulten. Jedenfalls besser als im Tessin vor fünf Jahren.»

Romands und Deutschschweizer getrennt am Tisch

In Bern reisen viele Parlamentarier jeweils am Abend nach Haus. Im abgelegenen Luxus-Ressort war das nicht möglich. Die meisten befragten Parlamentarier sind sich einig, dass diese spezielle Situation dem lockeren Ideen-Austausch entgegenkam.

«Aber es hatte am Abend auch viele Lobby-Veranstaltungen», relativiert Eggly. «Doch die Bar im Pavillon war natürlich schon ein beliebter Treffpunkt.»

Nicht wesentlich gefördert hat die Abgeschiedenheit die Kontakte zwischen den Sprachgruppen. «Auch hier sitzen die Romands an einem Tisch zusammen und die Deutschschweizer am andern.»

Gefährdetes Rätoromanisch

Ausschlaggebend für die Verlegung nach Flims war die Förderung der im Kanton Graubünden noch von einer kleinen Minderheit gesprochenen vierte Landessprache.

«Bei den vielen Kontakten mit der Bevölkerung wurde klar, das Rätoromanische hat einen Existenzwillen. Ich glaube, dass diese Sprache wichtig ist», betont Eugen David.

«Wenn das Parlament in den kommenden Monaten über Förderungsgelder entscheiden müsste, hätte es sicher Mühe, dem Begehren nicht nachzukommen», analysiert Jacques Simon Eggly die Stimmung.

Im Gegensatz zu den Nachbardörfern wird in Flims kaum Rätoromanisch gesprochen. «Ich habe die Angestellten im Hotel gefragt, ob sie Rätoromanen sind», erzählt Eggly. «Sie antworteten: ‹Non, ich komme von Hamburg› – da musste ich schmunzeln.»

Silvio fährt auch den roten Ferrari

Zur Verbesserung des Sprach-Kolorits haben die Organisatoren 50 Freiwillige, so genannte «Voluntaris» engagiert, meistens Pensionierte, die in der Region, aber auch in Zürich wohnen.

«Das beste Auto, das ich versorgen durfte, war ein roter Ferrari mit Kulissenschaltung. Das war ein Spektakel. ‹Der Silvio, der kann jedes Auto fahren›, sagten die Zuschauer», erzählt Silvester Cadalbert.

Der pensionierte Postauto-Chauffeur hat während der Sessiun am Hotelportal die Autos der Parlamentarier in Empfang genommen und in die Garage gefahren. » Wir begrüssten alle Gäste auf Romanisch und die Leute hatten Freude daran.»

Daran, ob die Sprache mittelfristig überlebt, hat der «Voluntari» seine Zweifel. «Als die Leute noch weniger reisten, haben sie nur Romanisch gesprochen. Heute ist das anders. Zuhause, in Ilanz, spreche ich Romanisch, aber wir wechseln auf Schweizerdeutsch, wenn jemand kommt, der die Sprache nicht kann.»

swissinfo, Andreas Keiser in Flims

Nach Genf (1993) und Lugano (2001) tagte das Parlament zum 3. Mal in der Geschichte der modernen Schweiz ausserhalb der Hauptstadt Bern.

Die Sessiun im Parkhotel Waldhaus Flims findet vom 18. September bis am 6. Oktober statt.

Rätoromanisch ist die vierte Landessprache der Schweiz, neben Deutsch, Französisch und Italienisch.

Ungefähr 35’000 Personen bezeichnen Rätoromanisch als ihre Hauptsprache. Romantsch wird vor allem im Gebirgskanton Graubünden gesprochen.

Die Kosten für die Session in Flims werden auf ungefähr 3,6 Mio. Franken geschätzt.

Während der Sessiun wird das Bundeshaus in Bern, das Parlamentsgebäude, renoviert.

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