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Glasfaserkabel auf Gletschern können Naturkatastrophen früher erkennbar machen

Zwei Forschende auf einem Gletscher
Forschende in der Schweiz testeten den Einsatz von Glasfasern auf mehreren Alpengletschern. Im Bild: der Rhonegletscher. Wojciech Gajek

Glasfaserkabel, die bislang vor allem für Internet und Telefonie genutzt werden, könnten helfen, Erdrutsche oder Gletscherabstürze vorherzusagen. Forschungsprojekte in der Schweiz zeigen, welches Potentzial in der Technologie steckt.

Der Abbruch des Birchgletschers in den Schweizer Alpen am 28. Mai 2025 sorgte weltweit für Schlagzeilen. Ein riesiger Erdrutsch aus Eis, Schlamm und Geröll begrub das evakuierte Dorf Blatten und verursachte eine der schlimmsten Naturkatastrophen in der jüngeren Geschichte der Schweiz.

Obwohl solche Ereignisse selten sind, könnten sie einer Studie zufolgeExterner Link, die Hinweise auf frühere Gletscherbrüche in den Anden, im Kaukasus und anderen Bergregionen analysierte, häufiger vorkommen als bisher angenommen.

Es gibt keine einfache Methode, um sie vorherzusagen, aber laut der Studie können bestimmte Bedingungen wie die Neigung der Gletscherfläche dabei helfen, die Wahrscheinlichkeit eines Gletscherabbruchs in einem bestimmten Gebiet einzuschätzen.

Eis- und Gerölllawinen haben verschiedene Ursachen, die oft auf geologische Bedingungen und die Topografie des Geländes zurückzuführen sind.

Der Klimawandel kann jedoch die Wahrscheinlichkeit eines Abbruchs erhöhen. Steigende Temperaturen beschleunigen das Abschmelzen des Eises, begünstigen die Bildung von Rissen in Gletschern und machen Berghänge instabiler.

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Daher ist es umso wichtiger, gefährdete Gebiete zu überwachen, um Dörfer und Infrastruktur vor Naturgefahren zu schützen. Mithilfe von Satellitenbildern, Kameras und Radar lässt sich die Entwicklung und Bewegung von Gletschern, wie im Fall von Blatten, verfolgen. Diese Technologie liefert jedoch nur begrenzt Informationen darüber, was im Inneren eines Gletschers vor sich geht.

Forscher:innen in der Schweiz und in anderen Bergregionen wie Alaska glauben, eine Lösung gefunden zu haben. Glasfaserkabel können Mikrovibrationen und andere frühe Anzeichen von Instabilität in Gletschern erkennen.

«Glasfasern ermöglichen es uns, extrem kleine seismische Ereignisse zu erkennen, die mit anderen Technologien nicht messbar sind. Das könnte dazu beitragen, Gletscherüberwachungssysteme zu verfeinern», sagt Thomas Hudson, Seismologe an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH), gegenüber Swissinfo. Kürzlich stellte er die Ergebnisse seiner Experimente auf einem Schweizer Gletscher der Seismological Society of AmericaExterner Link vor.

Schnitt durch ein Glasfaserkabel
Ein Glasfaserkabel besteht aus zahlreichen Fäden oder optischen Fasern. Connect Images / Andrew Brookes

Glasfaser auf Alpengletschern

Im Jahr 2023 installierte ein Forschungsteam der ETH 1,2 Kilometer Glasfaserkabel auf dem GornergletscherExterner Link in der Schweiz. An diese Kabel wurde ein Gerät, ein sogenannter Interrogator, angeschlossen, der Laserimpulse durch die Glasfaser sendet.

Seismische Wellen im Gletscher führen dazu, dass sich das Kabel dehnt oder zusammenzieht, wodurch sich der Laserimpuls verändert. Bei dieser als Distributed Acoustic Sensing (DAS) bekannten Methode wird die Glasfaser zu einer Art Band mit Hunderten seismischer Sensoren.

Einige der seismischen Wellen (auch Eisbeben genannt) entstehen durch Risse im Gletscher. Diese Risse gefährden die Stabilität des Gletschers, da sie das Eindringen von Schmelzwasser ermöglichen. Das wiederum erhöht die Gefahr von Abbrüchen und beschleunigt seine Bewegung ins Tal.

Sehen Sie Bilder vom Einsturz des Birchgletschers in der Schweiz (28. Mai 2025):

Eine Technologie zur Überwachung ganzer Gletscher

Hudson hat bis zu tausend seismische Wellen pro Tag auf dem Gletscher registriert. Noch ist unklar, was diese seismische Aktivität bedeutet. Da das Experiment in den Anfängen steckt, kann er noch nicht sagen, ob es sich um eine Anomalie handelt, die einen Abbruch auslösen könnte, oder um einen durchschnittlichen Wert.

Doch mit weiteren Messungen und Beobachtungen des Gletschers erhofft sich Hudson, dass diese Vibrationen in Zukunft Hinweise auf Veränderungen im Eis liefern.

«Ein plötzlicher Anstieg der seismischen Aktivität könnte ein Zeichen für einen bevorstehenden Abbruch sein. Das sind Signale, die andere Geräte nicht erfassen würden», sagt Hudson.

Glasfaser liefert auch Informationen über die Struktur und Zusammensetzung des Eises. Im Vergleich zu herkömmlichen seismischen Sensoren, die an bestimmten Stellen platziert werden, liessen sich Glasfaserkabel leichter über ein grosses Gebiet verlegen, sagt Fabian Walter, Experte für Massenbewegungen an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL).

Walter gehört zu den ersten Forscher:innen, die den Einsatz von Glasfasern auf Gletschern getestet haben. Seiner Meinung nach könnte diese Technologie bei einer breiteren Anwendung die Überwachung ganzer Gletscher ermöglichen – selbst in schwer zugänglichen Gebieten. Im Jahr 2019 hatte er neue Arten von seismischen Wellen im Rhonegletscher identifiziertExterner Link.

Andreas Max Kääb, Professor für Physische Geographie und Hydrologie an der Universität Oslo und Autor einer Studie über grossvolumige Abbrüche von GebirgsgletschernExterner Link, hält diesen Ansatz ebenfalls für vielversprechend.

«Das ist sicherlich eine gute Idee. Die Beschleunigung von Felswänden oder Gletschern geht oft mit verstärkten Vibrationen einher», schreibt er gegenüber Swissinfo per E-Mail.

Der nächste Schritt sei nun, die durch Glasfasermessungen aufgezeichneten Signale zu verstehen. «Ich habe jedoch keinen Zweifel daran, dass Glasfaser zumindest in einigen Fällen wichtige Informationen über die unsichtbaren Prozesse hinter der Beschleunigung der Gletscherbewegung liefern kann», so Kääb.

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Erdbeben, Lawinen und Murgänge

Die Erkennung seismischer Aktivitäten mittels Glasfaser ist nicht neu. Die DAS-Technologie wird seit Langem in Unterwasser-Glasfaserkabeln eingesetzt, um Erdbeben und vulkanische Aktivitäten im Ozean zu lokalisieren.

Erst in den letzten Jahren wurde sie jedoch auf andere Naturgefahren ausgeweitet. «Die Schweiz zählt in dieser Hinsicht zu den Pionierländern», sagt Walter.

Im Jahr 2022 wurde Glasfaser in der Schweiz erstmals zur Erkennung von Lawinen eingesetztExterner Link. Mithilfe von Glasfasern konnten auch die kleinen Felsabbrüche gemessen werden, die dem grossen Erdrutsch in der Nähe des Dorfs Brienz/BrinzaulsExterner Link in Graubünden im Jahr 2023 vorausgingen.

Der Fokus der Forschung in der Schweiz und anderen Ländern liegt besonders auf der Überwachung von Murgängen, die zu den häufigsten und potenziell katastrophalsten Naturgefahren auf unserem Planeten zählen.

Ein Satellitenbild
Darstellung des Erdrutscherkennungssystems in Brienz/Brinzauls, Graubünden, mit Glasfaseroptik. Google Earth / ETHZ

Walter weist darauf hin, dass Glasfaserkabel für die Telekommunikation bereits unterirdisch entlang von Strassen, Eisenbahnstrecken sowie in der Nähe einiger Infrastrukturen verlegt wurden. Weltweit sind davon etwa vier Milliarden Kilometer verlegtExterner Link.

Es wäre einfach, den DAS-Interrogator an das Ende eines ungenutzten Filaments oder einer «dunklen Faser» anzuschliessen, da ein Glasfaserkabel zahlreiche Filamente enthält, von denen jedoch nicht alle in Betrieb sind.

Das Gerät sendet Laserimpulse über die gesamte Länge der Glasfaser und verwandelt sie so in ein Überwachungssystem, das sich über Dutzende von Kilometern erstreckt.

Im Gegensatz zu Radargeräten, die nur einen Teil des Bergs überwachen, können Glasfaserkabel Materialbewegungen entlang des gesamten Tals erkennen. Das macht sie besonders nützlich in Gebieten, in denen noch keine spezifischen Risikozonen identifiziert wurden.

«Unsere Erfahrungen zeigen, dass die Glasfaserkabel lediglich innerhalb eines Kilometers vom instabilen Hang entfernt sein müssen», sagt Walter.

Darstellung der Überwachung von Erdrutschen
Darstellung der Überwachung von Erdrutschen mit einem Radargerät (auf der Oberfläche) und Glasfasertechnik (im Boden). WSL / Nayan Gurung

Eine für Entwicklungsländer geeignete Technologie

Die aktuelle Herausforderung besteht darin, einen Algorithmus auf Basis künstlicher Intelligenz zu entwickeln, der relevante Signale automatisch erkennt und beispielsweise die Bewegung eines Felsbrockens von der Bewegung eines Tiers unterscheiden kann.

Wenn das System erhebliche Bewegungen feststellt, die zu einem Erdrutsch oder Gletscherabbruch führen könnten, kann es eine Frühwarnung auslösen, sodass die Menschen Zeit haben zu reagieren, bevor eine Katastrophe eintritt.

Das sagt Madhubhashitha Herath von der Uva Wellassa University in Sri Lanka. Er ist Autor einer Übersichtsarbeit über den Einsatz von Glasfasern zur Überwachung von NaturgefahrenExterner Link.

Glasfaserkabel selbst sind laut Herath relativ kostengünstig und verursachen nur geringe Betriebs- und Wartungskosten. «Dadurch eignet sich die Technologie sowohl für Industrie- als auch für Entwicklungsländer», schreibt er in einer E-Mail an Swissinfo.

Überwachung der gefährlichsten Gletscher mit Glasfasern

Thomas Hudson von der ETH glaubt, dass in Zukunft kilometerlange Glasfasern auf den instabilsten Gletschern verlegt werden könnten. «Es würde ausreichen, die Front der Hängegletscher zu bedecken, also jenen Teil, der am stärksten vom Einsturz bedroht ist.»

Allerdings muss das System für jeden Gletscher einzeln kalibriert werden, da «jeder Gletscher einzigartig ist».

«Wie viele Brüche sind kritisch, bevor ein Einsturz wahrscheinlich wird? Das wissen wir noch nicht», sagt er.

Glasfaser würde die bestehenden Überwachungstechnologien wie Satellitenbilder und Radargeräte ergänzen. «Durch die Kombination von Beobachtungen an der Oberfläche mit denen in der Tiefe könnten wir die Überwachung der gefährlichsten Gletscher verbessern», sagt Hudson.

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Externer Inhalt

Editiert von Gabe Bullard/vdv, Übertragung aus dem Englischen von Michael Heger/raf

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