
Weg von den USA: Die Schweiz arbeitet an neuen Handelsabkommen

Die amerikanische Zollpolitik stösst viele Staaten vor den Kopf, globale Handelsströme leiten sich gerade in Rekordzeit um. Das tut die Schweiz.
Die Zölle der USA bringen zahlreiche Staaten in die Bredouille. Ähnlich schwer zu handhaben ist die bleibende Unsicherheit – wird der amerikanische Präsident trotz aller Zugeständnisse plötzlich weitere Zölle ausrufen, wie er das immer wieder angedroht und sogar getan hat?
In dieser neuen Situation suchen viele Länder nach neuen Märkten. Auch die Schweiz, die mit 39% einen der höchsten Zollsätze erhalten hat.
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Beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) heisst es, dass bisher zurückhaltendere Partnerländer nun ein grösseres Interesse zeigen neue Handelsverträge abzuschliessen, oder bestehende zu aktualisieren. Es ist eine Diversifikation als Resultat neuer geopolitischer und geoökonomischer Realitäten.
«Die Schweiz bemüht sich tatsächlich mehr denn je um eine Diversifizierung ihres Handels. Die Abkommen mit Indien, dem Mercosur und Thailand, die lange stockten, kommen nun voran. Dies spiegelt die Entschlossenheit Berns wider, seine Abhängigkeit vom US-Markt zu verringern», sagt Guido Cozzi, Professor für Makroökonomie an der Universität St. Gallen. Cozzi ist Experte für globalen Handel und Märkte.
Die USA sind weiterhin einer der wichtigsten Märkte der Welt, eine totale Abkehr kann sich kaum ein Staat leisten – auch die Schweiz nicht, aus der rund 18% aller Exporte in die USA gehen. Aber in Teilen der Schweizer Politik und Wirtschaft sitzt der Frust tief, und die Stimmen werden lauter, die eine Distanz zu den als unzuverlässig wahrgenommenen USA fordern.
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Parallel dazu bekommen Länder wie die Schweiz auch das nach wie vor schwierige Verhältnis zwischen USA und China zu spüren. Die beiden Länder führen einen Handelskrieg, obwohl die gegenseitigen Abhängigkeiten gross sind. Dieser HandelskriegExterner Link zwischen den Grossmächten hinterlässt Spuren: Im August 2025 exportierte China ein Drittel weniger in die USA als in der Vorjahresperiode. Gleichzeitig stieg aber der Warenwert aller chinesischen Exporte um 4,4%. Dank anderen Märkten.
In dieser Situation müssen kleinere Staaten aufpassen, nicht zwischen den China und den USA zerquetscht zu werden. Cozzi sagt: «Für eine kleine Volkswirtschaft ist es unerlässlich, so viele Handelsbrücken wie möglich zu bauen. Die Schweiz wusste schon immer, dass die Öffnung gegenüber den globalen Märkten ein Grundpfeiler ihres Wohlstands und ihrer Resilienz ist.»
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Der Handel funktioniert weiterhin gleich
Eine stärkere Diversifizierung der Märkte verfolgen aber auch andere Länder. Und bisher gehen die allermeisten Staaten wie üblich vor – mit gemeinsam vereinbarten Abkommen. Trotz aller Umwälzungen, die die amerikanischen Zölle losgetreten haben, steht das Fundament der Weltwirtschaft weiterhin auf denselben Füssen. “[…] der Rest der Welt hat grösstenteils seinen Handel weiterhin zu normalen Bedingungen fortgesetzt[…]”, schrieb Ngozi Okonjo-Iweala, die Generaldirektorin der Welthandelsorganisation (WTO), Anfang September 2025 in einem BeitragExterner Link für die Financial Times.
Weiter schreibt Okonjo-Iweala: «’Mittlere Mächte’ wie Singapur, die Schweiz, Uruguay, Australien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Neuseeland und das Vereinigte Königreich betrachten das globale Handelssystem als zentral für ihren Wohlstand und versuchen, die notwendige Modernisierung voranzutreiben.»
Mitte September folgte bereits ein Schritt in diese Richtung: Zusammen mit 13 weiteren Staaten hat die Schweiz die Future of Investment and Trade Partnership lanciert, eine Initiative kleiner und mittelgrosser Volkswirtschaften für diversifiziertere, Handelsbeziehungen. Die Mitglieder wollen «ihren Einfluss in der Weltwirtschaft vergrössern, das regelbasierte Handelssystem stärken und Lösungen für die Herausforderungen im globalen Handel erarbeiten», wie es in einer MitteilungExterner Link heisst.
Tatsächlich ist die Schweiz bereits heute weit stärker vernetzt als viele Staaten. Cozzi fasst zusammen: «Im Vergleich der Länder ähnlicher Grösse ist die Schweiz ungewöhnlich aktiv bei der Erschliessung neuer Märkte. Mit mehr als 30 Handelsabkommen mit über 40 Partnern hat sie eines der dichtesten globalen Netzwerke aus Abkommen aufgebaut. Diese internationale Ausrichtung ist eine der historischen Grundlagen für die Entwicklung und den Wohlstand der Schweiz und steht auch heute noch im Mittelpunkt ihrer Strategie.»
Das Welthandelsvolumen hat sich seit der Jahrtausendwende verdoppelt; die Schweiz hat sich strategisch an den bestehenden Normen orientiert. Ein «breit abgestütztes internationales Regelsystem, ein diskriminierungsfreier Zugang zu internationalen Märkten sowie Wirtschaftsbeziehungen, die zur nachhaltigen Entwicklung im In- sowie im Ausland beitragen», stehen dabei im ZentrumExterner Link.
Nun war das Welthandelssystem nie frei von Kritik, die WTO ist seit Jahren blockiert – einerseits wegen Protektionismus von Ländern wie den USA, andererseits von aufstrebenden Entwicklungsländern, die bessere Bedingungen aushandeln wollen. Und es gab schon immer weitere Faktoren, die die globalen Warenströme umleiteten: Technologische Änderungen, regulatorische Ansprüche, veränderte Lieferketten – und natürlich geopolitische Verwerfungen.
«Die Auswirkung von geopolitischen Entwicklungen sind nun für viele Unternehmen ein Hauptanliegen», schreibtExterner Link das World Economic Forum (WEF). Wie eben die USA, die ihre Zölle auch als Druckmittel einsetzen, um politische Forderungen durchzusetzen.
Die Zölle stehen vor Gericht
Wie geht es weiter? Gerichte in den USA haben die Zölle für illegal befunden. Diese Entscheidungen wurden wiederum angefochten und werden jetzt voraussichtlich den gesamten Rechtsweg bis zum Obersten Gerichtshof durchlaufen. Es ist fraglich, ob die Zölle gekippt werden – im Seco geht man zumindest nicht davon aus.
Eine weitere Möglichkeit gibt es mit der Überprüfung der Rechtsgrundlage, auf der die Zölle basieren. Am 2. April 2025 – dem «Liberation Day», an dem das Zollregime vorgestellt wurde – wurde der Notstand aufgerufen, der dem US-Präsidenten die Vollmacht gibt, mit Dekreten die Zölle einzuführen. Und dieser Notstandmuss ein Jahr danach überprüft werden.
Allerdings wird die Welt dann wohl anders aussehen.
Editiert von Benjamin von Wyl

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