
Können Saudi-Milliarden die Longevity-Forschung beschleunigen?

Longevity war lange ein unterfinanzierter Bereich der Biotechnologieforschung. Die hohen Hürden bei der Zulassung von Medikamenten und das Risiko eines Misserfolgs haben die Pharmakonzerne und akademischen Förderer abgeschreckt. Saudi-Arabien will das ändern.
Fast ein Jahrzehnt lang kämpfte der Molekularbiologe Johan Auwerx darum, Investor:innen für seine Theorie zu gewinnen, dass Urolithin A – ein natürlicher Stoff, der von unseren Darmbakterien aus Lebensmitteln wie Granatäpfeln und Walnüssen produziert wird – der Schlüssel zu einem gesunden Altern ist.
Im Jahr 2016 veröffentlichte Nature eine von ihm geleitete StudieExterner Link. Der Professor für Energiestoffwechsel an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) zeigte darin auf, dass Urolithin A die Mitophagie stimuliert.
Alte oder beschädigte Mitochondrien werden aus unseren Zellen entfernt, was dabei hilft, die Muskelfunktion im Alter aufrechtzuerhalten. Nach sechs Wochen liefen Mäuse, denen täglich eine Dosis Urolithin A injiziert worden war, schneller und weiter. Würmer, welche die Behandlung erhielten, lebten 45 Prozent länger.
Obwohl Auwerx Fördermittel und kleinere Finanzierungen für einige wenige Tests am Menschen sichern konnte, hatte er Schwierigkeiten, die erforderlichen Millionenbeträge für gross angelegte klinische Studien aufzubringen. Diese könnten Urolithin A die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit verschaffen, damit es zu einem festen Bestandteil der Hausapotheke wird.
«Das Problem im Bereich der Alterungsforschung ist, dass niemand strenge klinische Studien durchführt, weil niemand bereit ist, in Naturprodukte zu investieren”, sagt Auwerx gegenüber Swissinfo.
«Dies hat zu einer Menge pseudowissenschaftlicher Studien geführt, die ein schlechtes Licht auf die Alterungsforschung werfen und die Beschaffung von Finanzmitteln weiter erschweren.»
Doch seine Erfolgsaussichten – und die der Langlebigkeitsforschenden weltweit – haben durch eine unerwartete Finanzierungsquelle einen Schub erhalten: Saudi-Arabien.
Im Jahr 2018 kündigte Kronprinz Mohammed bin Salman die Gründung der ersten globalen Stiftung an, die sich der Entwicklung von Therapien zur Verlängerung der gesunden Lebensspanne widmet.
Drei Jahre später wurde die Hevolution Foundation mit einem Budget von bis zu einer Milliarde US-Dollar (800 Millionen Franken) pro Jahr ins Leben gerufen. Damit ist sie die zweitgrösste Geldgeberin für Gerowissenschaft, also die Erforschung der biologischen Mechanismen des Alterns.
Lesen Sie mehr über den Durchbruch eines Basler Wissenschaftlers im Bereich der Langlebigkeit:

Mehr
Dieser Forscher begründete in Basel die Longevity-Forschung
Bis Anfang 2025 hat die in Riad ansässige Stiftung, deren Führungsteam und wissenschaftlicher Beirat einige der weltweit führenden Altersforscher:innen und Biotech-Unternehmer:innen umfasst, 400 Millionen US-Dollar in Form von Zuschüssen, Partnerschaften und Investitionen bereitgestellt, um 250 Wissenschaftler:innen auf der ganzen Welt zu unterstützen.
Zu den Begünstigten zählen auch Forschende und Unternehmen in der Schweiz. Zu den ersten vier Investitionen der Stiftung in Startups gehörte das in Lausanne ansässige Unternehmen Vandria. Es entwickelt auf der Grundlage von Auwerx‘ Entdeckungen zur Mitophagie Therapien für altersbedingte Krankheiten.
Im Rahmen einer Serie-A-Finanzierungsrunde, in der 30,7 Millionen Dollar angeworben wurden, sicherte sich das Unternehmen Investitionen von Hevolution, Dolby Family Ventures und ND Capital.
Timeline ist ein weiteres Unternehmen, an dem Auwerx beteiligt ist. Es verkauft Urolithin A als Nahrungsergänzungsmittel und ist einer von 40 Halbfinalisten des «XPRIZE Healthspan».
Bei diesem siebenjährigen globalen Wettbewerb sollen neue Therapien entwickelt werden, welche die Muskel-, Kognitions- und Immunfunktionen von Menschen im Alter von 50 bis 80 Jahren um mindestens zehn Jahre zurückversetzen. Hevolution ist mit 40 Millionen US-Dollar die grösste Geldgeberin dieser Initiative, deren Preisgeld sich auf insgesamt 101 Millionen US-Dollar beläuft.
«Das Altern ist die Klimakrise der menschlichen Biologie», sagt William Greene. Er ist ein in den USA ausgebildeter Arzt und Unternehmer und heute Chief Investment Officer bei Hevolution.
«Wir leben länger, aber nicht gesünder. Tatsächlich hat die Zahl der Jahre zugenommen, die wir mit schwächenden chronischen Krankheiten leben, auch wenn wir länger leben.»
Da es an gross angelegten Finanzmitteln für die Kommerzialisierung von Innovationen in der Biologie des Alterns mangelt, können laut Greene «alle, die etwas in der Welt bewegen wollen, das in diesem Bereich schaffen».
Finanzierungslücke schliessen
Saudi-Arabien wird im Bereich der Langlebigkeit zu einem wichtigen Akteur. Das Land verfolgt eine Initiative zur Diversifizierung der Wirtschaft, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern.
Im Jahr 2016 lancierte der zweitgrösste Ölproduzent der Welt mit der Vision 2030 einen Plan, der das Land in Bereichen wie Gesundheitswesen, erneuerbare Energien, Technologie und Sport an die Weltspitze führen soll.
Bis 2030 will Saudi-Arabien, das über keinerlei Erfahrung in der Pharmaindustrie verfügt, ein führendes Biotech-Zentrum im Nahen Osten werdenExterner Link und bis 2040 eine weltweit führende Position einnehmen.
In Bereichen wie der Krebsforschung wird das jedoch eine Herausforderung, da die USA und Europa dort weit voraus sind. Im finanzschwachen Bereich der Langlebigkeit sieht die Lage jedoch anders aus.
So verdreifachte sich das Budget des US-amerikanischen National Institute on AgingExterner Link (NIA), der weltweit grössten öffentlichen Einrichtung zur Finanzierung der Altersforschung, von 1,6 Milliarden US-Dollar im Jahr 2016 auf 4,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024Externer Link, wovon 2,6 Milliarden US-Dollar für die Alzheimer-Krankheit und andere Bereiche der Neurowissenschaften aufgewendet wurden.
Für die Grundlagenforschung zur Biologie des Alterns standen lediglich 400 Millionen Dollar zur Verfügung. Diese Summe verblasst im Vergleich zum Gesamtbudget von 47 Milliarden US-Dollar des amerikanischen National Institutes of Health, das wiederum das NIA finanziert.
Lesen Sie hier, wie der Schweizer Pharmariese Novartis in die Forschung über das Altern investiert:

Mehr
Novartis setzt auf das Altern als Wachstumsmarkt
Obwohl die Schweizer Regierung zahlreiche Forschungsprojekte zum Thema Altern unterstützt hat, wurde diesem Bereich kein nationaler Forschungsschwerpunkt zugeordnet – ein wichtiges Finanzierungsinstrument zur Stärkung der Forschung in Bereichen von strategischer Bedeutung für die Schweiz.
Die Langlebigkeitsforschung zieht auch private Mittel an. Laut dem jüngsten Jahresbericht von Longevity Technology, einer Internetplattform für Investitionen in dieser Branche, erhielten Unternehmen, die sich mit der Verlängerung der Lebenserwartung oder der Entwicklung von Medikamenten auf Basis der Biologie des Alterns befassen, im Jahr 2024 Finanzmittel in der Höhe von 8,49 Milliarden US-DollarExterner Link.
Das ist zwar mehr als das Doppelte der 3,82 Milliarden Dollar, die im Jahr 2023 in 331 Deals investiert wurden, im Vergleich zu den Finanzierungen in anderen Biotech-Bereichen jedoch immer noch ein Tropfen auf den heissen Stein: Laut Bericht wurden dort im letzten Jahr rund 90 Milliarden Dollar investiert.
Das Dilemma der Langlebigkeit
Für die schleppende Finanzierung gibt es mehrere Erklärungen. Eine davon ist die Komplexität des Alterungsprozesses. Unternehmen und von Milliardären finanzierte Startups, die versucht haben, Anti-Aging-Medikamente und -Behandlungen zu entwickeln, sind gescheitert.
«Je ambitionierter die Ideen, desto schwieriger ist es, Investorinnen und Investoren zu gewinnen», sagt Marc P. Bernegger, Schweizer Unternehmer und Mitbegründer von Maximon, einer Investmentfirma, die sich auf Langlebigkeitsprodukte spezialisiert hat und jährlich eine Investmentkonferenz zum Thema Langlebigkeit im Schweizer Bergsportort Gstaad veranstaltet.
Ein weiterer Faktor ist das Fehlen eines Zulassungsverfahrens für Anti-Aging-Medikamente in den USA, dem weltweit grössten Pharmamarkt. Das Altern ist dort nämlich nicht als behandelbare Krankheit eingestuft.
Das bedeutet, dass eine Erstattung durch Versicherungen oder staatliche Gesundheitssysteme nicht möglich ist. Somit ist es schwierig, einen Umsatz in Milliardenhöhe und eine solide Rendite zu erzielen.
«Die regulatorischen Rahmenbedingungen sind sehr klar: Um in dieser Welt etwas zu beweisen, muss man eine Krankheits-Indikation und ein klinisches Trial-Design haben», sagt Sergey Jakimov, Gründungspartner des Langlebigkeits-Venture-Fonds LongeVC. «Die Leute haben in glänzende Thesen wie die Heilung des Alterns investiert. Das ist eine grossartige Idee, aber für Risikokapital funktioniert das nicht.»
Lesen Sie hier mehr über den Aufstieg der Langlebigkeitskliniken in der Schweiz:

Mehr
Longevity-Kliniken: moderne Quacksalberei oder Schlüssel zum gesunden Altern?
Dies hat viele Wissenschaftler:innen, die sich mit Langlebigkeitsforschung befassen, dazu veranlasst, ihre Bemühungen auf die Entdeckung neuer Wirkstoffe für bestimmte, vielversprechendere altersbedingte Krankheiten zu verlagern.
Willkommener Neuling?
Obwohl das Geld aus Saudi-Arabien in vielen Kreisen begrüsst wird, gibt es auch Kritik. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch haben Bedenken hinsichtlich Menschenrechtsverletzungen, Einschränkungen der Pressefreiheit und der Meinungsfreiheit im KönigreichExterner Link geäussert.
Viele Gesprächspartner:innen von Swissinfo bestätigten diese Bedenken und erklärten, dass sie vor der Beteiligung an Hevolution berücksichtigt worden seien.
«Wir haben die Finanzierungsquellen generell diskutiert, aber selbst bei vielen (Risikokapital-)Fonds wissen wir nicht, wer die ‘Limited Partners’ sind und woher ihr Geld kommt», sagt Klaus Dugi, Geschäftsleiter von Vandria.
«Wir wollen das Geld, das wir erhalten, dafür einsetzen, ungedeckte medizinische Bedürfnisse zu decken und Patientinnen und Patienten zu einem besseren Leben zu verhelfen.»
Obwohl Hevolution anfangs sehr öffentlichkeitswirksam auftrat, ist es in den letzten Monaten stiller um die Stiftung geworden. Die letzte Ausschreibung für Förderanträge auf der Website der Stiftung stammt vom Oktober 2024.
Kurz vor der Veröffentlichung dieses Artikels teilten Personen, die über die Angelegenheit informiert sind, mit, dass die Hevolution Foundation interne Veränderungen durchlaufe, die sich auf die Auszahlung von Fördermitteln auswirken könnten.
In einer E-Mail-Antwort erklärte ein Sprecher, die Stiftung arbeite derzeit an internen Budgetierungsprozessen und der Zeitpunkt dieser Massnahmen könne für diejenigen, die auf ihre Unterstützung angewiesen seien, Herausforderungen mit sich bringen. Er fügte hinzu: «Wir tun alles, um zügig voranzukommen.»
Dies sei Teil des «jährlichen internen Governance- und Verwaltungsprozesses», so der Sprecher. Einige Quellen vermuten jedoch, dass die Verzögerungen bei der Genehmigung und Auszahlung von Fördermitteln auf die Umwälzungen in der biomedizinischen Forschungsfinanzierung in den USA zurückzuführen sind.
US-Präsident Donald Trump hat das Budget des National Institutes of Health (NIH) gekürzt, wovon Tausende von Fördermitteln betroffen sind, darunter viele im Bereich der Altersforschung.
Die Hevolution Foundation hat mehrere US-amerikanische Einrichtungen finanziert, die ebenfalls Zuschüsse der NIH erhalten, darunter das Buck Institute for Research on Aging und das Albert Einstein College of Medicine.
Wenn die Stiftung nach so vielversprechenden Ankündigungen einen Rückzieher macht, könnte dies einen schweren Schlag für die Langlebigkeitsforschung bedeuten.
«Bei Initiativen im Bereich der Alterungsforschung ist es oft so, dass sie gross werden und dann sterben», sagt Auwerx. «Ich hoffe, dass dies nicht auch hier der Fall sein wird.»
Mitarbeit: May Elmahdi-Lichtsteiner
Editiert von Nerys Avery/vm/ts, Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger
Mehr

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch